Leere oder Lehre? Die große Bestandsaufnahme.

Datum: Sonntag, 27. August 2023 14:37


Foto: Deztinie, istock

Wie der Personalmangel unseren Kindern schadet

Fangen wir mit ein paar ernüchternden Zahlen an: 62 Prozent der Familien mit Schulkindern sind vom Lehrkräftemangel betroffen, an weiterführenden Schulen sind es sogar 72 Prozent der Familien. Das heißt ganz praktisch: An Gymnasien und Oberschulen fällt bei drei von vier Kindern häufig Unterricht aus. Das ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage vom Januar 2023. Noch mehr Familien gaben an, dass sie Auswirkungen des Lehrkräftemangels wahrnehmen: 86 Prozent der befragten Eltern stimmten der Aussage zu, dass in der Folge die Unterrichtsqualität erheblich leidet und Lernziele nicht erreicht werden. Ebenso viele sind der Ansicht, dass sich die soziale Schere an Schulen weiter öffnet, weil die Familien Lernlücken unterschiedlich gut durch Unterstützung auffangen können. Die offiziellen Zahlen bestätigen den Eindruck der Eltern.

Sachsen startete mit knapp 300 nicht besetzten Stellen ins zweite Schulhalbjahr 2022/2023, wobei sich auf die 1.100 ausgeschriebenen Stellen nur 618 klassisch ausgebildete Lehrkräfte beworben hatten. Zusätzlich wurden 200 Seiteneinsteiger eingestellt. Für das neue Schuljahr konnten ebenfalls nicht alle Stellen besetzt werden. Mit Stand Ende August waren in Sachsen noch 180 Lehrerstellen unbesetzt. Das entspricht 14 Prozent aller Lehrkräfte. Für Brandenburg standen die Zahlen zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Die Kultusministerkonferenz prognostiziert, dass bis 2025 rund 25.000 Lehrkräfte fehlen, bis zum Jahr 2030 wird diese Zahl auf rund 31.000 steigen. Andere Prognosen gehen von 70.000 fehlenden Lehrkräften bis zum Jahr 2025 bzw. 156.000 bis zum Jahr 2035 aus.

Besonders stark vom Lehrkräftemangel betroffen sind:

  • Förderschulen und Oberschulen
  • ländliche Regionen
  • Schulen in sozialen Brennpunkten
  • die Fächer Mathe, Chemie, Physik, Musik und Kunst


Die Prognosen und die Planung der Lehrerzahlen sind auch deswegen so schwierig, weil man eben nicht genau vorhersagen kann, wie viele Kinder in fünf oder gar in zehn Jahren zur Schule gehen werden. Die Geburtenzahlen geben eine gewisse Orientierung. Schwieriger wird es bei der Zu- und Abwanderung. Wie viele Familien verlassen ihren Heimatort, solange die Kinder die Schule besuchen? Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen? So konnte 2016 noch kein Statistikamt den Ukrainekrieg in seiner Prognose berücksichtigen. Kurz vor den Sommerferien wurden in Brandenburg etwa 6.000 Kinder aus der Ukraine beschult, in Sachsen gut 14.000, wobei die Zahlen zuletzt langsam aber kontinuierlich angestiegen sind. Solange ein Kriegsende nicht in Sicht ist, wird sich dieser Trend fortsetzen.

