70 › Titelthema Eltern sollten weder beschönigen noch Bedrohungsszenarien aufbauen Ihren Lebensstil verändert? Naja, ob ich sooooo nachhaltig lebe weiß ich nicht – vielleicht innerhalb Deutschlands im Vergleich. Allerdings habe ich bis 2017 einen recht großen Flugrucksack generiert, der alle anderen Anstrengungen zunichte macht. Ich habe mich tatsächlich schon lange für Umweltfragen interessiert und engagiert – angefangen mit Umweltwochenenden während meiner Schulzeit gefolgt von einem FÖJ nach meinem Abi. Erst während meiner Promotion habe ich dann aber gemerkt: Woah, Psychologie kann und muss einen entscheidenden Beitrag zur Lösung von Umweltkrisen liefern. Und ja, mein Lebensstil hat sich durch die Beschäftigung mit der Thematik weiter verändert, zum positiven wie ich hoffe. Aber Potenzial für weitere Lebensstiländerungen gibt es auch. Sie schreiben, Sie seien zu 99,8 % Vegetarier. Was hat es mit den verbleibenden 0,2 Prozent auf sich? Naja, ich halte prinzipiell nichts von Dogmen. Man kann ja Vegetarier oder Veganer sein und trotzdem sagen: Ich esse einmal pro Jahr Fish and Chips. Oder man sieht bei der Konditorin im Urlaub den Best-Cake-Ever, der aber mit Gelatine versetzt ist… ich denke, da kann man dann auch mal sagen: Schwamm drüber. Vorausgesetzt, dass Sie nicht schon immer so nachhaltig leben: Wie gelang Ihnen die Umstellung? Was fiel Ihnen leichter, was schwerer? Wie gesagt, nachhaltiger geht immer… Was mir bis heute sehr schwer fällt ist, auf Reisen zu verzichten – Reisen ist ja ein krasses Privileg, das wir als Bürger:innen dieser reichen Nation haben. Auch wenn ich seit fünf Jahren keinen Flieger betreten habe reise ich sehr gerne, doch auch die Bahn und Hotels erzeugen Emissionen. Meine Ernährung auf vegetarisch umzustellen hingegen fiel mir sehr leicht, da hatte sicherlich auch geholfen, dass sich diese Entscheidung mit dem Übergang ins Studium deckte, dort war vegetarisch sein ja dann in manchen Kreisen schon fast normativ. Und: Kein Auto zu haben ist für mich persönlich extrem leicht – ich habe zwei Mal im Leben für ca. ein Jahr ein Auto besessen und habe mich extrem eingeschränkt, abhängig, Zeit-verschwendend gefühlt. Kein Auto zu haben und zu benötigen ist eine Befreiung – die aber nur gelingt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Eltern ernähren sich vegetarisch, aber die Tochter will unbedingt Schnitzel essen. Die Eltern wollen im Sommerurlaub auf die Kanaren fliegen, aber der Sohn will nachhaltig reisen. Wie Eltern mit solchen Konflikten umgehen, darüber haben wir mit dem Umweltpsychologen Prof. Dr. Gerhard Reese gesprochen. Im Interview verrät er außerdem, warum es sich lohnt, mit Kindern über Nachhaltigkeit im Dialog zu bleiben und warum schon kleine Schritte großes bewirken können. Sie forschen und lehren unter anderem zu Umweltbewusstsein und Naturschutzpsychologie und leben sehr nachhaltig. Was kam zuerst? Haben Sie sich einen Beruf gesucht, der inhaltlich zu Ihrem Umweltbewusstsein passt oder haben Sie aufgrund Ihrer Forschung Foto: P. Sittinger
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