lausebande_2020-02_ebook
Titelthema :: Seite 58 Warumwird eine solche Norm dann nicht eingeführt? Das wäre die ein- fachste und die wünschenswerte Lösung. Aber ich habe Zweifel da- ran, dass sie auch kommt. Dafür ist die Schuhlobby zu mächtig. Für sie würde eine Norm eine zusätzliche Qualitätskontrolle, mehr Kosten und eventuell auch Verbraucher- klagen verursachen. Was können Eltern also stattdes- sen tun? Wir empfehlen Eltern: Vergesst die Schuhgrößen und messt stattdessen die Innenlängen der Schuhe. Diese sollte mindestens 12 mm länger sein als der Kinder- fuß. Wer Schuhe online kauft, sollte beim Anbieter unbedingt die Schu- hinnenlänge erfragen. Das wür- de auch die Retourenquote von 80 Prozent bei Kinderschuhen deutlich reduzieren. Sie sind mit Ihrem Forschungsteam in mehreren Ländern für Fuß- und Schuhmessungen unterwegs – ist das ein rein österreichisches Prob- lem? Nein, keineswegs. Wir waren in mehreren europäischen Ländern, in Japan und in den USA und wir sind überall auf die gleichen Prob- leme gestoßen: Die Kinder tragen überall zu kurze Schuhe und die tatsächliche Schuhgröße entspricht nur selten der angegebenen. [...] Das ganze Interview online lesen: Warum braucht es ein eige- nes Forschungsprojekt für das Thema Kinderfüße? Wir konn- ten durch unsere Untersuchungen 2003 erstmals nachweisen, dass zu kurze Kinderschuhe tatsächlich zu Fußschäden führen. Das hatte man bis dahin nur vermutet, nun ist es wissenschaftlich belegt. Erschre- ckend viele Kinder weisen eine Fehlstellung der großen Zehen von mindestens zehn Grad auf. Ursache dafür sind nachweislich zu kleine Schuhe. Im Grunde kann man sa- gen: Je kürzer die Schuhe, desto verbogener die Zehen. Lässt sich denn eine solche Fehl- stellung auch wieder rückgängig machen? Wenn sich Eltern die- ser Problematik bewusst sind und frühzeitig auf eine mögliche be- ginnende Fehlstellung der großen Zehe achten, dann lässt sich das noch korrigieren. Aber je länger die Zehen in zu kurzen Schuhen eingeengt werden, desto schwieri- ger wird es. Und was können die langfristi- gen Folgen einer solchen Fehlstel- lung der großen Zehen sein? Zum einen fängt das irgendwann an zu schmerzen. Und wenn ich Schmer- zen habe, fange ich an, anders zu laufen, so dass sich die Fehlstellung auf die Statik und den Bewegungs- apparat auswirkt – mit Folgen für Knie, Hüfte und Wirbelsäule. Wir haben die langfristigen Folgen zu kurzer Schuhe bisher nicht unter- sucht. Aber wir gehen davon aus, dass man bei einer dauerhaften Fehlstellung der großen Zehe von mindestens zehn Grad früher oder später eine Operation des Groß- zehengrundgelenks braucht. Das zeigt auch ein Blick auf die Statis- tik: In den vergangenen Jahren ist die Zahl solcher Operationen kon- tinuierlich angestiegen. Warum kaufen denn Eltern ihren Kindern überhaupt zu kurze Schu- he? Die Schuld liegt nicht bei den Eltern. Diese völlig unnötige Schä- digung der Kinderfüße ist im Grun- de einer Mogelpackung der Schuh- industrie geschuldet. Die Füße des Kindes werden im Schuhladen aus- gemessen und die entsprechende Schuhgröße abgelesen. Dann pro- biert das Kind den Schuh an. Bei der Zehenprobe zieht es instinktiv die große Zehe zurück und fragen die Eltern, ob die Schuhe passen, antwortet das Kind gewohnheits- mäßig mit „Ja.“ Aber tatsächlich tragen sie die falsche Schuhgröße. Der Hauptgrund dafür ist die feh- lende Norm für Schuhgrößen. Wir haben bei unseren Untersuchungen festgestellt, dass gut 90 Prozent al- ler Kinderschuhe kleiner sind als mit der Schuhgröße angegeben – im Schnitt um zwei Größen. Das ist so, als würden Sie 20 Liter Sprit tan- ken, aber nur 18 Liter landen wirk- lich im Tank. Eigentlich ist das ein Unding. Drei von vier Kinderfüßen sind durch zu kurze Schuhe verformt. Warum die Schuhindustrie das bewusst hinnimmt und was Eltern für gesunde Kinder- füße tun können, verrät Dr. Wieland Kinz im Interview. Er leitet das interna- tional tätige und wirtschaftlich unabhängige Forschungsteam „Kinderfüße – Kinderschuhe“ mit Sitz in Österreich. Werft die Hausschuhe weg! www.lausebande.de
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