Kolumne :: Seite 60
lausitzDADDY
Innenansichten eines verzweifelten Vaters
stand von mehr als dreieinhalb Metern einzuhalten.
Wird die sogenannte soziale Distanz von 1,20 Me-
tern unterschritten, können wir uns bedroht fühlen.
Ich fühlte mich von den unmittelbar angrenzenden
polnischen Liegedecken im Freibad bedroht, wahr-
scheinlich greifen hier auch väterliche Urinstinkte:
Ich musste meine Kinder vor der fremden Gefahr
beschützen. So entwickelte ich in den Folgetagen
verschiedenste Taktiken zur Sicherung unseres Ter-
ritoriums. Drei zusätzliche Distanz-Decken, die wir
gar nicht benutzten, sicherten den nötigen Abstand,
reichten aber für die 360°-Perspektive nicht aus.
So ließ ich mir von unseren Nachbarn nach deren
morgendlichem Gassi die Tüte mit den Hinterlassen-
schaften ihres Stubenterriers geben. Strategisch gut
platziert, reichten die daraus generierten drei Häuf-
chen, die ich in den Folgetagen auf der schwachen
Seite unserer deutschen Familien-Liegefestung ver-
teilte, endlich zur Rundumsicherung aus. Bis meine
Kleine auf der Wiese auf eine Biene trat, gestochen
wurde und sofort nach Papa schrie: Papaaaaa!
Wie David Hasselhoff in seinen besten Baywatch-
Zeiten sprang ich von der Decke auf und sprintete
los. Den Blick fest auf meine Kleine gerichtet, konnte
Superdaddy auf seiner Hilfemission nichts bremsen.
Nichts, außer einem der Sicherheitsabstand-Hunde-
häufchen, auf dem ich barfuß ausrutschte und mit-
ten in eine polnische Familie hineinfiel. Meine Intim-
Distanz war futsch, meine Kleine flennte und ich
hatte halbfeste Hundekacke zwischen den Zehen.
Als ich meine Kleine dann später getröstet und mei-
ne Zehen generalgereinigt hatte, fluchte ich auf un-
serer Familienliegewiese leise über die polnischen
Grenzverletzer an der Ostflanke unseres Freibadterri-
toriums, die einfach eine unserer Platzhalterdecken
zur Seite gepackt hatten. Plötzlich entrüstete sich
der dortige Vater: „Isch bin doa gejn Bouhle“. Auch
das noch, Sachsen. Die deutsche Ausnahme in Sa-
chen Distanzgefühl. Nur meine Kleine hatte mit der
Nähe der umliegenden Internationale deutlich weni-
ger Probleme. Mit schlauem Blick schaute sie mich
an und sagte: „Papa, die tun doch nichts. Und wenn
doch, bin ich ja hier, um dich zu beschützen“. So
verlor ich auch noch die väterliche Schutzfunktion.
Was für ein Hundeleben! Euer lausitzDADDY
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht,
muss ich gleich sagen, dass ich sehr für
Völkerverständigung bin. Ich habe mein
Studium sogar an einer Uni hinter mich gebracht, an
der jeder dritte Student aus Polen kam und bin da-
her auch für deutsch-polnische Verständigung. Aber
nicht auf meiner Freibadfamilienliegedecke.
In den heißen Juli- und Augustwochen waren wir
Stammgäste im Freibad Forst, mit seinen Rutschen
und der Sprungturmanlage ein Paradies für unsere
Kids. Bereits in den ersten Tagen waren das Ausflüge
in eine fremde Kultur, offensichtlich ist das Freibad
der Ballermann der benachbarten Polen. Jetzt weiß
ich auch, dass Polen keinen Sicherheitsabstand ken-
nen und keine Angst vor Nähe haben.
Wir sind sicher eine eher alternative und unkompli-
zierte deutsche Familie, aber auch wir würden einen
Zaun um unser Grundstück bauen. Im Wartezimmer
einer Arztpraxis lassen wir zwischen uns und den
anderen Wartenden einen leeren Stuhl Abstand,
wenn es möglich ist. Genauso legen wir im Freibad
auf ausreichend Freifläche bis zur nachbarlichen
Liegedecke Wert. Mindestens eine Dirk-Nowitzki-
Länge. Der polnische Dirk Nowitzki misst leider un-
ter 20 Zentimeter. Und so werden im Forster Freibad
aus Nachbarn wirklich Nachbarn. Unsere Kleinen
haben sich daran auch überhaupt nicht gestoßen,
aber ich wurde zum fremdelnden Deutschen. Ich
weiß jetzt, dass die Proxemik das Nähe-Distanz-Ver-
hältnis erforscht und untersucht, wie weit man sich
anderen Menschen nähern kann, ohne dass diese
Nähe für sie unangenehm wird. So versuchen wir in
der Öffentlichkeit zu anderen Menschen einen Ab-
Noch nicht genug gelacht?
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