lausebande_100.Ausgabe_ebook
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich beim Shoppen mal an meine Grenzen gerate. Bei uns zu Hause herrscht nämlich verkehrte Welt, wenn es ums stundenlange Bummeln durch Boutiquen geht. Meine bessere Hälfte bekommt schon nach wenigen Sekunden in einem Geschäft nervöse Beine und jagt ihre Kleidung mehr, als dass sie einkauft. Meist probiert sie ihre Teile gar nicht erst an. Sie hält sie einmal vorm Spiegel neben sich. „Passt“. Ein Hochgeschwindigkeitseinkauf unter drei Minuten vom Betreten eines Geschäfts, fliegender Anprobe mit „Passt“, Gang zur Kasse und Verlassen des Ladens ist bei ihr keine Seltenheit. Vampir-Shoppen nen- ne ich das immer. Könnte sie sich noch einen Tick schnel- ler bewegen, hätten nach ihrem Besuch alle anderen Frauen im Laden eine heftige Fönwelle, an deren Lage man den Spurt meiner besseren Hälfte durchs Geschäft nachvollziehen könnte. Ich kann dagegen stundenlang suchen, sammeln, überstreifen, bewerten, nochmal überstreifen. In unserer Beziehung war ich schon immer die Shopping Queen. So dachte ich mir auch nichts da- bei, als mich eines Feierabends auf demWeg nach Hause der Notruf meiner besseren Hälfte ereilte: meine Kleine brauchte dringend für einen abendlichen Auftritt einen BH. Die anderen seien in der Wäsche. Sie schickte drei Bilder. Rosa und von Calvin Klein, samt Größe, das sollte für die Shopping Queen im Haus doch reichen. Natür- lich, schrieb ich zurück, kein Ding fürn Unterwäscheking. Zehn Minuten später stolzierte ich in die Damenwäsche- abteilung von Galeria, oder Karstadt, oder Galeria Kauf- hof ... ich glaube, die wissen dort selbst nicht mehr, wie sie richtig heißen. Mir wurde dafür schnell klar, dass nach 19 Uhr nicht die richtige Zeit für einen mittelalten Mann ist, um sich in Mädchenunterwäsche zu üben. Als ich mit neugierigem Blick durch die Abteilung streifte und bei dem ein oder anderen Teil, so wie ich es gewohnt war, die Qualität fühlte, spürte ich es plötzlich. Im zu dieser Zeit lichten Kaufhaus mutierten die umstehen- den Frauen zu einer Art ferngesteuerter Überwachungs- einheit. Bei zwei von ihnen fehlte nur noch das rot blin- kende Auge und sie wären mit ihren ernsten, kantigen Gesichtern glatt als weibliche Version des T-800 durch- gegangen, dem Alter Ego von Schwarzenegger in „Termi- nator“. Ichmusste immer wieder auf mein Handy starren und das passende Teil aufspüren. Zwei weitere Damen blieben unweit stehen und schlossen sich der Galeria- Bürgerwehr an. Nun wurde auch die Fachverkäuferin auf mich aufmerksam. Ich begann zu schwitzen. Da sah ich endlich den Ständer mit den BHs, die auf dem Handy so harmlos wirkten. Gleich ist es überstanden, dachte ich. Leider hatte ich die Rechnung ohne die vielen Größen und unterschiedlichen Einlagen gemacht. Ich hasste Calvin Klein. Hätte der nicht einen Universalträger er- finden können, der wie ein Basecap immer passt? Bei der schnellen Durchsicht der Bügel rutschten mir natür- lich ein paar Teile vom Halter. Als ich hochroten Kopfes vom Boden auftauchte, stand überraschend Miss Galeria vor mir, zornige 100 Kilo Fachverkäuferin auf 1,55 Meter Körperhöhe komprimiert. Was der Herr hier suche? Und meine offensichtliche Erregung sei fehl am Platze. Ken- nen Sie das, wenn Erdmännchen auf ihren Hügeln die Hälse recken und nach Feinden spähen. Genauso starr- te die weibliche Überwachungseinheit aus den Gängen auf Miss Galeria und mich herüber. Ich stammelte etwas von meiner Kleinen, einem Auftritt und Calvin Klein in rosa. Es war ein Drama. Jeder Arzt hätte mich, der mit Kommunikation sein Geld verdient, sicher sofort un- heilbar berufsunfähig geschrieben. Zum Glück klingel- te in diesem Moment mein Handy: meine Kleine war dran. Ich stellte gleich laut. Ob ich mich zurecht finde? Schließlich sei das nicht so einfach, bei all den Größen, Papi. Miss Galeria schmolz dahin wie Butter, half mir so- fort bei der Suche und winkte den umstehenden Damen: Nur ein verzweifelter PAPI! Augenblicklich wechselte die starrende Überwachungseinheit den Blick, als wäre ich ein verletztes Panda-Junges. Aus dem Perversling wurde der liebenswerte Familienheld an der Seite Calvin Kleins. Meine Kleine empfing mich zu Hause schon ungedul- dig und sagte zu meiner bessere Hälfte: Siehste, unsere Shopping Queen schafft das, hab ich doch gesagt. Wenn sie nur wüsste ... Euer lausitzDADDY Ich nenne ihn immer den Lausedaddy und er ist einfach ein liebens- werter Kerl, in dem man sich als Vater oft wiedererkennen kann. Die Kolumne zum Jahresbeginn 2020 war einfach köstlich. Ich lese den Lausedaddy immer mit meiner Frau, wir mussten herzlich lachen und sie sagte einmal mehr: das könntest auch du gewesen sein. Oliver Schneider 86 › Kolumne Best-Of
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