Die Folgen: Unterrichtsausfall und Bildungsmisere

Die Folgen für die Kinder sind fatal. Die direkte und sichtbarste Auswirkung ist der Unterrichtsausfall. In Sachsen sind im ersten Schulhalbjahr je nach Schulart zwischen 5 und 15 Prozent des Unterrichts ausgefallen. Besonders stark betroffen sind die Förderschulen, dort fiel jede siebte Stunde aus, an den Oberschulen jede zehnte. Brandenburg erfasst die Ausfall- und die Vertretungsstunden. Im Schuljahr 2021/22 (aktuellere Zahlen lagen zum Redaktionsschluss noch nicht vor) sind 2,3 Prozent der Stunden ausgefallen. 14,5 Prozent fanden nicht regulär, sondern als Vertretungsstunde statt. Hauptgründe für den Ausfall waren Lehrkräftemangel, fehlende Räume, aber auch Krankmeldungen und Mutterschutz. Ländliche Regionen wie die Lausitz sind besonders stark betroffen, da es dort schwerfällt, neues Personal zu gewinnen. Die Lehramtsstudierenden, die in Sachsen in Dresden und Leipzig ausgebildet werden, wollen nach dem Studium meist in den Großstädten bleiben, nur wenige zieht es (zurück) aufs Land. Und so kam es, dass im zurückliegenden Schuljahr an einigen Schulen einzelne Fächer über Wochen oder sogar Monate ausgefallen sind. An einem Hoyerswerdaer Gymnasium fand in mehreren Klassen für zwei Monate kein Biologie-Unterricht statt. In Cottbus ist der Unterricht an einer Schule gleich tageweise ausgefallen. An einer Schule in Königsbrück mussten die Stundentafeln für Chemie und Englisch über Monate halbiert werden.


Mama als Ersatzlehrerin? Wenn der Unterricht in der Schule ausfällt, wird das Lernen nach Hause verlegt. Foto: Studienkreis

Aus diesem Defizit ergeben sich langfristig Bildungslücken. Wenn über Jahre 5 bis 10 Prozent der Stunden ausfallen, kann den Kindern nicht mehr das Wissen vermittelt werden, das laut Lehrplan vorgesehen ist. Deutschland läuft Gefahr, im internationalen Vergleich weiter abzurutschen. Dass genau das bereits passiert, belegen die jüngsten Bildungsstudien. Wir geben einen Überblick.

IGLU: Lesekompetenz

Die IGLU-Studie erfasst seit 2001 alle fünf Jahre die Lesekompetenz von Viertklässlern in mehr als 60 Ländern weltweit. Die jüngsten Ergebnisse der Erhebung wurden im Frühjahr 2023 veröffentlicht und verheißen nichts Gutes. Demnach sind die Leseleistungen der Grundschulkinder in Deutschland in den vergangenen Jahren gesunken. Ein Viertel der Viertklässler in Deutschland erreicht nicht die Kompetenzstufe III. Das ist der international festgelegte Standard für eine Lesekompetenz, die notwendig ist für einen erfolgreichen Übergang vom Lesenlernen zum Lesen um zu lernen. Der Anteil der guten und sehr guten Leser ist im Vergleich zu 2001 um fast 10 Prozentpunkte gesunken. Insgesamt liegt die mittlere Lesekompetenz in Deutschland bei 524 Punkten, damit liegt die Bundesrepublik im Mittelfeld und knapp unter dem EU-Durchschnittswert von 527. Den besten Wert erreichte in der jüngsten Erhebung Singapur mit 587 Punkten.

IQB: Kompetenzen in Mathe und Deutsch

Der IQB-Bildungstrend erhebt seit 2008 regelmäßig das Bildungsniveau von Schulkindern in Deutschland. Das nationale Bildungsmonitoring wird von der Kulturministerkonferenz in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, inwiefern die Bildungsziele in den einzelnen Bundesländern erreicht werden. Und auch hier sind die jüngsten Ergebnisse von 2021 wenig erfreulich. Die Mathe- und Deutsch-Kompetenz von Viertklässlern ist im Vergleich zu 2016 deutlich gesunken. Zwischen 18 Prozent (Zuhören) und 30 Prozent (Orthografie) der Kinder erreichen nicht einmal die Mindeststandards. In Mathematik verfehlen etwa 22 Prozent der Viertklässler diese Standards. Schaut man sich die einzelnen Bundesländer an, schneiden Sachsen und Bayern überdurchschnittlich gut ab, während die Ergebnisse aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen besonders alarmierend sind.

PISA: Leistungen in Mathe, Lesen und Naturwissenschaft

Mit PISA werden regelmäßig die Leistungen von Schülern weltweit erhoben – in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Die letzte Erhebung bei 15-Jährigen erfolgte 2018. Dabei landete Deutschland international im Mittelfeld. Für die Lesekompetenz gab es 498 Punkte (OECD-Schnitt: 487). Auch in Mathe liegen die deutschen Schüler über dem internationalen Schnitt. Hier gab es 500 Punkte (OECD: 489). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Naturwissenschaften: Deutschland erreichte 503 Punkte (OECD: 489). Allerdings: In allen drei Bereichen gelten etwa 20 Prozent der Schüler als leistungsschwach. Da heißt, dass ihre Kompetenzen nicht über das Niveau der Grundschule hinausreichen. Die neuesten PISA-Daten werden im Dezember 2023 veröffentlicht.

