lausebande-04-2020

bar – und sie ist auch nicht nötig, da wir über eine geringere Popu- lationsdichte verfügen. Man kann Deutschland und China nicht ver- gleichen. In China und Korea trägt man auch Schutzmasken, ohne sich zu genieren. Italien hingegen verfügt über eine andere Familien- struktur, dort wird viel geselliger gelebt. Die mediterrane Lebensart sorgt für mehr Kontakt, und Kon- takt macht Infektionen. Die Lom- bardei ist die Industrieregion Itali- ens mit hohen Populationsdichten, auch dort haben wir höhere Infekti- onsraten. Die Zahlen können in Ab- hängigkeit der Populationsdichte um den Faktor 10 schwanken, hin- zu kommen andere Lebensweisen und Konsequenzen, das macht Ent- wicklungen schwer vorhersehbar. Im Jahr 2002/2003 verlief die da- malige SARS-Pandemie mit deut- lich weniger weltweiten Auswir- kungen, vor allem in Europa war sie kaum spürbar. Warum ist das beim aktuellen Coronavirus, das in seiner Bezeichnung SARS-Cov-2 die historische Verwandtschaft deutlich macht, anders? Dar da- malige Virus SARS-Cov-1 hat eine ähnliche Andockstelle in den Lun- gen genutzt. Der entscheidende Unterschied beim aktuellen Coro- navirus besteht in den 14 Tagen, die man nun infiziert sein und das Virus verbreiten kann, ohne selbst zu erkranken. Das gibt es auch bei der Grippe nicht. Dieser Parameter macht es so schwierig, das neue Vi- rus zu bewältigen. Deshalb bin ich auch für den Schal vorm Gesicht, weil der alle Menschen auch in die- sen zwei Wochen schützen kann. Warum das erste SARS-Virus 2003 verschwunden ist, dazu gibt es ver- schiedene Theorien, gänzlich ge- klärt ist das bis heute nicht. Es gibt im Kindergarten und jemand wird krank, dann hat man eine ganz an- dere Klarheit. Nun werden künstli- che Kindergärten geschaffen und die Infektion kann erst recht gras- sieren. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche in den Schulen. Wir be- obachten, dass auch sie nicht rich- tig krank werden. Regelmäßiges Lüften und raus auf den Schulhof, das wären meines Erachtens die besseren Maßnahmen. In China und Südkorea hat man Co- rona vergleichsweise schnell in den Griff bekommen, China zählte bis Mitte März insgesamt rund 81.000 nachgewiesene Infektionen bei un- ter zehn täglich hinzukommenden neuen Fällen – warum werden für europäische Staaten deutlich grö- ßere Probleme im Millionenbe- reich diskutiert? Bei Todesfällen re- den wir je nach Region über etwa 0,1 bis 0,2% der Betroffenen. Diese Zahl ist aber immer schon sehr un- sicher. Nicht jeder geht zumArzt. In Wuhan war die Sterberate bei 2%, auf dem Land in der Provinz rings- umbei 0,2%. In Brandenburg sieht das bestimmt auch anders aus als im großen Berlin mit viel Verkehr. Deshalb kann man solche Zah- len schwer vorhersehen. Die WHO hat sich vor einigen Jahren schon einmal völlig verrechnet, deshalb agiert man dort auch vorsichtiger. In China ist das Virus bereits rück- läufig. Dazu muss man aber wis- sen, dass die Menschen in China in einer hohen Konzentration auf ei- ner kleinen Fläche leben, Wuhan zählt rund 21 Mio. Bewohner. Dort herrscht eine enorme Populati- onsdichte, in manchen Hochhäu- sern leben über 1.000 Menschen. Die durften allesamt nicht vor die Tür. Eine Maßnahme dieser Konse- quenz ist bei uns nicht durchführ- übrigens noch ein weiteres Virus mit ähnlicher Wirkungsweise, das MERS-Coronavirus. Das kommt im Mittleren Osten vor und wird von Kamelen übertragen, es ist hochan- steckend mit einer sehr hohen To- desrate. Dieses Virus ist bis heute nicht verschwunden, wahrschein- lich, weil es mit Kamelen nicht so viele Berührungspunkte gibt. Es ist bis heute nicht zu uns vorgedrun- gen und ein lokales Problem ge- blieben. Wenn die Gefahr von Viren bekannt ist, warum sind wir dann scheinbar so schlecht vorbereitet? Jedes Virus ist ein bisschen anders. Bill Gates redet seit Jahren von ei- ner großen Influenza-Pandemie, die umdieWelt gehen wird. Wir ha- ben 2006 einen Pandemieplan für Influenza entwickelt, an dem ich auch beteiligt war. Die Grundlage war aber immer Influenza. Später betrachtete man Ebola als Gefahr. Dann tauchte vor gut vier Jahren das Zikavirus in Südamerika auf, bei dem viele Mütter missgebildete Kinder zur Welt brachten. Man er- griff extreme Maßnahmen und so ist auch das ein lokaler Fall geblie- ben. Viren sind extrem vielseitig – und es ist die These meiner wissen- schaftlichen Arbeit, dass sie unsere menschliche Spezies erst so viel- seitig und erfolgreich gemacht ha- ben. 1999 sind in New York die Krä- hen vom Himmel gefallen. Damals wurde das Virus sofort identifiziert und als West-Nil-Virus bezeichnet. Nach fünf Jahren war Amerika von New York bis San Francisco durch- infiziert, das Virus hatte aber eine geringe Todesrate. Was ich deut- lich machen möchte: wir können uns nicht vor allen Eventualitäten schützen. Das Problem ist: Viren nehmen kurzeWege. Durch un- » Seite 61 :: Spezial

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