lausebande-05-2024

70 › Titelthema Warum Rituale Kindern gut tun Eben weil sie regelmäßig wiederholt werden und Tage, Wochen sowie den Jahresverlauf strukturieren, geben Rituale Kindern ein Gefühl von Zugehörigkeit, so der Neurologe Manfred Spitzer: „Rituale geben insbesondere Kindern Geborgenheit und Sicherheit. Regelmäßige Wiederholungen werden als Verlässlichkeit erlebt, zeitliche Struktur reduziert Angst, denn die Welt wird dadurch vorhersagbar.“ Das gilt besonders für Übergänge jeglicher Art. Mit ihnen tun sich Kinder umso schwerer, je jünger sie sind. Solche Übergangsphasen sind beispielsweise das morgendliche Aufstehen, das Beenden des Spiels, um sich bettfertig zu machen, der Abschied von Mama oder Papa in der Kita oder das Nachhausegehen vom Spielplatz. Auch hier können bestimmte Rituale diesen Übergang erleichtern und Stress reduzieren. Wenn das Kind weiß, was als nächstes passiert, hat es den Kopf frei für andere Dinge. Rituale helfen Kindern (und Erwachsenen), mit ihren geistigen Ressourcen zu haushalten, so der Hirnforscher. Das Gehirn läuft während eines Rituals auf Autopilot und kann sich auf andere Dinge konzentrieren. Studien zufolge reduzieren Rituale Ängste, fördern die Selbstständigkeit und erhöhen die Konzentrationsfähigkeit von Kindern. Interessanterweise ist die Wirkung von Ritualen auf Kinder gut untersucht, nicht jedoch für Jugendliche. Was bei ihnen während der Pubertät eine gesunde psychosoziale Entwicklung fördert und welche Rituale ihnen gut tun, dazu gibt es bisher kaum Untersuchungen. Rituale geben damit nicht nur den Kindern Halt und Orientierung, sie sorgen auch für Eltern für einen entspannteres Miteinander in der Familie. Denn wenn bestimmte Abläufe von allen verinnerlicht wurden, muss nicht jedes Mal neu diskutiert werden, wer beim Tischdecken hilft, wer wo sitzt und warum es jetzt ins Bett geht. Gerade lieb gewonnene Rituale wie die Gute-Nacht-Geschichte sorgen für eine innere Zufriedenheit. Durch ihre Regelmäßigkeit mit festen Uhrzeiten können Rituale auch zu einer besseren körperlichen Entwicklung führen. Wenn wir immer zur gleichen Zeit essen oder ins Bett gehen, passt sich der Körper an. Die Verdauung stellt sich auf die bevorstehende Mahlzeit ein und der Organismus fährt mit Beginn der Einschlafrituale langsam herunter. Ebenso kann ein Aussetzen oder Fehlen von Ritualen zu psychosomatischen Störungen führen. Kinder reagieren darauf beispielsweise mit Problemen beim Ein- oder Durchschlafen. Müdigkeit wiederum kann zu Konzentrationsproblemen und Hyperaktivität führen. Eltern sollten sich immer wieder klar machen, dass Rituale nicht fest und starr sind, sondern dass sie sich mit der Zeit verändern können. Die Kinder werden größer, ihre Aktivitäten, Wünsche, Ängste verändern sich. Dann gilt es, Rituale diesen Veränderungen anzupassen, sich vielleicht auch ganz von ihnen zu verabschieden und neue zu entwickeln. Beispielsweise braucht der Neunjährige das lange geliebte Monster-Verjagen-Ritual nicht mehr, das die Eltern Jahre zuvor eingeführt haben. Oder die Ostereiersuche wird abgeschafft bzw. neu gestaltet, sobald der Osterhase als Mythos entlarvt wurde. Rituale erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie von allen Familienmitgliedern gelebt und geschätzt werden. Auf den kommenden Seiten stellen wir Beispiele für mögliche Rituale in verschiedenen Situationen vor, die Sie als Anregung für Ihren eigenen Familienalltag nutzen können – auch in Abhängigkeit vom Alter des Nachwuchses. Rituale im Familienalltag Aufstehen: Mit Babys beim morgendlichen Wickeln sanfte Sportübungen machen wie Beinestrampeln und Armkreisen, dazu einen kleinen Reim oder ein kurzes Lied. Im Kinderzimmer den Tag hereinlassen, in dem das Rollo oder die Gardine weggezogen wird. Im Winter, wenn es morgens draußen noch dunkel ist, kann eine Lichterkette oder ein Dimmlicht beim Wachwerden helfen. Gemeinsam das Fenster öffnen und den Morgen begrüßen, indem man laut hinausruft: „Guten Morgen, liebe Welt!“ Kleine Lieder („Guten Morgen, Sonnenschein“) und Verse helfen ebenso beim Start in den Tag wie gemeinsamer Frühsport oder morgendliches Kuscheln im Bett. Ein Kuscheltier oder eine Handpuppe können den Eltern beim Wecken helfen und dabei ein bisschen plaudern. Babys und Kleinkinder lieben es, wenn jedes Körperteil von Stirn bis Fußsohle mit einem Bussi einzeln wachgeküsst wird. Das Kitzelmonster kommt in Bett gekrabbelt und verjagt durch Kitzeln das Kind, weil es selbst den Tag im Bett verbringen möchte: Das macht munter und glücklich. Nach dem Aufstehen wird jedes Kuscheltier einzeln begrüßt. Gemeinsam die Pläne und

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