lausebande-05-2024

82 › Titelthema Traditionen sind wie Coca Cola. Die einen mögen es, wiederum andere können sich damit nicht anfreunden. Es gibt Menschen, die können ohne Cola fast nicht überleben. Wiederum andere sehen darin ein erhebliches Gesundheitsrisiko und lehnen den Konsum ab, da dies einer modernen und aufgeschlossenen Lebensweise nicht entsprechen kann. Als Katholik und Lausitzer Sorbe lebe ich in einer Gemeinschaft, in der Traditionen ein fester Bestandteil meines Lebens sind. Als Familienvater nehme ich bewusst wahr, wie es mir inzwischen nicht nur um das Praktizieren von Traditionen geht, sondern zunehmend auch darum, meine Erfahrungen an die nächste Generation weiterzugeben. Ich nahm dies zum Anlass, das Thema am abendlichen Küchentisch im Kreise der Familie zu besprechen. Traditionen gründen auf Bräuchen, Überzeugungen, Praktiken und Werten, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Diese können kulturelle, religiöse, familiäre oder gesellschaftliche Elemente umfassen und spielen oft eine bedeutende Rolle bei der Identitätsbildung und der Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Geschichte innerhalb einer Gemeinschaft. Traditionen können sich im Laufe der Zeit verändern und anpassen, aber sie dienen oft als Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind damit eine sehr alte Art der Kommunikation. Heute würde man Traditionen als praktischen Wissenstransfer bezeichnen. Bei Traditionen denken wir gleich an große Feste. Sei es das Weihnachtsfest oder das Osterfest. Viele dieser Feste, die wir als Familie erleben, gründen auf dem christlichen Glauben und sind an sich nicht spezifisch sorbisch. Vielmehr gibt es einzelne Elemente, die so nur unter den Sorben bestehen. „Hody“, wie das Weihnachtsfest in sorbischer Sprache genannt wird, ist ein christliches Fest, welches bei uns eher wenige sorbische Elemente in sich trägt. Sicherlich wird es in vielen Familien so sein, dass man sich in den Tagen versammelt und gemeinsam viel Zeit miteinander verbringt. Genauso wie es in vielen deutschsprachigen Familien Brauch ist, schmücken wir den Weihnachtsbaum, stellen wir die Krippe auf und schmücken das Haus weihnachtlich. Die Geschenke bringt bei uns jedoch nicht der „Rumpodich“, also der Weihnachtsmann, sondern das „Bože dźěćatko“. Das ist Sorbisch und bedeutet „Christkind“. Ein Osterbrauch, der in unserer Familie einen sehr hohen Stellenwert hat, ist das Osterreiten, das „jutrowne jěchanje“. Aus vorchristlichen Flurumgängen und -umritten zum Erbitten günstiger Bedingungen für ein gutes Aufgehen der Saat und deren Bewahrung vor schlechtem Wetter, entwickelten sich christliche Prozessionen. Heute erinnert nur noch in Ostro der morgendliche Saatumritt an die ursprünglichen Flurumgänge. Die Osterreiterprozessionen begeben sich am Ostersonntag in die jeweilige Nachbarkirchgemeinde und tragen die frohe Botschaft vom auferstandenen Christus weiter, um sie den dortigen Bewohnern zu verkünden. Festlich gekleidete Reiter in Gehrock und Zylinder führen Kirchenfahnen, Kreuz und Statue des Auferstandenen auf prächtig, mit edlem Zaumzeug, Blumenranken und mit bestickten Schleifen geschmückten Pferden. Ich habe diesen Brauch als kleiner Junge erlebt und habe die Leidenschaft von meinem Vater geerbt. Seit meinem 15. Lebensjahr nehme ich alljährlich am Osterreiten teil. Anfänglich gemeinsam mit meinem Vater, inzwischen auch mit unserem ältesten Sohn. Einmal mussten wir aussetzen – das Coronajahr war ein einschneidendes Erlebnis. Umso mehr freuen wir uns, dass es der Tradition nicht geschadet hat. Viele dieser und weiterer Bräuche haben einen christlichen Bezug oder stammen aus vorchristlicher Zeit und haben bei uns eine gewisse „sorbische Note“. Gemeinsam mit meiner Frau haben Ein Küchentischgespräch über Traditionen, Rituale und Sorbisch-Sein Ein Gastbeitrag von Dawid Statnik, Familienvater und Vorsitzender des sorbischen Dachverbands Domowina

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