lausebande-04-2018

Titelthema :: Seite 55 Ja, diese Frage wird uns sehr häu- fig gestellt. Aus meiner Sicht ist es immer hilfreich, mit offenen Kar- ten zu spielen. Wenn Lehrerinnen und Lehrer Kenntnis von der Er- krankung haben, können sie die Eltern zum Nachteilsausgleich be- raten und bei Bedarf auch die Fest- stellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs empfehlen. Vor al- len Dingen können sie sich dem Kind als Ansprechpartner anbieten. Viele der betroffenen Kinder hadern einerseits mit ihrer Sonderstellung, die sie eigentlich gar nicht wollen, die sie aber andererseits brauchen – wie kann hier der Spagat am bes- ten gelingen? Im Grundschulalter gibt es da kaumBerührungsängste. Anders ist es bei Jugendlichen. Die- se wollen oft nicht im Mittelpunkt stehen und Sonderregelungen für sich in Anspruch nehmen. In ver- trauensvollen Gesprächen versu- chenwir dann zu erklären, dass die entsprechenden, schulischen Un- terstützungssysteme nur greifen, wenn die Erkrankung bekannt ist. Jugendliche, die sich dagegen ent- scheiden, leben ganz bewusst mit den Konsequenzen. Ich habe schon erlebt, dass eine Schülerin auf eine Schreibzeitverlängerung verzichtet hat. Ihr war das Normalsein wich- tiger als die bessere Zensur. Das mussten die Eltern und auch wir dann respektieren. In der Theorie gibt es mit dem Nachteilsausgleich bereits Un- terstützung für chronisch kran- ke Kinder. In der Praxis wird das aber nicht immer umgesetzt, sei es weil das Lehrpersonal durch gro- ße Klassen ohnehin überfordert ist oder weil das Kind zu schüch- tern ist, diese auch immer ein- zufordern. Wie kann hier in der www.ctk.de praktischen Anwendung mehr Gerechtigkeit erreicht werden? Nachteilsausgleiche sind in Bran- denburg ganz klar durch Verord- nungen geregelt. Dafür sind durch die Eltern entsprechende Anträge zu stellen. Werden Nachteilsaus- gleiche bewilligt, sind diese auch für alle Lehrkräfte verbindlich. Ich gebe Ihnen Recht, dass es lei- der vereinzelt auch passiert, dass Kinder ihre Lehrer daran erinnern müssen. Ein praktischer Hinweis wäre, im Klassenbuch den Nach- teilsausgleich zu vermerken. Was kann man machen, um Leh- rer und Erzieher besser auf den Umgang mit chronisch kranken Kindern vorzubereiten? Das geht, glaube ich, nur über den Weg der Fortbildung, jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip. Einfach allgemeine Informationen zu ver- mitteln, bringt keinen Erfolg. Wir lernen nur, wenn uns etwas unmit- telbar interessiert bzw. wir davon betroffen sind. So ist es auch hier. Die Lösung heißt daher: Fortbil- dung amkonkreten Beispiel. Wenn ein Kind der Schule eine chroni- sche Erkrankung hat, dann macht Beratung Sinn. Inzwischen werden wir von Schulen ganz konkret an- gefragt. Auch die Kliniken des Lan- des bieten vielfältige Fortbildungen für die breite Öffentlichkeit an. Im Carl-Thiem-Klinikum gibt es jähr- lich eine Fortbildung für Biologie- lehrer, die von einer engagierten Fachkollegin organsiert wird. Braucht es mehr rechtliche Grund- lagen für die Unterstützung von Fa- milien mit chronisch kranken Kin- dern und wenn ja: Wie könnten diese aussehen? Wie schon oben erwähnt, sind die rechtlichen Be- dingungen in Brandenburg schon recht gut. Was ich mir wünsche, ist die Fortsetzung und Ausweitung des Pilotprojektes der Schulgesund- heitsfachkraft. Wir brauchen diese Fachkräfte in jeder Schule! Was können Familien mit gesun- den Kindern tun, wenn ihre Kinder Freunde bzw. Mitschüler mit chro- nischen Erkrankungen haben? Dafür gibt es eine einfache Antwort. Die Freunde der Kinder akzeptieren und ganz NORMAL mit ihnen um- gehen. Sicherlich ist es notwen- dig, sich mit den Eltern der Freun- de zu unterhalten, worauf geachtet werden soll und muss. Ich den- ke, das Herz an der richtigen Stel- le und keine Angst vor Unbekann- tem sind hier die besten Begleiter. In der Bauhausschule wird seit Jah- ren ein tolles Lied gesungen. „Jeder ist anders…“ Und wenn wir genau hinschauen, dann ist dies nicht nur bei Kindern so! Viele Eltern von chronisch kranken Kinder beklagen Unverständnis und Unwissenheit von anderen. Wie lie- ße sich das Verständnis für die Si- tuation chronisch kranker Kinder verbessern? Ich verstehe die Not der betroffenen Familien. Jedoch ist der Mensch vor allem dann mit- fühlend, wenn er eigene Erfahrun- gen gemacht hat, persönlich oder auch bei Angehörigen. Somit erklä- ren sich Unwissenheit und Unver- ständnis. Das Erste kann jeder än- dern, wenn er dazu bereit ist. Das Zweite bedarf der Aufklärung. Da- für brauchen wir ein Netzwerk von Multiplikatoren. Es gibt bereits vie- le Selbsthilfegruppen, in denen El- tern sich gegenseitig unterstützen und auch in der Öffentlichkeit als „Anwälte“ ihrer Kinder auftreten.

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