lausebande-05-2019
Titelthema :: Seite 62 öffentlichem Geld. Und der Grund dafür ist, dass uns ständig Angst gemacht wird davor, unsere Kin- der könnten „abgehängt“ wer- den. Fakt hingegen ist: wer digi- tale Medien zu viel nutzt, dessen Bildung und Gesundheit leidet und der wird daher auch langfris- tig „abgehängt“ sein. Das müssen Eltern wissen. Je älter der Nachwuchs wird, des- to mehr Zeit verbringt er vor dem Bildschirm. Eltern sorgen sich dann um fehlende analoge bzw. reale Erfahrungen. Ist diese Sor- ge berechtigt? Ja! Der Aktionsradius von Kindern beträgt heute nur noch zehn Pro- zent dessen, was er vor 30 Jahren einmal war. Früher streunte man in der Umgebung herum und lern- te sie kennen. Das gibt es heute nicht mehr. Die Folgen sind Bewe- gungsmangel, aber auch geringe- res praktisches Wissen. Mit dem kürzlich beschlossenen Digitalpakt werden digitale Medi- en zunehmend in die Schulen ein- ziehen – ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg? Definitiv nicht! Bereits 2012 wur- den im Fachblatt Science wissen- schaftliche Arbeiten publiziert, die Smartphones und Tablets werden erst seit einigen Jahren sehr inten- siv genutzt. Lässt sich überhaupt schon beurteilen, ob und welche Langzeitfolgen das auf Heran- wachsende hat? Die gibt es durchaus bereits. Smartphones verursachen Kurz- sichtigkeit, Angst, Depression, Demenz, Aufmerksamkeitsstö- rungen, Schlafstörungen, Be- wegungsmangel, Übergewicht, Haltungsschäden, Diabetes, Blut- hochdruck und ein erhöhtes Ri- sikoverhalten beim Geschlechts- und Straßenverkehr: Die Nutzung von sogenannten Geo-social Net- working Apps fördert täglich mil- lionenfachen Gelegenheitssex und damit eben auch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Was den Straßenverkehr anbelangt, so wissen die Wenigsten, dass Smart- phones mittlerweile bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer 1 abge- löst haben. Gibt es belastbare Aussagen dazu, mit welchen körperlichen Verän- derungen die intensive Nutzung digitaler Medien einhergeht? Sämtliche gerade genannten Aus- sagen sind mit medizinisch-wis- senschaftlichen Studien belegt. Wie verändern digitale Medien das Sozialverhalten von Kindern? Sie bewirken einen Verlust von Vertrauen und Empathie. Da sie auch Ängste und Depressionen verursachen, ist es ein Märchen, dass sie unser Sozialleben berei- chern. Das Gegenteil ist der Fall. Wie haben digitale Medien in den vergangenen zehn Jahren das Fa- milienleben verändert? Sehr zum Nachteil: Man redet we- niger miteinander, es herrscht mehr Misstrauen, Angst und De- pressivität. Alle stöhnen, dass sie keine Zeit mehr haben, und alle verbringen ihre Zeit vor dem klei- nen Bildschirmchen des Smart- phones, nach dem viele schon süchtig sind – Eltern wie Kinder. Die Empfehlungen zur Mediennut- zung von Kindern variieren stark. Wie finden Eltern verlässlich Ori- entierung, die zugleich der Reali- tät in Schulen und Kinderzimmern gerecht wird? Ich finde dieses Gerede von „der Realität“ sehr fragwürdig: Smart- phones und Spielkonsolen fallen ja nicht wie der Regen vom Him- mel! Wir kaufen sie, mit privatem und (im Rahmen des Digitalpakts) Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer studierte Medizin, Psychologie und Philosophie. SeineTätigkeit als Oberarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg und Forschungsaufenthalte in den USA prägten das weitere wissenschaftlicheWerk an der Schnittstelle von Neurobiologie, Psychologie und Psychiatrie. Seit 1997 ist er Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm. Er sagt: Smartphones machen Eltern und Kinder gleichermaßen süchtig und haben negative Auswirkungen auf Kindheit, Lernen und Familienleben. Digitale Medien schaden der Bildung
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