lausebande-04-2020
dene Immunsysteme, die von den Viren verursacht wurden. Viren bringen etwas hinein und trainie- ren uns, vielleicht leisten sie auch einen Beitrag bei der Entstehung von Krebs. Wenn wir Glück haben, ist irgendwann auch HIV vorbei, weil es in unserem Erbgut verin- nerlicht ist. In zehn Generationen könnte das der Fall sein, so ist das vor Millionen von Jahren schon ein- mal der Fall gewesen. Dank der Vi- renmüssen wir Frauen heute keine Eier mehr legen. Wie meinen Sie das? Das ist in mei- nem Buch über die „Supermacht“ der Viren genau beschrieben. Viren sind vor rund 60 Mio. Jahren in das Erbgut vieler Säugetiere eingedrun- gen, das ist mehrfach passiert. Die- se Viren waren hochverwandt zum HIV-Virus. Das HIV hat ein Oberflä- chenmolekül, das bei HIV-Patienten mit Aids-Erkrankung eine Immun- suppression auslöst. DieselbenMo- leküle, aufs Molekül genau, haben die Mütter zu immundefizienten Müttern gemacht, die ihren Emb- ryo immunologisch nicht mehr an- greifen. Damit konnte der Embryo im Uterus heranwachsen und wir brauchen weder einen Beutel wie die Kängurus noch eine harte Scha- le wie die Vögel. Er verursacht kei- ne Immunabwehr bei der Mutter, die ja quasi einen halben Vater als Fremdkörper in sich trägt. Die Im- mundefizienz der Mutter ist tatsäch- lich verwandt zur Immundefizienz HIV-Erkrankter. Sie tritt nur in ei- nem anderen Zellsystem auf, be- schränkt auf den Uterus. Bei HIV- Erkrankten betrifft dies hingegen die wichtigsten Zellen zur Immun- abwehr. Sollten Familienmit dem aktuellen Corona-Virus also entspannt um- sere hohen Bevölkerungsdichten, die wir zunehmend in verschiede- nen Bereichen der Erde, aber auch auf Bahnhöfen und Flughäfen er- leben, finden Viren neue Möglich- keiten vor. Sie sind dort zuhause, wo viele Menschen auf kleinem Raum leben und wo es Reisetätig- keiten gibt. Sie bezeichnen Viren auch als Trei- ber der menschlichen Evolution, bedeutet das, auf Corona bezogen, es trägt zur Entwicklung unserer Spezies bei? Ja, Viren haben uns schlau gemacht. Es gibt verschie- dene Viren. Ob uns das Coronavi- rus weiterhilft, weiß ich nicht. Viel- leicht hilft es uns soziologisch und wir haben durch die aktuelle Aus- nahmesituation später tolle IT-Leu- te oder einen geburtenstarken Jahr- gang. Ein Vorteil ist sicher, dass wir jetzt die Digitalisierung voranbrin- gen. Ich lade meine Vorlesungen für die Uni Zürich aktuell auch in die Cloud, wo die Studierenden sich das anschauen können. Wir wer- den uns vielleicht von der Welt- ökonomie unabhängiger machen. Das sind aber eher praktische Din- ge. Die Viren, die uns verändert haben, das sind die HIV-ähnlichen Viren. Sie können in unser Erbgut eindringen, ein wichtiger Teil von uns besteht also aus diesen Viren. Sie liefern uns Neuigkeiten. Jedes Virus macht es anders. Diese Vari- abilität der Viren hat bei der Entste- hung unserer Immunsysteme eine grundlegende Rolle gespielt. Das ist wie der Krieg zwischen zwei Parteien, quasi wie ein Waffenaus- tausch. Die Evolution unserer Im- munsysteme ist durch die Viren hochgetrieben worden. Auch das neue Virus wird Immunität erzeu- gen, selbst wenn es uns jetzt teils zum Tode bringt. Es gibt verschie- gehen? Kinder sind nicht so anste- ckend wie wir denken. Man kann sich ohnehin nicht vor allem schüt- zen. Gefährdet sind aber die sehr Alten, Kranken und Menschen mit Vorschädigungen. In gesunden Fa- milien reicht es, regelmäßigmit den Kindern samt Seife oder Spüli die Hände zuwaschen. Einfachmit den Kindern dabei zwei Mal „Happy Bir- thday“ singen, das macht Spaß und festigt das Händewaschen zu einer guten Gewohnheit. Kinder machen das mit großer Freude. Die aktuelle Medienflut in Deutsch- land rund ums Thema haben sie ne- ben den zwei SARS-Coronaviren als drittes Virus bezeichnet, was raten Sie Eltern, die sich richtig informie- ren möchten? Ich habe in diesem Zusammenhang auch darauf hin- gewiesen, dass es im vergangenen Jahr weltweit 1,5 Mio. Todesfälle an Influenza gab und darüber niemand spricht. Damit wollte ich das aktuel- le Virus keineswegs verharmlosen, sondern vielmehr darauf aufmerk- sammachen, dass Viren kein neues Thema sind und wir verhältnismä- ßig reagieren sollten. Man wird ei- gentlich gut informiert, die persön- liche Schlussfolgerung ist eher das Problem. Mein aktuell in den Medi- en sehr präsenter Wissenschaftskol- lege, der Virologe Christian Drosten, äußert sich beispielsweise sehr vor- sichtig und hat auch im TV gesagt, dass er sich beim Schließen der Schulen und Kitas mit einem kla- ren Ja oder Nein schwertut, weil man das gründlich abwägen muss. Informationen gibt es an vielen Stel- len. Ich halte es für ein Problemder Politik, dass sie klare Aussagen und Auskünftemeidet, es könnte ja den Job kosten. Da wird von Stunde zu Stunde agiert. Wer hat denn ei- gentlich über Nacht den Beschluss, Spezial :: Seite 62
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