Titelthema ‹ 83 wir unsere Kinder nun zu genau diesen Festen befragt. Zuerst wollten wir erfahren, welche Rolle diese Bräuche für unsere Kinder im Familienalltag haben. Da unsere Kinder bereits im „TeenieAlter“ sind, können die Antworten durchaus Tiefgang bekommen: „Diese Bräuche sind etwas für unsere Identität. Die Tradition ist ein Bekenntnis zum Sorbischen. Ohne die Tradition wäre es nur Sprache.“ An Tiefsinnigkeit ist diese Aussage nur schwer zu übertreffen. Zumindest im Augenblick können wir mit meiner Frau annehmen, dass unsere Kinder den Wert der Tradition verstanden haben. An meine Frau ging die Frage, inwiefern sich diese Rituale und Traditionen mit der Geburt unserer Kinder verändert haben. Spontan war die Antwort: „Ohne Kinder keine Taufe“. Dem kann ich nur beipflichten. Denn einige Elemente der sorbischen Traditionen sind auch mit dem Leben der Familie verbunden. So erlebte ich mit unserer Tochter das erste Mal, wie eine „Družka“ angekleidet wird, denn ich hatte nie eine Schwester. Wiederum an die Kinder ging die Frage, ob es Traditionen gibt, die ihnen besonders lieb sind. An erster Stelle wurde Ostern genannt, da unser ältester Sohn inzwischen auch Osterreiter ist. Auch das Maibaumwerfen durfte nicht vergessen werden, genauso wie das „Bože ćěło“, zu Deutsch „Fronleichnam“. Sicherlich ist dieses Küchentischgespräch nur ein Festhalten eines Augenblicks. Jedoch glaube ich, dass unsere Kinder verstanden haben, welchen Stellenwert Traditionen, Rituale und Bräuche haben können. Ob sie diese Traditionen fortführen oder sogar weitergeben, wird die Zukunft zeigen. Wir haben zumindest unseren Anteil dazu beigetragen. Die genannten Feste sind nur ein kleiner, wenn auch sehr sichtbarer Teil der Traditionen und Rituale der Sorben. Es gibt natürlich noch viel mehr und sicherlich sind auch ganz eigenartige und besondere Traditionen dabei, die ich hier nicht erwähnt habe. Es ist nur ein kleiner Einblick in unsere kleine sorbische Welt, die so verschieden und reich an Besonderheiten ist. Vielleicht ist gerade dies ein Grund dafür, wieso wir so um unsere Existenz kämpfen. Ein deutsches Sprichwort besagt: „Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.“ Unsere Kinder profitieren vom Aufwachsen mit sorbischen Bräuchen und Ritualen, denn sie erleben ihre eigene Kultur und Geschichte. Sie haben die Möglichkeit, sich zur eigenen Identität zu bekennen und dieses Bekenntnis auch an die nächsten Generationen weiterzugeben. Werden die Traditionen immer so sein, wie sie heute sind? Ganz nach dem Motto: „Das war immer schon so!“. Ich glaube nicht. Denn vieles in der Welt verändert sich. Noch in der Generation meiner Großmutter war es üblich, dass die Frauen eine Alltagstracht tragen – jeden Tag. Meine Großmutter habe ich nie anders erlebt. Jedoch schon meine Mutter hat diese Tradition abgelegt und auch meine Frau. Beide tragen die sorbische Tracht nur zu Festtagen und zu besonderen Anlässen – als „Festtagstracht“. Hat es etwas mit ihrer Identität gemacht? Ich glaube nicht. Denn sie ehren die Tracht nun auf eine zeitgemäße Weise. Die nächste Generation verändert die Tradition sicherlich auf ihre ganz eigene Weise. So waren Elemente der sorbischen Tracht bereits auf Laufstegen zu sehen. Junge Mädchen nutzen die handwerklich aufwändigen Schmuckteile der Tracht und kombinieren sie gekonnt mit fescher Mode. Wieso auch nicht? Denn Tradition kennt keine Gesetze, oft nur Routinen, welche in der Gemeinschaft bestehen, aber auch genau dort verändert werden können. In jüngster Zeit kam eine neue Diskussion unter sorbischen Frauen auf. Ist das Osterreiten der katholischen Sorben nur Männern vorbehalten? Bis heute ja. In Zukunft? Wer weiß? Wenn ich mich auf das alljährliche Osterfest vorbereite, habe ich die zehn Gebote der Osterreiter zu befolgen. Darunter auch das Gebot, aktiv am Leben der Kirchgemeinde teilzunehmen und das Sakrament der Buße zu begehen. Weder in den zehn Geboten der Osterreiter, noch anderswo steht geschrieben, dass der Osterreiter männlich ist. Der Brauch hat in seiner jetzigen Form natürlich etwas Besonderes. Und wenn er nur auf das Osterreiten reduziert wird, ist es ein Brauch unter Männern. Jedoch erlebe ich, dass die ganze Familie mit eingespannt ist, der Osterreiter somit auch nur ein Teil des Ganzen ist. In seiner derzeitigen Form ist dieser Brauch vielen eine Herzensangelegenheit und ein Glaubensbekenntnis. Selbst wenn er sich verändern würde. Mir wäre wichtig, dass er seinen christlichen Kern behält. Denn das ist die Magie und das rituelle Wesen dieses Brauchs. Dawid Statnik Vorsitzender DOMOWINA – Bund Lausitzer Sorben
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