Maßnahmen

Die Probleme sind nicht neu. Schon vor fünf Jahren haben wir in der lausebande ausführlich über den Personalmangel in Schulen und Kitas sowie seine Folgen berichtet. Seitdem hat die Politik verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Not zu lindern. Im Januar 2023 hat eine Kommission der Kultusministerkonferenz Empfehlungen veröffentlicht, welche die Länder, die für Schule und Bildung zuständig sind, umsetzen sollen. Diese Maßnahmen zielen vor allem auf bestehende Lehrkräfte. Im März folgte eine zweite Liste, die auf das Lehramtsstudium eingeht.

Empfehlungen der Kultusministerkonferenz:

  • Beschäftigungsreserven bei Lehrkräften erschließen, z.B. über späteren Rentenbeginn oder Weiterbeschäftigung im Ruhestand; weniger Teilzeit ermöglichen; Abordnung an Schulen mit besonders hohem Bedarf;
  • Entlastung des Lehrpersonals von Verwaltungsaufgaben
  • das Potenzial von Lehrkräften ausweiten, indem z.B. Gymnasiallehrer für andere Schulformen qualifiziert werden oder Lehrerinnen in Mangelfächern nachqualifiziert werden
  • Unterstützung durch zusätzliches Personal wie Lehramtsstudierende, Quereinsteigerinnen oder Integrationshelfer
  • Lehrkräftebedarf reduzieren durch Hybridunterricht, mehr Selbstlernzeiten für Schulkinder und größere Klassen, wobei diese Maßnahmen explizit nicht für Grundschulen empfohlen werden
  • aufgrund der höheren Arbeitsbelastung Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
  • Modelle für Quer- und Seiteneinstieg auswerten und ggf. ausweiten, angestrebt wird eine bundesweit einheitliche Qualifikation
  • Attraktivität und Wertschätzung des Lehrberufs erhöhen
  • ausreichend Lehramtsstudienplätze vorhalten
  • bestehende Studiengänge weiterentwickeln
  • Prognosen des Lehrkräftebedarfs und -angebots optimieren
  • schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen
  • Studiengangwechsel ins Lehramt erleichtern


Wo diese Maßnahmen nicht schon umgesetzt wurden, bessern einige Ländern jetzt nach. Sachsen will ab diesem Schuljahr Sabbaticals einschränken und Teilzeit nur noch dann erlauben, wenn Gründe wie die Betreuung von Kleinkindern nachgewiesen werden können. Viele der Maßnahmen gehen einher mit einer zusätzlichen Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, von denen viele ohnehin am Limit arbeiten. Dessen ist sich die Kultusministerkonferenz bewusst, appelliert zugleich: „Bei aller zusätzlicher Belastung muss aber auch allen Akteur:innen im Schulsystem klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung steht, die größte Anstrengungen erfordert, um den kommenden Generationen von Schüler:innen ein Unterrichtsangebot zu machen, das ihnen soziale, kulturelle, gesellschaftliche und berufliche Teilhabe ermöglicht.“

Finanzielle Anreize

Brandenburg und Sachsen bieten einen zusätzlichen finanziellen Anreiz, um Lehrkräfte in sogenannte Bedarfsregionen zu locken, also jene Gebiete, in denen der Mangel besonders groß ist. Brandenburg vergibt ein Landlehrer-Stipendium. Dieses erhalten Lehramtsstudierende ab Fachsemester 5, wenn sie ein Fach mit hohem Bedarf studieren und sich verpflichten, nach dem Studium zunächst an einer Bedarfsschule zu unterrichten. Im Gegenzug erhalten sie 600 Euro monatlich. In diesem Jahr wurden 40 Stipendien vergeben, 15 mehr als in den Vorjahren. Da bis Ende Juli noch nicht ausreichend Bewerbungen für die 40 Plätze eingegangen sind, hat das Bildungsministerium die Bewerbungsfrist bis Ende August verlängert.

