lausebande_05-2021

werden wir meines Erachtens noch über Jahre aufrechterhalten müssen. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der Priorisierung von Kitas und Grund- schulen bei aktuellen Öffnungsstrategien? Das Bild kann sich je nach Infektionslage ändern und wir müssen lokal darauf reagieren können. Wir haben bei uns derzeit einen Ausbruch an einer Schule und da muss natürlich schnell iso- liert werden. Ich finde die Politik, wie sie im Mo- ment läuft, gar nicht so verkehrt. Natürlich ist es für die Schüler schwer, die aktuell nicht in die Schule gehen können. Die Situation für die Kitas ist ebenso herausfordernd, aber hier hilft nur Testen. Die Tests werden auch immer sicherer und besser verfügbar. Wenn wir breiter testen können, dann ist es sicher auch wieder einfa- cher, Kinder regelmäßig in Kitas und Schulen zu schicken. Sehr wichtig ist mir dabei, dass vor allem die Erwachsenen geimpft sind – viel- leicht können wir dann sogar vorerst darauf ver- zichten, die Kinder zu impfen. Erste Impfstoffe für Kinder befinden sich bereits in Studien für die schlussendliche Zulassung, bei Biontech bereits ab dem 6. Le- bensmonat – halten Sie es nicht für wichtig, dass auch Kinder vollständig und zeitnah eine Impfung erhalten? Wenn die Impfungen für sie sicher sind, dann sollte man auch Kinder und Jugendliche gegen SARS-CoV-2 impfen. Ich habe bei der soge- nannten Schweinegrippe vor gut zehn Jahren drei Kinder sterben sehen. Bei impfpräventablen Er- krankungen sollte man meines Erachtens immer impfen. Natürlich verunsichern die thromboem- bolischen Ereignisse (Blutgerinnungsstörungen, Anm. d. Red.) , die wir derzeit bei Vektorimpfstoffen gegen das Coronavirus sehen. Ich muss mit Blick auf bereits bekannte Daten aber auch feststellen, dass die Erkrankung selbst zu diesen Ereignissen führen kann. Bei vielen Patienten, die in diesem Zusammenhang schwere Verläufe erleiden, wissen wir ja gar nicht, ob sie bereits die Infek- tion in sich getragen haben und erst dann geimpft worden sind. Ein Freund meiner Familie ist zwei Tage nach der Impfung mit Astrazeneca schwer erkrankt und vor Kurzem an der Covid-Infektion verstorben. Bei ihm kam die Impfung einfach zu spät. Wenn wir sichere Daten haben, sollten wir auch Kinder mit einer Impfung vor schweren Ver- läufen und eventuellen Folgen schützen. Gibt es auch aktuelle Erkenntnisse aus dem Klinikalltag, die Eltern und Kinder zuver- sichtlich stimmen können? Wir haben 50 Mio. Impfdosen vor der Tür liegen. Wenn wir beim Impfen jetzt den Turbo ein- schalten, dann können wir die vierte Welle ver- hindern. Wir stecken jetzt mitten in der dritten Welle. Manche Kliniken müssen bereits über eine Triage* nachdenken. Das ist für Mediziner die schlimmstmögliche Entscheidung. Das wird meines Erachtens eine ganze Generation an Kli- nikmitarbeiter*innen schädigen. Deshalb ist das Tempo bei der Impfung so wichtig, und wenn wir hier besser werden, dann bin ich auch zuver- sichtlich, dass Kinder und Jugendliche ab dem Herbst wieder problemlos in Kita und Schule sein können. Sicher sollten sie weiterhin regel- mäßig getestet werden, lernen, sich die Hände regelmäßig zu desinfizieren und dann auch ein- zucremen. Ich denke aber, dass wir im Sommer lockern können und später eine abgemilderte Welle erleben. Schaffen wir es aber nicht, unsere Bevölkerung im Verlauf des Sommers weitge- hend durchzuimpfen, werden wir ab dem Spät- sommer mit Sicherheit eine vierte Welle erleben. Hier muss sich die Politik endlich den tatsäch- lichen Problemen widmen. Es kann nicht sein, dass der bereits laufende Bundestagswahlkampf weiter Menschenleben gefährdet. Weniger Per- fektion und Pragmatismus beim Impfen und zwei Wochen harter Lockdown wären zur Brem- sung der dritten Welle der richtige Weg gewesen. Hier konnte sich unsere Bundeskanzlerin leider nicht durchsetzen. Ich bin gespannt, wie viele Menschen unsere Regierung demnächst ver- klagen, weil ihre Angehörigen gestorben oder schwer zu Schaden gekommen sind. Vielen Dank für das Gespräch. (Das Gespräch führten wir am 16. April 2021) *Triage: Priorisierung einer (medizinischen) Ver- sorgung bei Engpässen, im Falle der Beatmung bei schweren Covid-19-Krankheitsverläufen die Ent- scheidung, welcher Patient eine Beatmungstherapie erhält und welcher Patient nicht versorgt wird, also sterben muss (sogenannte „harte“ Triage) bzw. Ver- schiebung von Operationen zum Freihalten von Intensivbetten für Covid-Patienten mit evtl. Todes- folgen für dann nicht Operierte („weiche“ Triage). Corona Update ‹ 43

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