Titelthema ‹ 91 Zwei Aspekte scheinen mir zentral. Erstens braucht es einen weiteren Schub, was die Aufteilung der Sorge- und Hausarbeit betrifft: hier müssen Männer weit kräftiger „zupacken“ als bisher, um ihre Partnerinnen wirklich zu entlasten. Zweitens braucht es (wieder) „mehr Dorf“ für Kinder. Kitas und Schulen, aber auch Sportvereine und Jugendzentren müssen so ausgerüstet werden, dass sie ganztägige Bildungs- und Entfaltungsorte für alle Kinder sind. Hier braucht es mehr Investitionen statt Mittelkürzungen. Die Corona-Pandemie hat familienfreundliche Arbeitsmodelle wie verstärktes Homeoffice befördert. Lässt sich schon sagen, ob diese Effekte langfristig sind und Eltern bei der Vereinbarkeit helfen? Der Digitalisierungsschub, den die Arbeitswelt durch die Pandemie genommen hat, lässt sich nicht zurückdrehen. Andererseits war immer klar, dass 100% Homeoffice auf Dauer dysfunktional sowohl für Beschäftigte als auch Unternehmen ist, daher ist es nur folgerichtig, dass man nach Ende der Pandemie inzwischen zu einem guten Mix aus Homeoffice und Präsenz zurückgekehrt ist – wobei, was „gut“ ist, von Branche zu Branche und Beruf zu Beruf unterschiedlich ist. In den ostdeutschen Bundesländern ist der geforderte Kita-Ausbau bereits passiert, in vielen Regionen gibt es ausreichend Kitaplätze – auch für Krippenkinder. Zudem sind Frauen in Ostdeutschland häufiger erwerbstätig, auch häufiger in Vollzeit und in Führungspositionen. Kann Ostdeutschland hier vielleicht als Modell für ganz Deutschland dienen? Zunächst: Es gibt in allen 16 Bundesländern Bedarfsunterdeckungen im U3-Bereich. Sie sind allerdings in den neuen Bundesländern weniger stark ausgeprägt als in den alten. Allerdings wird im Osten im Kontext der demografischen Entwicklung rückgebaut. Das ist schade, man hätte stattdessen den Fachkraft-Kind-Schlüssel verbessern können. Die vergleichsweise höhere Betreuungsquote im Osten hatte aber all die Jahre in der Tat noch einen weiteren Grund – eine höhere Arbeitsmarktnähe ostdeutscher Mütter, die historisch bedingt ist. Daran, wie persistent diese Arbeitsmarktnähe auch bei jüngeren Frauengenerationen in Ostdeutschland selbst nach einem Umzug in den „Westen“ ist und wie wenig hiervon bis heute auf westdeutsche Frauen „übergesprungen“ ist, ist ein eindrückliches Beispiel für die überdauernde Kraft sozialer Normen und macht mich eher skeptisch, was einen ostdeutschen Vorbildeffekt betrifft. Auch im Ausland lassen sich gute Beispiele für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden. Was machen andere Länder besser und was davon ließe sich auf Deutschland übertragen? Männer in Frankreich oder in skandinavischen Ländern sind nicht unbedingt „moderner“; der Gender Gap in der unbezahlten Arbeit ist überall hoch. Es ist vielmehr die Exklusivität der Paarbeziehung, die mir eine deutsche Besonderheit zu sein scheint: In Deutschland haben Paare die Erwartung, alles allein hinzubekommen, ohne Hilfe von außen. Andere Länder gehen es pragmatischer an und lassen sich von der Nanny, der Schulmensa und der Putzfrau unterstützen. An eigenen (zu) hohen Erwartungen zerschellt auch so mancher Kinderwunsch – in Deutschland. Welchen Tipp können Sie Müttern geben, die ihre Karriere auch mit Nachwuchs nicht aufgeben wollen? Das Ziel im Visier behalten und durchhalten. Was denken Sie: Wird für die Kinder, die 2025 zur Welt kommen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die gleichberechtigte Aufteilung von Kindererziehung und Care-Arbeit in 30 Jahren eine Selbstverständlichkeit sein? Wie man kürzlich herausfand, waren die Kelten im Großbritannien der Eisenzeit matrilokal organisiert. Das heißt, bei einer Heirat zog der Mann in den Wohnort der Frau. Damit standen Frauen und nicht Männer im Mittelpunkt der sozialen Netzwerke, ebenso wurden Land und Besitz über die weibliche Linie vererbt. Das ist mehr als 2000 Jahre her. Im Vergleich dazu sind 30 Jahre nur ein Wimpernschlag. Ich denke, wir müssen beharrlich weiter für Gleichberechtigung kämpfen. Auch kleine Erfolge zählen. Sie haben selbst drei Kinder, haben promoviert und habilitiert, sind Abteilungsleiterin beim DJI. Das klingt nach einer „Bilderbuchkarriere“. Wie haben Sie es geschafft, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen? Work-life-balance kann nur punktuell gelingen – als lebenslanger Anspruch ist es eine Illusion. Der Tag hat für alle nur 24 Stunden. Wichtig ist, Prioritäten zu setzen und sich für das, was gerade Priorität hat, wirklich ganz einzubringen. Vielen Dank für das Gespräch!
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