In Sachsen gibt es nach dem Studium eine Prämie: Wer sich entscheidet, sein Referendariat und anschließend fünf weitere Berufsjahre in einer Bedarfsregion zu absolvieren, erhält während des 18-monatigen Referendariats 70 Prozent des Grundgehalts zusätzlich pro Monat, das sind etwa 1.000 Euro. Mit dem Start der Prämie vor fünf Jahren nahmen elf Prozent der Referendare das Angebot an, zuletzt stieg der Anteil auf 40 Prozent.
Zudem will der Freistaat ältere Lehrkräfte mit finanziellen Anreizen überzeugen, länger im Dienst zu bleiben. Aktuell gehen 90 Prozent von ihnen vorzeitig in den Ruhestand. Brandenburg will Lehrkräfte im Alter 63+ ebenfalls zu einem längeren Verbleib an den Schulen motivieren, unter anderem mit geringerer Arbeitszeit und zusätzlichen Anrechnungsstunden.


Traumberuf Lehrerin: Um mehr Menschen für einen Job im Klassenzimmer zu begeistern, haben die Bildungsministerien der Länder mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Foto: gponitstudio/ iStock

Mehr Wertschätzung und Werbung

Angesichts der hohen Belastung und der wichtigen Aufgabe wünschen sich viele Lehrkräfte mehr Wertschätzung – durch die Kinder und Eltern und nicht zuletzt durch die Politik. Die ist aufgrund des hohen Bedarfs und durch den Wettbewerb zwischen den Bundesländern seit einigen Jahren verstärkt um mehr Anerkennung bemüht. Das zeigt sich unter anderem in neuen Möglichkeiten der Verbeamtung und über eine höhere Entlohnung.

Mittlerweile können in beiden Bundesländern Lehrkräfte verbeamtet werden. Sachsen hat den Beamtenstatus 2019 wieder eingeführt, als eines der letzten Bundesländer. Zunächst war die Verbeamtung bis Ende 2023 befristet worden. Mittlerweile wurde diese Befristung bis 2030 verlängert. Die Verbeamtung ist nur bis zum 42. Lebensjahr möglich. Aktuell sind etwa ein Drittel der Lehrkräfte in Sachsen Beamte. Brandenburg wiederum hat Anfang des Jahres einen Alleingang beschlossen: Es ist das einzige Bundesland, das auch Quereinsteigern mit einem Bachelor-Abschluss die Verbeamtung anbietet. Dazu müssen diese allerdings zuvor eine 18-monatige Qualifizierung durchlaufen. Von der KMK wird der Beamtenstatus nicht anerkannt, so dass diese Lehrkräfte nicht einfach das Bundesland wechseln können bzw. bei einem Umzug ihren Beamtenstatus wieder verlieren.

Zudem wurde in den zurückliegenden Jahren die Wertschätzung für den Lehrberuf über eine bessere Entlohnung sichtbar. War es lange üblich, dass Lehrerinnen an Grundschulen weniger Gehalt bekamen als solche an weiterführenden Schulen, werden mittlerweile in den meisten Bundesländern alle Lehrkräfte in die gleiche Besoldungsgruppe eingestuft. So liegt das Einstiegsgehalt in Brandenburg derzeit bei knapp 4.600 Euro brutto, in Sachsen bei knapp 4.300 Euro.

Zudem haben beide Bundesländer mit Werbekampagnen ihre Bemühungen verstärkt, um zusätzliche Lehrkräfte zu gewinnen. Gehofft wird auf Bewerbungen aus anderen Bundesländern, aus dem Ausland und von fachfremden Personen – die sogenannten Quereinsteiger.

Quereinstieg

Der Quer- oder Seiteneinstieg war und ist bei aller Kritik die Maßnahme mit den größten kurzfristigen Effekten. Da in vielen Bundesländern viel weniger Menschen ein Lehramtsstudium abschließen als Lehrkräfte in den Ruhestand gehen, hat die verstärkte Einstellung von Lehrkräften über den Quereinstieg so manche Unterrichtsstunde gerettet. Vor etwa zehn Jahren begannen die ersten Bundesländer, die Möglichkeit des Quereinstiegs anzubieten. Mittlerweile haben fast alle Bundesländer nachgezogen.

