lausebande-06-2019
Titelthema :: Seite 27 auch für zuckerhaltige Lebensmittel fordern: Wer- beverbot und hohe Besteuerung. Bisher lässt die Politik der Lebensmittelindustrie noch freie Hand. Eine Lebensmittelampel wird schon lange diskutiert, ist aber weiterhin nicht in Sicht. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner nimmt sich dem Thema stattdessen mit einer „Na- tionalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz“ an. Ihr Ziel: Bis 2025 sol- len diese beliebten aber ungesunden Inhaltsstoffe in verarbeiteten Lebensmitteln deutlich reduziert werden. Kindermüsli z.B. soll mit 20 Prozent we- niger Zucker auskommen. Allerdings setzt sie auf eine Selbstverpflichtung der Industrie. Ob diese den Zucker tatsächlich freiwillig reduzieren wird, ist mehr als ungewiss. Groß prangt es auf der Verpackung: „Ohne Zu- ckerzusatz“. Viele vermeintlich gesunde Snacks und Getränke – gerade auch für Kinder – werben damit. Egal ob Quetschie, Smoothie, getrocknete Erdbeeren – sie alle locken mit dem Versprechen, aus 100 Prozent Frucht und ohne zugesetzten Zu- cker auszukommen. Das stimmt, versperrt aber den Blick auf die Tatsache, dass frisches Obst immer die bessere Wahl ist. Es enthält mehr ge- sunde Ballaststoffe und Vitamine als püriertes, konzentriertes oder getrocknetes Obst. Schon das Zerkleinern im Mixer lässt Vitamine zerfallen. Wer einen Orangensmoothie trinkt, der konsumiert den Zucker von etwa vier Orangen. Würde er eine fri- sche Orange essen, wäre er vermutlich schon nach einer satt. Wer Obst und Gemüse kaut, bei dem setzt das Sättigungsgefühl eher ein. Zudem scha- det die schnelle Zuckerzufuhr aus Flüssigkeiten Smoothies und Quetschies – vermeintlich gesund wie Smoothie der Leber. Das Kauen fester Nahrung wie Äpfel oder Möhren ist wichtig für gesunde Zäh- ne und Zahnfleisch. Daher gilt: Wer seinem Kind eine gesunde Zwischenmahlzeit anbieten möchte, wählt frisches Obst und Gemüse. Wer dennoch ge- legentlich einen Smoothie trinken will, der sollte ihn selbst machen. Daher empfiehlt der Münchner Kinder- und Ju- gendarzt Professor Berthold Koletzko von der Stif- tung Kindergesundheit: „Säuglinge und Kleinkin- der sollten Fruchtsaft so zurückhaltend trinken wie Erwachsene Champagner. Saft ist kein alltägliches Lebensmittel, sondern vielmehr etwas, das zu be- sonderen Anlässen genossen werden darf.“ Im Übrigen: Wer das jetzt liest und denkt, naja, vielleicht naschen wir manchmal zu viel, aber wir sind in der Familie alle schlank, der sollte beden- ken: Auch normalgewichtige Menschen erkranken an Diabetes und können erhöhte Blutfettwerte ha- ben. Der Prozess passiert schleichend über Jahre, ohne dass man es gleich merkt. Zucker soll also der Schuldige sein für immer mehr „Zivilisationskrankheiten“? Diesen direkten Zu- sammenhang bestreitet die Lebensmittelindustrie, allen voran die Zuckerindustrie, bis heute vehe- ment und finanziert ausgewählte Wissenschaftler, die in ihrem Sinne argumentieren. Man fühlt sich bei dieser Debatte ein wenig erinnert an die Dis- kussion um Tabak und seine gesundheitlichen Folgen, die in den 1960er-Jahren ebenso leiden- schaftlich geführt wurde. Damals wurden die po- sitiven Aspekte des Rauchens betont, eine süchtig machende Wirkung von Tabak bestritten. Heute gilt das, was Ärzte und Ernährungswissenschaftler Zwar ohne Zuckerzu- satz, trotzdem stecken in dieser Flasche etwa 80 g Zucker – aus Obst. Statt den Smoothie in einem Zug zu leeren, wäre es gesünder, die vielgepriesenen Früch- te über mehrere Tage verteilt zu essen. Würde man alle zuckerhaltigen Lebensmittel aus den Supermarktregalen verbannen, blieben nur noch etwa 20 % stehen. Familien sollten daher v.a. in der Obst- und Gemüseabteilung einkaufen. »
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