48 › Aktuelles nun im Tierpark oder Klettergarten – es darf keine Langeweile aufkommen. Es führt bei Kindern zu Frustration, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden und nimmt ihnen die Fähigkeit zu einfachen Glückserlebnissen imFreundeskreis. Eltern erreichen mit dem Streben nach besonderem Glück für ihre Kinder also genau das Gegenteil? Ja. Man nimmt Kindern die Erfahrung, das Glück in kleinen Alltagsdingen zu erfahren. Das bricht teils völlig weg. Im Osten haben wir traditionell ein stärker selbstbestimmtes Frauenbild – glauben Sie, dass Ostmütter den Alltag jener Münchner Mittelschicht nachvollziehen können, in der ihr Buch vorwiegend spielt? Das Buch betrifft sicher alle urbanen Milieus, insofern auch Lebensverhältnisse in Berlin, Leipzig oder Dresden. Mit gestiegenem Wohlstand und gestiegener Akademisierung passt das Bild vom Einzelkind im fortgeschrittenen Lebensalter auch dort. In meinem Buch wird aber auch eine Frau aus dem ländlichen Raum beschrieben, deren Lebensalltag sicher eher zum ländlichen Osten passt – und bei ihr habe ich auch die größte Zufriedenheit gespürt. Aktuell forsche ich zum Thema Bildung im Kontext der DDR, dadurch weiß ich, dass Frauen im Osten ein stärkeres Selbstbewusstsein haben. Das betrifft zumindest das mittlere Lebensalter – aber je jünger sie werden, desto stärker verschwindet das. In jüngeren Generationen gleicht sich das inzwischen an. Der Fokus der DDR auf Gemeinschaft fasziniert mich aber immer wieder und ich bin beeindruckt von der Allgemeinbildung mittlerer und älterer Generationen im Osten, etwa imHinblick auf die Geografiekenntnisse. Das Bildungssystem hat dort viel geleistet. Davon hätten wir im Westen viel lernen und übertragen können. Die jüngeren Frauen sind heute allerdings auf beiden Seiten mit derselben Medialisierung und Medienlogik konfrontiert, sie nutzen dieselben sozialen Medien wie TikTok, Facebook oder Instagram, sie werden tagtäglich mit denselben Vorbildern versorgt. Selbst wer finanziell nicht mithalten kann, passt sich und seineWünsche und Lebenserwartungen diesem System an. Insofern verschwimmen die Unterschiede zusehends. Haben Sie eine Erklärung, warum sich im „westlich“ geprägten Medienhype um Gleichberechtigung die Lebensrealität von Müttern und Frauen imOsten sowenigwiderspiegelt? Wir haben viel zu wenige ostdeutsche Journalisten in den Leitmedien. Den Deutschen wird ihre Geschichte seit der Wende überwiegend von Westdeutschen erzählt und am LebensbildWestdeutschlands ausgerichtet. Selbst die Ressorts vielerMedien im Osten sind entsprechend besetzt. Einer meiner Studierenden bezeichnete den Versuch westdeutscher Journalisten, über den Osten zu berichten, als „Exotenforschung“. Ich halte das nach wie vor für eine Schande. Ein Gegenbeispiel liefert die Dokumentarfilmerin Sabine Michel. Sie hat jetzt einen Film über ostdeutsche Frauen zur Wende gemacht. Sie zeigt darin auch unsere verpassten Chancen, als Gesellschaft vom fortschrittlichen Frauen- und Familienbild des Ostens zu lernen. Die zunehmende Inszenierung und Eventisierung des Familienlebens eint alle Familien in Ost und West, glauben Sie hier wirklich noch an ein mögliches Umdenken? Das kommt auf die Familie an. Ich denke, dass diese Entwicklung nach Corona eher einenneuenSchub bekommt. DieMenschen haben ein immenses Nachholbedürfnis. Ich hoffe, dass einzelne Familien für sich reflektieren und entscheiden, diesem zunehmenden Zwang zur Inszenierung den Rücken zu kehren. „Medienformate, Darstellungsformen, Berichterstattungsmuster, die einer spezifischen Medienlogik folgen – immer reißerischere Überschriften, immer schnellere Aktualisierung von Online-Artikeln, immer intimere Einblicke in das Leben von Prominenten, immer schnellere Schnitte in YouTube-Videos –, konstruieren eine Wirklichkeit, die wir in unsere Einschätzungen, Bewertungen und Verhaltensoptionen einfließen lassen. Mit weitreichenden Folgen. Wenn wir plötzlich glauben, dass ein gelungenes Familienleben nur möglich ist, wenn eine originelle Freizeitbeschäftigung die nächste jagt, dann bleibt kaum Zeit, um die Familie als Rückzugsort zu erhalten.“ Bianca Kellner-Zotz, Zitat aus ihrem Buch „Happy Family“
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