Im zurückliegenden Schuljahr waren in Sachsen zwölf Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte Seiteneinsteiger, in Brandenburg 30 Prozent. Im neuen Schuljahr hat fast jede fünfte neu eingestellte Lehrkraft kein Lehramtsstudium abgeschlossen, sondern sich über den Seiteneinstieg qualifiziert. Diese Zahlen verdeutlichen, wie groß die Lücken in den Lehrerzimmern ohne Quereinstieg wären. Um diese Personengruppe für den Lehrberuf zu gewinnen, setzen Sachsen und Brandenburg zusätzliche Maßnahmen um. Brandenburg ermöglicht wie oben erwähnt den Beamtenstatus auch Quereinsteigern mit Bachelorabschluss. Sachsen erweitert den Kreis der möglichen Bewerber. Bislang war ein universitärer Hochschulabschluss Voraussetzung für den Seiteneinstieg. Künftig kann man sich auch mit dem Abschluss einer Berufsakademie oder Fachhochschule bewerben. Neu ist ebenfalls, dass Bewerberinnen mit Bachelorabschluss ohne unmittelbare Fächerzuordnung der Seiteneinstieg ermöglicht wird.


Bolivien oder Brandenburg? Neue Studienangebote und Stipendien sollen mehr junge Leute für ein Lehramts-studium in der Lausitz begeistern. Foto: smolaw11/ iStock

Mehr Studienplätze für Lehrkräfte in spe

Um künftig wieder mehr klassisch ausgebildete Lehrkräfte ausbilden zu können, wird auch beim Lehramtsstudium an einigen Stellschrauben gedreht. Brandenburg bildet ab dem Wintersemester 2023/24 erstmals in der Lausitz Lehrkräfte aus. Am Senftenberger Campus der BTU wurde in Rekordzeit ein neuer Studiengang fürs Grundschullehramt etabliert. Zunächst können 50 Studierende starten. Das Interesse an dem neuen Studiengang ist groß: Es gab mehr als 200 Bewerbungen. Langfristig soll die Zahl der Studienplätze ausgebaut werden.

Parallel hat das Land die Zahl der Studienanfängerplätze im Lehramt an der Universität Potsdam in den vergangenen vier Jahren von 650 auf knapp 1.100 Bachelor-Studienanfängerplätze erhöht. Diese teilen sich wie folgt auf:

Studienanfängerplätze Bachelor of Education im WS 2023/24 Uni Potsdam:

  • 55 Plätze in der Inklusionspädagogik
  • 165 Plätze in der Primarstufe
  • 853 Plätze in der Sekundarstufe


Auch der Freistaat Sachsen hat die Studienplatzkapazitäten ausgebaut – von 1.000 Studienplätzen im Jahr 2011 auf aktuell 2.700. Hier allerdings wird das Lehramtsstudium nur an den Universitäten in Leipzig, Dresden und Chemnitz angeboten. Elternschaft und Politik aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz fordern ein Lehramtsstudium auch in der Lausitz – ähnlich wie es jetzt in Brandenburg umgesetzt wird. Das könnte nach Angaben des Wissenschaftsministeriums zum Wintersemester 2024/25 kommen. Derzeit erarbeitet die Hochschule Zittau/Görlitz ein entsprechendes Studienangebot gemeinsam mit der Uni Leipzig. Für das Lehramtsstudium für Berufsschulen gibt es diese Kooperation bereits seit einem Jahr.

Weniger Studienabbrüche

Ein zweites großes Problem ist die Zahl der Studienabbrüche. Statistisch zuverlässige Erhebungen dazu gibt es kaum. Erfasst werden zwar Exmatrikulationen, nicht jedoch die Gründe: Studienabbruch, Uniwechsel, Elternzeit? Der Stifterverband hat versucht, diese fehlenden Daten zu erheben. Ergebnis ist die Grafik auf der Nebenseite: Der „Lehrkräftetrichter“ verdeutlicht den Schwund während des Studiums. Von etwa 52.500 Menschen, die ein Lehramtsstudium beginnen, beenden nur ca. 28.300 ihr Referendariat, also kaum mehr als die Hälfte.

