Seite 50 - lausebande_09-2013

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Titelthema :: Seite 50
schritt vermitteln. Wir müssen
den Kindern das „Lernen lernen“
beibringen. Das ist die Grundidee
dieser anderen Art der Pädagogik.
Viele Bildungsexperten fordern
das individualisierte Lernen.
Können wir das mit unserer be-
stehenden Lehrerschaft über-
haupt umsetzen?
Wir wissen, dass es im Endeffekt
auf die Lehrer ankommt. Unsere
Lehrer sind nicht schlechter als
anderswo. Sie sind aber für eine
andere Art des Unterrichtens aus-
gebildet worden. Die neue Pä-
dagogik der Individualisierung
hat auch viel mit den richtigen
„Werkzeugen“ zu tun, die ich an-
wenden kann. Aus meiner Sicht
ist die wichtigste Antwort auf die
Misere unseres Bildungssystems
eine Lehrerfortbildung für ganz
Deutschland, jeweils für die ge-
samte Schule. Unsere Schulen
müssen sich auf die Lernkultur
der individuellen Förderung um-
stellen.
Der PISA-Schock ist ja eigent-
lich lang genug her. Wissen Sie,
ob sich seitdem in der Lehreraus-
und -fortbildung schon viel geän-
dert hat?
Die Hochschulen sind durchaus
dabei, ihre Ausbildungen zu re-
formieren. Aber noch hinken die
Hochschulen etwas hinterher. Ein
Beispiel: Bei weniger als 20 Pro-
zent der Hochschulen ist Inklusi-
on ein zertifizierter Schwerpunkt
der regulären Lehrerausbildung.
Das ist im Moment aber das Mega-
thema in der Schulpraxis. Hier ist
die Lehrerausbildung noch deut-
lich hinter dem her, was heute in
der Schule schon gefordert ist.
Zudem dauert es Jahrzehnte, bis
neu ausgebildete Lehrer in das
System hineingewachsen sind.
Wir können aber nicht Jahrzehn-
te warten, das können wir uns
gar nicht leisten. Deswegen müs-
sen wir mit umfassender Lehrer-
fortbildung der bestehenden Leh-
rerschaft eine Chance zu geben,
diese neuen Instrumente von In-
klusion über individuelle Förde-
rung bis zur neuen Ganztagspä-
dagogik nochmal neu lernen zu
können.
Wenn wir mal von den Lehrern
weg und hin zu den Konzepten
schauen – da liefern Kanada und
Australien mit seinem ebenfalls
föderalen System gute Beispie-
le für erfolgreiche Bildungssys-
teme. Warum kopieren wir diese
nicht einfach?
Kopieren fällt schwer. Eine gute
Idee verbreitet sich nicht auto-
matisch von allein. Notwendig
ist vielmehr der systematische
Kompetenzaufbau bei den Leh-
rern, um mit diesen Ideen umge-
hen zu können.
9 von 10 Eltern fordern heute eine
Vereinheitlichung unserer Schul-
bildung und eine Bundeszuständig-
keit. Warum sehen Sie das anders?
Viel wichtiger als eine Vereinheit-
lichung ist die Erkenntnis, dass
die Schüler viel unterschiedlicher
sind als die Bildungssysteme der
16 Bundesländer. Natürlich ha-
ben wir heute die schwierige Situ-
ation, dass zwischen sächsischen
Schülern und Bremer fünfzehn-
jährigen Schülern im Durch-
schnitt ein bis zwei Jahre Lernun-
terschied liegen, weil die Sachsen
soweit voraus und die Bremer so-
weit hinterher sind. Aber schon in
einer einzigen Klasse, egal ob in
Sachsen oder Bremen, liegen vie-
le Jahre zwischen dem stärksten
und dem schwächsten Schüler.
Wir brauchen deshalb verläss-
liche und bundeseinheitliche
Standards, aber sehr viel Frei-
heit für die einzelnen Schulen,
diese Standards und Ziele auf in-
dividuellem Weg zu erreichen.
Was der Bund leisten muss, ist
Transparenz über die Ergebnis-
se der Bildung. Das ist eigentlich
das Kernproblem: Die Bundeslän-
der verbergen systematisch die
Schwächen ihrer Bildungssyste-
me, sie wollen keine Transparenz.
Gibt es für Sie einen Grund, wa-
rum die Länder den Vergleich
scheuen?
Es ist unbequem. Landesminis-
ter sind für die Qualität der Bil-
dung verantwortlich. Wenn das
Ergebnis eines Vergleichstests
zeigt, dass das Bildungssystem
schlechter ist als das vom Nach-
barland, droht Ärger. Leider lässt
sich das System aber nur mit ei-
nem offenen Umgang verändern,
in dem wir Stärken und Schwä-
chen erkennen. Transparenz ist
der günstigste, einfachste und
effektivste Verbesserungsmecha-
nismus. Wir zahlen heute Milli-
arden an Steuergeldern zur Ver-
besserung des Bildungssystems
und wissen dennoch nicht, was
hinten rauskommt. Da sehe ich
Bund und Länder in der Verant-
wortung. Der Ländervergleich PI-
SA-E, der einen solchen Vergleich
zugelassen hat, wurde in allen
Ländern, auch in Brandenburg,
grundlos abgeschafft.
Viele Dinge, die Sie in Ihrem
Buch fordern, sind in Branden-
burg schon Realität: Zweiglied-
rigkeit, Grundschule bis zur 6.
Klasse, Versuche mit einer jahr-
gangsübergreifenden Schulein-