60 › Titelthema über eine Schulstrukturreform. Stattdessen stelle ich eine große Verzagtheit fest, endlich mal das ganz große Rad zu drehen. Allerdings sind derartige Reformen langwierig und rein logistisch eine große Herausforderung. Schulgebäude, die für vierjährige Grundschulen und gegliederte weiterführende Schulen gebaut wurden, lassen sich nicht so einfach an neue Schulstrukturen anpassen. Ein Grund, warum die ostdeutschen Länder nach der Wende auf ein zweigliedriges Schulsystem setzten, lag auch mit daran, dass die relativ großen Polytechnischen Oberschulen (POS) nicht für ein dreigliedriges Schulsystem geeignet waren. Noch einmal klar gesagt: Schulstrukturreformen sind langwierig in ihrer Umsetzung und Erfolge werden sich erst langfristig einstellen. International werden wir für den Sonderweg einer Trennung nach vier Jahren bestenfalls belächelt. Zudem ist das gegliederte Schulsystem auch ein Grund dafür, dass Deutschland bei der Umstellung auf ein inklusives Schulsystem weit zurück liegt. Der Bund hat das Startchancen-Paket auf den Weg gebracht, das sich explizit an „Schulen in herausfordernder Lage“ richtet und durch Evaluierung begleitet wird. Ist das der richtige Weg? Es ist nicht so, dass man das vorher nicht schon gemacht hat. Es gibt auf Länderebene viele Programme, bei denen Unterstützung gezielt an Schulen mit sozialen Herausforderungen umgesetzt wurde. Ob das neue Programm sinnvoll ist und wirklich Erfolg hat, da bin ich etwas skeptisch. Nehmen wir die erste Säule, mit der durch bauliche Veränderungen lernförderliche Umgebung geschaffen werden soll. Ich kenne keine Studie, die nachweist, dass bestimmte Räumlichkeiten zu besseren Leistungen führen. Die zweite Säule setzt auf zusätzliches Personal, konkret auf multiprofessionelle Teams. Schon jetzt gibt es auf dem Markt nicht genug Sozialarbeiter. Die wird es auch mit dem neuen Programm nicht geben. Die dritte Säule ist das „Chancenbudget“, mit dem Veränderungen der Schulentwicklung und damit auch im Unterricht bewirkt werden sollen. Auch da gibt es bisher kaum Studien, die eine Wirkung nachweisen. Was wäre aus Ihrer Sicht ein besserer Ansatz gewesen? Der Bund hat das gemacht, was er konnte. Durch den Bildungsföderalismus hatte er kaum andere Möglichkeiten, wie beispielsweise die Finanzierung zusätzlicher Lehrkräfte. Und selbst, wenn er Unterstützung der Eltern braucht. Das können aber nicht alle Eltern leisten und dann spiegelt sich das in der Note wider. Nun könnten wir auch einfach fragen: Braucht es in der Grundschule wirklich schon solche Anforderungen? Vielleicht üben auch bestimmte Elternhäuser Druck auf Lehrkräfte aus, damit ihr Kind im Zweifel die bessere Note bekommt. Bei Noten soll auch die Anstrengungsbereitschaft der Kinder mit bewertet werden. Diese kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein oder auch sehr unterschiedlich durch die Lehrkräfte wahrgenommen werden. Schlussendich wissen wir nicht, inwieweit die Lehrkräfte für dieses Thema überhaupt sensibilisiert sind. Eine Möglichkeit, um das zu umgehen, wären standardisierte Kompetenztests vor dem Übergang auf die weiterführende Schule. Wäre die Abschaffung von Noten eine Lösung? Solange wir die Kinder nach Klasse vier auf unterschiedliche Schultypen aufteilen, funktioniert das nicht. Dafür braucht es klare Kriterien. Wenn wir also nicht bereit sind, die Gliedrigkeit des Schulsystems aufzugeben, können wir nicht auf Noten verzichten. Welchen Einfluss hat die Gliedrigkeit des deutschen Schulsystems, also das Trennen der Kinder nach Klasse 4 bzw. 6? Eine kürzlich vom ifo-Institut veröffentlichte Studie hat für Aufsehen gesorgt, weil Berlin und Brandenburg die geringsten Ungleichheiten beim Zugang zum Gymnasium haben – also die beiden einzigen Länder, die erst ab Klasse 6 trennen. Ob es aber einen kausalen Zusammenhang gibt, ist nicht erwiesen. Und die Studie vom ifo wurde in befremdlicher Schärfe von Bildungspolitikern und Bildungsverbänden kritisiert, weil sie diesen Schluss nahelegte. Im internationalen Bereich gibt es einige Studien, die zeigen, dass Systeme, die früher trennen, sozial ungleicher sind und die Schülerinnen und Schüler dort auch noch die schlechteren Leistungen erbringen. Das alles spricht für ein längeres gemeinsames Lernen. Aber diese Frage ist das in Deutschland am stärksten ideologisch verminte Feld. Dahinter steht leider auch viel Lobbyarbeit der höheren Schichten, die alles dafür geben, um die Gymnasien als Schulform für sich zu bewahren, damit ihre Kinder sich dort vermeintlich am besten entwickeln. Das hat sich auch beim Volksentscheid in Hamburg vor einigen Jahren gezeigt. Seit diesem Zeitraum reden wir überhaupt nicht mehr
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