Zu den möglichen Gründen gibt es ebenfalls eine Studie, die im Frühjahr 2023 vorgestellt wurde. Für das Lehramtsstudierenden-Panel wurden 5.500 Studierende bundesweit befragt, unter anderem zu ihrer Zufriedenheit und Motivation. Dabei kam heraus, wo sie sich Verbesserungen wünschen:

  • Möglichkeit nur ein Fach zu studieren,
  • mehr Praxisbezug schon im Studium,
  • mehr Unterstützung und Mentoring im Studium,
  • mehr Unterstützung beim Berufseinstieg,
  • stärkerer Fokus auf Pädagogik und Bildungswissenschaft.


Tatsächlich wollen sowohl Brandenburg als auch Sachsen den Praxisanteil während des Studiums erhöhen. So führt Brandenburg als eines der ersten Bundesländer zum Wintersemester 2026/2027 einen dualen Masterstudiengang fürs Lehramt ein – ebenfalls in Senftenberg. Durch die Verknüpfung mit dem Referendariat wird so die Gesamtausbildungszeit für neue Lehrkräfte verkürzt. Zudem erhalten die Studierenden schon während des Studiums ein Gehalt und lernen ihre mögliche künftige Schule kennen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort auch nach dem Studium unterrichten. Das Wissenschaftsministerium plant noch eine weitere Neuerung: Es will das Ein-Fach-Studium ermöglichen. Dazu braucht es aber noch das Okay der Kultusministerkonferenz. Denn bisher ist es in Deutschland nicht möglich, Lehramt nur mit einem Fach zu studieren – anders übrigens als in vielen anderen Staaten.


Der Lehrkräftetrichter: Angegeben ist die durchschnittliche Zahl der Studierenden im Zeitraum 2017-2021. Quelle: Stifterverband

In Brandenburg konnte die Abbruchquote in den vergangenen Jahren verringert werden – auf zuletzt 23 Prozent. Damit mehr Studierende bis zu Referendariat durchhalten, gab es einige Verbesserungen im Studium. So werden Pflichtveranstaltungen im Fachstudium Mathematik lehramtsspezifisch angeboten – also nur noch für Lehramtsstudierende. Eine Durchmischung mit Fachstudierenden außerhalb des Lehramts erfolgt nicht. Im Musiklehrerstudium gibt es neuerdings die Möglichkeit des peer-to-peer-Lernens im Schulpraktischen Musizieren und im Fachstudium Physik erweiterte Schulexperimente in den Experimentalphysik-Vorlesungen.

Zudem wurden in den vergangenen Jahren für immer mehr Lehramtsstudiengänge die Zulassungsbeschränkungen über den Numerus Clausus aufgehoben. Sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg kann man sich mittlerweile fast überall unabhängig vom Abischnitt bewerben. Der NC gilt nur noch dort, wo die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Studienplätze deutlich übersteigt.

Weniger Unterricht & größere Klassen

Eine weitere, aber wenig beliebte Möglichkeit, den Bedarf an Lehrkräften zu reduzieren sind größere Klassen und reduzierte Stundentafeln. Sachsen hat das zuletzt vor vier Jahren getan. Zum Start des Schuljahres 2019/2020 wurden die Stunden an allen Schulformen gekürzt – u.a. in den Fächern Deutsch, Mathe, Fremdsprachen, Sport, Biologie. Begründet wurde das vor allem mit der hohen Belastung der sächsischen Schüler. In keinem anderen Bundesland war die wöchentliche Stundenzahl damals so hoch wie in Sachsen. Aber auch der Mangel an Lehrkräften wurde als Grund angegeben.

