lausebande-04-2025

54 › Titelthema 500.000 Arten. Eine Metastudie der Universität Belfast im Jahr 2023 ermittelte, dass bei knapp der Hälfte der über 70.000 untersuchten Wirbeltier- und Insektenarten teils stark schrumpfende Populationen auf einen schnelleren Niedergang der Artenvielfalt hinweisen, als bis dahin vermutet wurde. Im Alltag fast unbemerkt, befinden wir uns im größten Massenaussterben seit der Zeit der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Selbst vor unserer eigenen Haustür, in Europa, ist laut einer aktuellen Studie (vom Team des Nationalmuseums für Naturgeschichte in Luxemburg in Zusammenarbeit mit der Universität Trier) in den nächsten Jahrzehnten jede fünfte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht. Menschgemachtes Massenaussterben Skeptiker in Sachen Natur- und Artenschutz verweisen nicht selten darauf, dass es ein Massenaussterben der Arten und starke Veränderungen in Flora und Fauna in der Erdgeschichte schon mehrfach gab. Tatsächlich leben heute – bezogen auf die bislang erforschte Geschichte unseres Planeten – im Konsens der fachbezogenen Wissenschaft nur noch 1 Prozent der Arten, die es jemals auf der Erde gab – während 99 Prozent in vergangenen Erdzeitaltern bereits ausgestorben sind. Dabei sorgten teils langfristige geologische Abläufe, häufig aber auch zeitlich eng begrenzte Katastrophen samt klimatischer Veränderungen für einen immensen Artenschwund. Für die letzten rund 500 Millionen Jahre ist das heute sehr gut erforscht. Dabei ragen fünf Ereignisse besonders heraus, die man heute als die sogenannten „großen Fünf“ (auch Big Five) und als „Massenaussterben“ bezeichnet. Man schätzt, dass bei den großen Fünf der jeweilige Artenschwund bei wahrscheinlich 70 bis 75 Prozent oder zum Teil sogar darüber lag – im Einzelnen sind das: • das Ordovizische Massenaussterben vor 444 Mio. Jahren • das Kellwasser-Ereignis im Oberdevon vor 372 Mio. Jahren • das Ereignis an der Perm-Trias-Grenze vor 252 Mio. Jahren • die Krisenzeit an der Trias-Jura-Grenze vor 201 Mio. Jahren • das Massenaussterben an der Kreide-PaläogenGrenze vor 66 Mio. Jahren (bekannt als das Aussterben der Dinosaurier) Darüber hinaus werden in der Wissenschaft weitere Ereignisse mit einem Artenschwund von bis zu über der Hälfte diskutiert. Während einige Massenaussterben im Zeitraum vieler Millionen Jahre durch Erderwärmung oder -abkühlung – also aufgrund von Klimawandel oder Veränderungen in den Ozeanen, wie wir sie heute auch beobachten – stattfanden, werden bei anderen Ereignissen Vulkanismus und Einschläge kosmischer Kleinkörper als Ursache gesehen. Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass mit dem Menschen aktuell erstmals eine Art selbst ein Massenaussterben auslöst. Die Aussterberate der Arten liegt derzeit nach Schätzungen bis zu 1.000-fach über dem „normalen“ Hintergrundaussterben. Laut WWF hat sich die Artenvielfalt seit den 1970er-Jahren bei der Zahl der Säugetiere, Vögel, Reptilien und Fische im Schnitt halbiert, die Welt verliere demnach täglich sogar 380 Tier- und Pflanzenarten. Daten aus Studien sind alarmierend: • Der 2020 erstellte Living Planet Report („Lebender-Planet-Bericht“) des WWF meldete bei weltweit über 14.000 untersuchten Tierpopulationen einen Rückgang der Bestände um ca. 70 Prozent innerhalb von 50 Jahren. • Der Bericht 2016 dokumentierte bereits vier Jahre zuvor, dass die weltweiten Tierbestände in Flüssen und Seen im Schnitt um 81 Prozent abgenommen haben. • Nach einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES-Artenschutzkonferenz in Paris) vom Mai 2019 sind bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht – 500.000 davon werden als „dead species walking“ (sinngemäß lebende Tote) bezeichnet. Noch nie in der Erdgeschichte ist ein Massenaussterben durch Veränderungen in Klima und Ozeanen in dieser Geschwindigkeit passiert – das menschgemachte Massenaussterben weist somit eher Parallelen zu geologischen Katastrophen auf. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von zerstörten Lebensräumen über Umwelt- und Lichtverschmutzung bis zu Überfischung, vermehrten Virusinfekten und zur Jagd. Aber es gibt auch Hoffnung – und der Mensch ist für sein eigenes Überleben letztendlich auf Artenvielfalt angewiesen, wenn er nicht selbst Teil des sechsten Massenaussterbens sein möchte. Denn – und das sollte uns zu denken geben – der Mensch ist trotz seiner Intelligenz bei Veränderungen in Klima und Natur nicht sehr anpassungsfähig und vielmehr auf eine halbwegs intakte Umwelt angewiesen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2