Titelthema ‹ 63 aktuell ist und wieso auch Kinder schon mit seinen Grundsätzen vertraut gemacht werden sollten. Früher war alles besser? Wer selbst Kinder großzieht, hat vermutlich schon mal den Satz an den Kopf geworfen bekommen: „Die Kinder von heute wissen gar nicht mehr, was gute Erziehung ist.“ Es ist ein Klagelied, das jede Generation aufs neue anstimmt. Immer ist es um die Manieren der Jugend schlecht bestellt. Schon lange vor Beginn unserer Zeitrechnung mit Christi Geburt wurde auf die Jugend geschimpft: Auf einer 5.000 Jahre alten Tontafel der Sumerer heißt es: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ 2.000 Jahre später hieß es auf einer Babylonischen Tontafel: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“ Sokrates soll vor gut 2.500 Jahren geklagt haben: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Dessen Schüler Aristoteles wiederum beschwerte sich: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Selbst Knigge beklagte den fehlenden Respekt vor den Älteren. Und so ließe sich die Zitate-Sammlung bis in die heutige Zeit fortsetzen. Der jüngste Ausbildungsbericht der Deutschen Industrie- und Handelskammer beklagt die fehlenden Kompetenzen einiger Bewerber: „Auch wenn sich die Unternehmen nach Kräften für ihren Nachwuchs engagieren, können sie in der Schule und in Elternhäusern Versäumtes nur begrenzt wettmachen.“ Wandel von Gesellschaft und Familie Insofern lässt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche heute ein schlechteres Benehmen zeigen als noch zu Zeit unserer Großeltern, nicht pauschal beantworten. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zum einen haben sich im Laufe der Jahrhunderte die sozialen Normen und Erwartungen verändert. Während es zu Knigges Zeiten noch unschicklich war, wenn Frauen Bücher lasen, stehen Mädchen heute alle Berufswege offen. Was vor zwei Generationen als unhöflich oder unangemessen galt, kann heute möglicherweise toleriert oder sogar akzeptiert werden. Dies führt dazu, dass bestimmte Verhaltensweisen heute anders wahrgenommen werden. Dieser Wertewandel trifft gerade in Familien auf veränderte Grundsätze und Methoden in der Erziehung. Während unsere Eltern oft noch autoritär und mit strenger Hand erzogen wurden und stets zu gehorchen hatten, setzen heute immer mehr Eltern auf eine bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung. Diese stellt die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund und nicht die Erwartungen der Gesellschaft. Nicht zuletzt haben die gesellschaftlichen Veränderungen Einfluss darauf, wie Kinder aufwachsen und wie sie sich verhalten: Familienstrukturen sind heute nicht mehr so stabil und groß wie vor zwei oder drei Generationen. Kinder wachsen häufiger als früher in Patchwork-Familien oder mit nur einem Elternteil auf. Nur noch selten leben mehrere Generationen unter einem Dach, so dass hier nicht mehr automatisch die Werte der Großeltern-Generation erlebt und vermittelt werden. Die zunehmende Digitalisierung gehört ebenso zu den Veränderungen, die sich auf das Verhalten von Kindern auswirken. Kinder nutzen schon früh Kommunikationsformen, die es in der Kindheit ihrer Eltern noch gar nicht gab. Warum ist gutes Benehmen wichtig? Selbst wenn die Meinungen über die angemessene Erziehung manchmal auseinander gehen, so sollte doch Einigkeit darüber herrschen, dass gewisse Grundlagen guten Benehmens dazugehören. Höflichkeit und Respekt tragen dazu bei, Konflikte zu vermeiden und erleichtern das Miteinander. Darüber hinaus hinterlässt ein freundliches Auftreten einen bleibenden Eindruck und kann Türen öffnen, sei es im beruflichen oder privaten Bereich. Kinder, die frühzeitig die Grundlagen guten Benehmens erlernen, haben daher einen Vorteil im Leben. Letztendlich ist gutes Benehmen nicht nur eine Frage der Etikette, sondern auch ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. Adolph Freiherr von Knigge mag vor über 200 Jahren gelebt haben, seine Lehren sind jedoch zeitlos. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, Kindern die Grundlagen guten Benehmens zu vermitteln. Der erste und wichtigste Ort, wo Kinder genau das erlernen, ist die Familie. Das sind zunächst einmal die Eltern, aber auch große Geschwister, Großeltern, Tante und Onkel.
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