Aktuelles ‹ 3 den ersten Tagen und Wochen zum Kampf von David gegen Goliath, von Gut gegen Böse, von Demokrat gegen Autokrat stilisiert. Es wirkt manchmal gleich einem Marvel-Comic, wie der brutale Schurke Putin dem globalen Superhelden Selenskyi gegenübersteht. Putin und sein Machtzirkel gehören vor ein Kriegsgericht – aber es wird ein Russland nach dem Krieg und sicher auch nach Putin geben. Vielleicht müssen wir nachfolgenden Generationen zu Liebe akzeptieren, dass Sicherheit in Europa ohne den Einbezug Russlands nicht funktioniert? Nach der Wende, rund um die Jahrtausendwende, gab es die große Chance einer Annäherung zwischen Ost und West, dokumentiert in der Nato-Russland-Akte und gemeinsamen Manövern. Wir müssen uns nun fragen, warum wir Putin danach bei seinem Weg zugesehen haben? Heute ist Russland mit geringer Wirtschaftskraft einem Entwicklungsland gleich als Agrarland und Rohstofflieferant eingeordnet, Putin ist zum Sinnbild eines lebensfeindlichen und brutalen Autokraten geworden – gleichzeitig verfügt er aber über eine globale Militärmacht. Die gesamte Ökonomie ist der Militärmacht unterordnet. Im aufziehenden Kalten Krieg sollte uns auch die ambivalente Rolle Chinas Sorgen machen. Putins Krieg in der Ukraine könnte man dort auch als Testballon für eigene Ambitionen bei der „Wiedereingliederung“ Taiwans betrachten, die zu einer völlig neuen Dimension im Konflikt zwischen China und den USA führen würde. In der Vorschau auf die nächsten Präsidentenwahlen der USA in zweieinhalb Jahren könnten wir uns dann in einer Welt wiederfinden, in der mit Putin, Xi Jinping und dann evtl. wieder Trump drei Autokraten und Despoten die Macht haben. Mit solchen Gedanken und einem neuerlichen Kalten Krieg fühlt man sich an jenen 26. September 1983 erinnert, als das russische Satellitenfrühwarnsystem im Fehlalarm einen amerikanischen Raketenangriff meldete und die Welt nur einen Knopfdruck vom ersten Atomkrieg entfernt war – oder als die Sowjetunion in den 1960erJahren Atomraketen auf Kuba installierte und es fast zum direkten Konflikt mit den USA kam. Wir könnten wieder auf diese längst vergessen geglaubten Zeiten zusteuern. Allerdings birgt die neue Einheit des Westens – ebenso wie die Einigkeit und der Kampf des ukrainischen Volkes für seine Freiheit und unsere Werte – auch Chancen. Es kann neues Bewusstsein für unsere westlichen Werte, für die Errungenschaften unserer Demokratie entstehen. Wir haben in unserer heilen Welt ein stückweit vergessen, dass nur etwa jedes 20. Land auf unserem Planeten über eine funktionierende, liberale Demokratie verfügt. Nach der zunehmenden Polarisierung selbst in den liberalen Demokratien des Westens – die im Sturm aufs Capitol und den Reichstag gipfelten – könnte Putins Krieg wachrütteln und dazu führen, dass bestehende Probleme endlich pragmatisch angepackt werden. Auch die Ukraine war vor dem Krieg einer korrupten Oligarchie näher als unserem Selbstverständnis einer liberalen Demokratie. Nun kämpft dort ein ganzes Volk für unsere demokratischen und freiheitlichen Werte. Das kann Kindern auch Hoffnung machen. Für uns und unsere Kinder sollten nun über den Klimaschutz hinaus viel mehr der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen Relevanz entwickeln. Jene Ziele, die quasi als eine Art Weltzukunftsvertrag bis zum Jahr 2030 für eine Transformation unserer Erde hin zu mehr Enkeltauglichkeit sorgen sollen, finden Sie im Titelthema dieser Ausgabe ausführlich umschrieben. Leider gilt es jetzt erst einmal, im ersten Schritt so viel wie möglich des alten Zustands zu retten, den wir eigentlich verbessern wollten. Hoffentlich machen unsere Kinder den nächsten Schritt dann besser als wir. Vielleicht können Sie nicht jedem dieser Gedanken folgen, vielleicht sind Sie auch völlig anderer Meinung. Wenn diese Zeilen zu einem Diskurs beitragen können, ist das Ziel aber auch schon erreicht. Sprechen Sie mit Ihren Kindern, spenden Sie für die zivilen Opfer des Kriegs, demonstrieren Sie für Frieden und ein Ende des Kriegs, seien Sie ein Stück der Willkommenskultur in unserem Land für jene, die nun zu uns kommen. Und tragen Sie dazu bei, dass wir gemeinsam mit der nächsten Generation die Welt ein bisschen besser machen, als wir sie heute vorfinden. Für Solidarität mit dem ukrainischen Volk und für ein Ende des Kriegs! Jens Taschenberger, Herausgeber lausebande – eine Zeitenwende auch für Familien
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