Titelthema ‹ 67 Ist von Natur und Wildnis die Rede, haben wir Deutschen vor allem das Bild von ursprünglichen Wäldern vor Augen. Viele Renaturierungsprojekte widmen sich entsprechend der Aufforstung oder überlassen Landschaften der vermeintlichen „Wildnis“, sodass der Pflanzenwuchs nach und nach fast zwangsläufig zu Wäldern führt. Fast jeder wird mit dem Wald dabei wichtige Funktionen als Wasser- und CO2-Speicher verbinden, die meisten vermuten im Wald eine besonders große Artenvielfalt und Biodiversität. Oft findet man historische Darstellungen, in denen Europa in einstigen Zeiten samt intakter Natur als komplett bewaldet dargestellt wird. Immer mehr Forschungs- und Naturschutzvorhaben zeigen inzwischen aber, dass neben den Wäldern ein Landschaftstyp besonders wichtig für unsere Natur und Biodiversität ist: Offenlandschaften. Sie beherbergen teils neunmal so viele Arten wie Wälder – selbst Moose und Flechten kommen hier in deutlich größerer Anzahl und Artenvielfalt als im Wald vor. Viele Waldbewohner finden im Offenland und am Waldrand ihre Nahrung. Dabei spielt die Beweidung von Offenland durch große Weidetiere wie Pferde oder Wisente eine sehr wichtige Rolle: denn sie erhalten als Pflanzenfresser die offene Landschaftsstruktur und verhindern hohen Bewuchs, gleichzeitig wird ihr Dung zum Ausgangspunkt einer überraschenden Biodiversität und schafft Humusboden. In der Wissenschaft hat sich so längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass die intakte Natur einst – da viele Großtiere von Mammut bis zu Wisent, Rothirsch und Wildpferden durch die Landschaft zogen – viel stärker von offenen Strukturen geprägt war. Beweidete Offenlandschaften sind aber nicht nur gut für die Biodiversität, sie binden sogar deutlich mehr CO2 und leisten somit auch einen besseren Beitrag zum Klimaschutz. Deutschlands Vorzeigeprojekt für eine solche Offenlandschaft befindet sich übrigens in Brandenburg, in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide. Hier leben Wisente, Rotwild und Przewalski-Pferde in einer streng geschützten und umzäunten Kernzone. Familien können die Landschaft und die großen Weidetiere auf verschiedenen Wanderwegen um diese Kernzone und von Aussichtspunkten mit etwas Glück beobachten. Ein Tipp für Interessierte: Der Naturfilmer Jan Haft beschreibt in seinem Buch „Wildnis“ sehr verständlich, warum wir uns stärker mit Offenlandschaften beschäftigen sollten und was sie bewirken können. Das Buch ist in den gängigen Onlineshops für 20 Euro erhältlich. Buchtipp: Jan Haft: Wildnis, 144 Seiten, gebundene Ausgabe, erhältlich für 20,- Euro Offenland für mehr Biodiversität Die Kernzone von Sielmanns Naturlandschaft in der Döberitzer Heide wird von großen Weidetieren wie Wisenten und Przewalski-Pferden durchstreift. Fotos: Ingolf Koenig-Jablonski, Sielmann Stiftung
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