lausebande-04-2020
Empfinden Sie die Maßnahmen, die aktuell von der Politik in Deutsch- land und anderen europäischen Staaten ergriffen werden, als rich- tig und sinnvoll? Im Prinzip ja, obwohl wir in Deutschland bei aktuell gesicher- ten 24 COVID 19- Todesfällen, de- nen 250 Todesfälle aufgrund der Influenza gegenüberstehen, noch eine vergleichsweise komfortable Situation haben. Dies kann sich jedoch bei der erwartbaren ex- ponentiellen Ausbreitung sehr schnell rapide verschlechtern, wenn nicht konsequente Gegen- maßnahmen ergriffen werden. Diese müssen aber mit Augenmaß durchgeführt werden. Eine Kaser- nierung der Bevölkerung halte ich nicht für angemessen, sogar kon- traproduktiv. Menschen zu Hau- se einzusperren macht krank, de- pressiv und fördert sowohl die Pandemie als auch die Suizidra- te. Ausgehverbote haben übri- gens auch in Italien keinen Erfolg gebracht. Bewegung an frischer Luft hingegen, moderate sportli- che Betätigung im Freien, natür- lich mit dem entsprechenden Ab- stand von mindesten 1,5 Metern zu anderen Personen, stärkt das Im- munsystem. Was sagen Berufskollegen in der Lungenheilkunde dazu? Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, das lässt sich nicht Dr. Frank Käßner startete sei- ne Laufbahn als Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkun- de mit einer Tätigkeit als Oberarzt in der Lungenklinik Kolkwitz. Als Pionier widmete er sich dann der Schlafmedizin und zählt heute zu den renommiertesten Schlafmedi- zinern unseres Landes. In seinem Ambulanten Zentrum für Lungen- krankheiten und Schlafmedizin betreut er heute insbesondere Ri- sikogruppen der aktuellen SARS- COV-2-Pandemie. Viele gut Grün- de für ein Gespräch zum Thema: Sie sind von Haus aus Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, wie gut kennen Sie sich mit dem Coronoavirus aus? Da schwere Verlaufsformen der SARS-COV2-assoziierten Erkran- kung COVID 19 primär die Lunge betreffen, habe ich mich in den letzten Monaten mit dem Thema beschäftigen müssen, viel gelernt und lerne täglich dazu. Viele Ihrer Patienten zählen zu den Risikogruppen, wie schätzen Sie de- ren Situation ein? Meine Patienten haben nicht nur mindestens eine chronische Krankheit, sondern sind meistens noch älter und haben Immundefi- zite. Damit sind sie besonders für die schweren Verlaufsformen ge- fährdet. Ich schätze die Situation als sehr ernst ein. Interview mit Lungenarzt und Schlafmediziner Dr. Frank Käßner „Eine Kasernierung der Bevölkerung halte ich nicht für angemessen“ verallgemeinern. Ein gutes Bild vom Meinungsspektrum erhält man auf der Webseite der Deut- schen Gesellschaft für Pneumolo- gie und Beatmungsmedizin unter pneumologie.de . Haben Sie eine Erklärung, warum wir uns mit dem Virus so schwer- tun, während es in Singapur, Tai- wan und Hongkong sehr schnell in den Griff bekommen wurde? Singapur, Taiwan und Hongkong sind geografisch kleine Areale mit logistisch hoch organisierten Strukturen, inklusive des Gesund- heitswesens. Zudem traf es diese Gebiete nicht unvorbereitet und es gab da schon Erfahrungen mit ähnlichen Epidemien aus der Ver- gangenheit sowie im Kampf gegen Erdbeben und Tsunami. Eine Studie besagt, dass das SARS- COV-2-Virus bis zu drei Tage auf Kunststoffen oder auch auf Edel- stahl haftet – sind Türklinken & Co. in Coronazeiten gefährlicher als di- rekte Kontakte? Nein, das sind experimentelle Da- ten mit unrealistischen Bedingun- gen, die in der Praxis wenig rele- vant sind. Tröpfcheninfektionen über Husten und Niesen sowie di- rekte Kontakte sind ansteckender als Schmierinfektionen. Gleich- wohl sollte man auch letztere mit geeigneten hygienischen Maß- nahmen wie beispielsweise der Spezial :: Seite 64
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