Unser Bezug zum Sorbischen beschränkt sich bisher auf das Bewundern gewachster oder gekratzter traditioneller Ostereier und dem Beiwohnen von Bräuchen wie dem Maibaumwerfen und dem Osterreiten. Umso spannender war für unsere Kinder der Besuch ihrer Freundin, die seit kurzem etwas sorbisch spricht. Auch ihre Familie hatte bisher nur wenig Bezugspunkte zum Sorbischen. Seit diesem Schuljahr aber besucht die Tochter eine Grundschule, an der Sorbisch unterrichtet wird. Und nun purzelten ein paar sorbische Wörter und Verse aus ihrem Mund, die in den Ohren meiner Kinder ziemlich exotisch klangen. Was daran alle ziemlich praktisch finden: Die junge Sorbischschülerin hat jetzt eine Geheimsprache. In der kann sie sichmit ihrer besten Freundin austauschen, Mama und Papa sind raus. Das fanden meine Kinder so toll, dass sie sich selbst ihre eigene Geheimsprache ausgedacht haben: Pferdisch. Ähnlich dem Morse-Alphabet stehen „Hü“ und „Brrrr“ in unterschiedlicher Reihenfolge und Häufigkeit für die gängigsten Wörter. Pferd spielen (nicht reiten wohlgemerkt!) gehört ohnehin zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Kaum dass wir draußen sind, steigen sie auf ihre imaginären Pferde, nehmen die gedachten Zügel in die Hand und preschen im Galopp davon. Sie sind dann so weit weg, dass sie ihre Pferdesprache gar nicht bräuchten, weil wir sie sowieso nur noch sehen, aber nicht mehr hören können. Wenngleich ich Pferdisch nicht verstehe, mag ich die Geheimsprache sehr. Sie ist mir um Längen lieber, als die „Geheimsprache“ von Babys. Ich war leider nicht die tiefenentspannte Bilderbuchmama, die ich mir während meiner ersten Schwangerschaft so schön ausgemalt hatte. Frau hat da ja so ihre Vorstellungen, wie süß und niedlich so ein kleiner Zwerg ist und wie man sich schön ins Bett kuschelt. Und dann ist da auf einmal dieser Schreihals da und wirbelt alles durcheinander. Ich habe inmeiner Verzweiflung etliche Ratgeber gelesen, wie man mit Schreikindern umgeht. Viel Hoffnung setzte ich in folgenden oft gelesenen Hinweis: Das Weinen des Babys unterscheide sich in Ton und Klang, je nachdem, ob es Hunger hat, müde ist oder eine frische Windel braucht. Schon nach kurzer Zeit könne jede Mutter die unterschiedlichen Arten des Weinens unterscheiden und entsprechend reagieren. Ich habe die Wendung „nach kurzer Zeit“ sehr großzügig interpretiert. Nach dem dritten Kind war mir endgültig klar, dass ich nicht zu den Müttern gehöre, die das kindliche Anliegen an der Tonart des Geschreis erkennen können. Es blieb für mich eine Geheimsprache und ich bin sehr erleichtert, dass unsere Kinder mittlerweile ihre Sorgen mehr oder weniger klar artikulieren können. Als aus dem Geschrei ein Brabbeln wurde und später erste Wörter, entwickelten mein Mann und ich eine Eltern-Geheimsprache. Damit wollten wir vermeiden, dass der Nachwuchs auf Reizwörter wie Eis oder Banane reagiert und eben jenes lautstark einfordert. Anfangs reichte buchstabieren („Wollen wir heute Nachmittag ein E-I-S essen gehen?“), später versuchten wir es mit Englisch („I would prefer the playground.“). Seit unser ältestes Kind besser englisch spricht als wir, hat sich das mit der Eltern-Geheimsprache allerdings erledigt. Dass auch die klassische Erwachsenen-Sprache aus Kindersicht so manches Geheimnis birgt, ist mir wieder bewusst geworden, als wir kürzlich Dresden besuchten. Der Sohnemann fragte vorsichtshalber nach, ob er wirklich mit in die Frauenkirche dürfe. Und die Erstklässlerin konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich im Zug nicht in die 1. Klasse setzen durfte. Zum Osterreiten fuhren wir dann wieder mit dem Auto. Lausitz-Mummy: Achtung, streng geheim!
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