lausebande_05-2021

Kai Vierbücher ist Neu-Cottbuser und kommt zur rechten Zeit. Während viele Praxen der lokalen Psychotherapeuten infolge der Pandemie ausgelastet sind, ermöglicht er Eltern Hilfe zur Selbsthilfe. Sein Weg, psychisch auffälligen Kin- dern zu helfen und Spannungen im Eltern-Kind- Verhältnis zu begegnen, beginnt nämlich bei den Eltern. Wir sprachen mit demWahl-Cottbuser: Wieso verschlägt es einen Berliner Thera- peuten in die Lausitz? Mein Herz schlägt schon seit Langem für den Spreewald und wie das Schicksal es wollte, sorgte die Liebe zu meiner Frau für den Umzug in meine neue Wahlheimat Cottbus, die ja als Tor zum Land der Fließe gilt. Was sind zurzeit die häufigsten Anliegen von Eltern in Ihrem Praxisalltag? In Zeiten von Onlineunterricht, der Einschrän- kung sozialer Kontakte und fehlender Freizeit- bzw. Sportaktivitäten erkennen immer mehr Eltern im Verhalten ihrer Kinder psychische Auf- fälligkeiten. Viele Eltern kommen zu mir und klagen über zu viel Medienkonsum ihrer Kinder, Streits innerhalb der Familie, teilweise mit ag- gressiven Wutausbrüchen und tendenziell anstei- gender Frustration auf allen Seiten. Aber ich bin der Meinung, dass diese momentane Extremsitu- ation nur das aufzeigt, was in den betroffenen Fa- milien unterschwellig schon viel länger brodelt. Die Probleme wurden in den Familien zuvor also einfach nie wahrgenommen? Absolut korrekt. Z.B. ist jedes dritte Kind von einer Trennung der Eltern betroffen, und dabei gehe ich nur von den verheirateten Eltern aus. Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit höher. Die mit der Trennung einhergehenden Veränderungen sind u.a. ursächlich für psychische Auffälligkeiten der Kinder. Und desto emotional verletzter ein Elternteil ist, desto größer werden auch die emo- tionalen Verletzungen des betroffenen Kindes sein. Sehr oft verarbeiten Kinder ihre psychischen Schmerzen nicht, sondern packen diese in Schub- „Glückliche Kinder kann es nur mit glücklichen Eltern geben“ Interviewmit Psychotherapeut Kai Vierbücher. laden ihres Unterbewusstseins, in der Hoffnung, die Sorgen würden dort verbleiben. Aber auch „intakte“ Familien können disharmonische Fa- milienverhältnisse aufzeigen, unter denen dann die betroffenen Kinder Kompensationsstrategien entwickeln, die die Eltern als störend empfinden. Was raten Sie denn betroffenen Eltern in so einem Fall? Der erste Schritt ist eine gesunde Selbstreflektion der Eltern, denn die Verhaltensweisen der Kinder sind im Grunde nur ein Spiegel der kindlichen Anteile der Eltern. Ein Beispiel: Eltern, die sich oft streiten, erzeugen ein disharmonisches Fami- lienbild und die Kinder in dieser Familie passen sich mit ihrem Verhalten entsprechend an. Sie fangen an zu motzen, machen mehr oder weniger ihr Ding, suchen nach Ersatzbefriedigung und Glücksmomenten u.a. beim Zocken, Tiktok oder Insta & Co. und wirken trotzdem gegenüber den Eltern zunehmend unzufriedener. Im ungüns- tigsten Fall verschließen sich Kinder komplett, werden depressiv und unnahbar. Unterm Strich geht es um die psychischen Grundbedürfnisse: Lustgewinn & Unlustvermeidung, Orientierung & Kontrolle, Bindung, Selbstwerterhöhung & Selbstwertschutz. Sind eine oder mehrere dieser psychischen Grundbedürfnisse gestört, lebt der Mensch in Disharmonie. Glückliche Kinder kann es demzufolge nur mit glücklichen Eltern geben. Wie wird man denn nun glücklich als Eltern? Eltern sehen den Leidensdruck und die Persön- lichkeitsveränderung ihrer Kinder und suchen dann Hilfe bei einem Kinder- und Jugendthera- peuten. Ich bin aber der Ansicht, dass in der Ursa- chenanalyse der Schlüssel zum Glück liegt und nicht ausschließlich in der Symptombehandlung. Viele Eltern haben im Laufe ihrer Beziehung die emotionale Verbindung zueinander verloren und sind in ihrem Alltagstrott gefangen. Die „Liebe“, die diese Eltern ihren Kindern vorleben, werden die Kinder später als Erwachsene höchstwahr- scheinlich wieder erleben. Also sehe ich hier eine große Verantwortung der Eltern in dem zukünf- 44 › Corona Update

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