84 › Titelthema Paare dürfen auch mal egoistisch sein Denn im stressreichen Familienalltag ist es eher so, dass eine ausführliche Kommunikation und Auseinandersetzung mit dem Partner lediglich bei Streit oder Problemen stattfindet und so eine Verknüpfung mit negativen Gefühlen entsteht. Rituale sind damit auch eine wichtige Form der emotionalen Investition in die Beziehung. Dafür ist es wichtig, dass die Rituale zum jeweiligen Paar und zu seinen Lebensumständen passen. Das heißt auch: Bei aller Regelmäßigkeit brauchen sie auch eine gewisse Flexibilität. Es ist Niemandem geholfen, wenn sie einen oder beide Partner unter Druck setzen oder gar einengen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass Rituale kein „Allheilmittel“ sind und eine zerrüttete Beziehung allein nicht retten können. Sie können aber ein wichtiger Hinweisgeber für Beziehungsprobleme sein, nämlich dann, wenn ein Partner gemeinsam liebgewonnene Rituale nicht mehr pflegt. Spätestens dann sollten Paare das Gespräch suchen. Aus Ihrer Erfahrung: Entstehen Rituale in Paarbeziehungen eher zufällig oder werden diese bewusst geschaffen? Beides ist möglich. So können Rituale auf der einen Seite bewusst entwickelt und gepflegt werden. Beispielsweise wenn ein Paar nach einem gemeinsamen Wochenende feststellt, wie gut beiden diese Zeit miteinander getan hat und sich entscheidet, solche Wochenenden regelmäßig zu wiederholen. Das hat den Vorteil, dass diese Form der Zweisamkeit nicht jedes Mal neu diskutiert werden muss. Auf der anderen Seite entstehen liebevolle Routinen auch zufällig und werden dann über die Zeit zu einem gemeinsamen Ritual. Zwei Beispiele aus meiner Beratung zeigen dies meines Erachtens gut: Ein Ehemann fühlte sich abends nach einem langen Arbeitstag oft überrumpelt, wenn seine Frau mit ihm über konfliktreichere Themen sprechen wollte. Beide überlegten, was statt wiederholtem Frust und Streit eine gute Möglichkeit für beide wäre. Die Partnerin gab künftig eine Art liebevolle „Vorwarnung“ für ihren Mann, indem sie ihm vor dem Weg zur Arbeit Zahncreme auf seine Zahnbürste schmierte, wenn sie abends ein wichtiges Thema mit ihm besprechen wollte. Er konnte sich so bereits tagsüber darauf einstellen und es fiel ihm leichter, sich abends auf die Gespräche einzulassen. Bei einem anderen Paar ging der Mann berufsbedingt abends deutlich früher ins Bett als Wie können Eltern neben ihrem Elternsein auch die Paarbeziehung erhalten und wie können Rituale dabei helfen? Darüber haben wir mit der Paarforscherin und Eheberaterin Dr. Anke Birnbaum gesprochen. Im Interview verrät sie außerdem ein paar Praxistipps aus ihrer Arbeit als Beraterin und erklärt, warum es so schwer aber auch so wichtig ist, trotz Familienalltag in die Paarzeit zu investieren. Wenn Eltern zu Ihnen in die Paarberatung kommen: Welchen Satz hören Sie am häufigsten? Bei Paaren mit Kindern ist es sehr häufig die Aussage über zu wenig Zeit füreinander. Viele Eltern beklagen, dass sie sich seit der Geburt der Kinder durch Alltagsstress und Zeitmangel sogar fremd geworden sind. Manchmal erinnern sich die Partner nicht einmal mehr, wann sie das letzte Mal etwas nur zu zweit unternommen haben. Tatsächlich sind es nicht die großen Krisen, wie ein Jobverlust oder eine schwere Krankheit, an denen Beziehungen zerbrechen. Vielmehr entfernen sich Paare mit der Zeit durch die wiederholten alltäglichen Widrigkeiten voneinander. Auf welche Art können Rituale in so einer Situation helfen? Rituale können dem Paar emotionale Verbundenheit und Sicherheit vermitteln. Sie sind mehr als einfache Gewohnheiten, sie schaffen Raum für Begegnung und Kommunikation. So können sie aufzeigen: Mein Partner nimmt sich Zeit für mich, darauf kann ich mich verlassen. Die Bedeutung von Ritualen geht über die Handlung an sich hinaus, sie können für Verbundenheit und Wir-Gefühl stehen. Ihre Relevanz wird Paaren zeitweise erst dann bewusst, wenn sie weg- oder ausfallen. Denn dann fehlt etwas. Wenn sich Rituale etabliert haben, können sie von den Partnern als etwas Positives wahrgenommen werden – oft stehen sie für Wohlbefinden und gemeinsame Entspannung. Mit der Zeit entsteht so eine nahezu positive Konditionierung: Die Partner freuen sich auf das Gemeinsame, das sich in einem bestimmten Ritual ausdrückt und damit ist auch der jeweils andere mit etwas Positivem verbunden. Damit können Rituale einen wichtigen Gegenpol zum Alltäglichen bilden.
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