Die zweite Möglichkeit ist die Erhöhung der Kinderzahl pro Klasse. Die Maximalzahl für Schulklassen in Sachsen und in Brandenburg liegt nach Vorgaben der KMK derzeit bei 28 Kindern. Eine Erhöhung ist nicht vorgesehen und würde wenn überhaupt nur an weiterführenden Schulen infrage kommen. Einsparpotenzial gibt es dennoch: Denn aktuell werden die 28 Kinder pro Klasse nur selten erreicht. Laut sächsischem Bildungsministerium liegt die durchschnittliche Klassengröße zwischen 21 und 23 Kindern. Hier könnte man also ansetzen und die Klassenstärke auf die zulässige Höchstgrenze erhöhen. Allerdings ist das vor allem in ländlichen Gebieten mit wenig Kindern und einem ohnehin schon dünnen Schulnetz mitunter schwierig.

KI als Lösung?

Aber gerade in solchen ländlichen Regionen könnte die Digitalisierung weiterhelfen. Wie genau, das zeigt ein Blick nach Ostsachsen. Im Landkreis Görlitz startete im vergangenen Schuljahr ein Pilotprojekt zum Hybridunterricht. An drei Gymnasien in Niesky, Weißwasser und Görlitz wurden Leistungskurse in Biologie und Physik zusammengefasst. Nur so konnte die erforderliche Mindestzahl von zehn Schülern je Leistungskurs erreicht werden. Ein Teil der Schüler wird im Klassenzimmer regulär durch eine Lehrkraft unterrichtet, die Schülerinnen aus der anderen Schule werden via Bildschirm dazu geholt. So konnten erstmals an allen drei Gymnasien die gewünschten Leistungskurse angeboten werden. Eine erste Zwischenbilanz fiel nach Angaben des Bildungsministerium positiv aus, so dass das Projekt auf weitere Schulen ausgeweitet werden soll.

Als Sachsens Bildungsminister Ende August verkünden musste, dass erneut nicht alle Stellen mit Lehrkräften besetzt werden konnten, verband er dies gleich mit einer (Not-)Lösung: Im neuen Schuljahr sollen an sächsischen Schulen verstärkt digitale Selbstlernmodule zum Einsatz kommen. „Zukünftig kommt es immer stärker darauf an, die Schülerinnen und Schüler zum selbstorganisierten Lernen zu befähigen.“ Was der Minister mit Blick auf die Rolle von KI und Digitalisierung als notwendige Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts bezeichnet, ist nicht zuletzt eine Kapitulation vor dem Lehrkräftemangel. Wenn nicht ausreichend Personal da ist, müssen die Kinder und Jugendlichen selbst ran. Das Landesamt für Schule und Bildung hat dazu 63 digitale Selbstlernmodule beginnend von der Klassenstufe 3 bis 13 entwickelt, welche auf den Inhalten der Lehrpläne fußen. Die Schulen sind angehalten die Module – wann immer möglich – einzusetzen.

Ganz neu sind solche sogenannte Selbstlernzeiten nicht. So sieht das Konzept des flipped classroom vor, dass die Schüler sich neue Themen zunächst online über Videos, Audiodateien oder Texte erschließen. Anschließend werden die Inhalte im Unterricht gemeinsam mit der Lehrerin besprochen und vertieft. Vom sächsischen Kultusministerium hieß es dazu im vergangenen Schuljahr: „Es existieren dazu noch keine systematischen Projekte in Sachsen. Gleichwohl wird diese Methode zum Beispiel bei kurzfristigem Ausfall von Lehrkräften angewandt. Nach den Erfahrungen der Pandemie ist das Vorgehen für die meisten Gymnasiasten in den höheren Jahrgangsstufen sehr gut anwendbar, jedoch hat es bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern sowie jüngeren Schülern Grenzen.“ Nun wird sich zeigen, ob aufgrund des akuten Mangels doch auch jüngere und leistungsschwache Kinder die neuen digitalen Module nutzen werden.


Beim Studienkreis erhalten die Kinder in kleinen Gruppen Nachhilfe in den gewünschten Fächern. © Studienkreis

Nachhilfe als Lösung?

Wenn der Staat keine neuen Lehrkräfte backen kann, wie es Sachsens Kultusminister Christian Piwarz im Frühjahr auf einer Sitzung des Kreiselternrats in Bautzen etwas flapsig formulierte, müssen die Eltern selbst aktiv werden. Einige Eltern haben es auf dem Klageweg versucht und auf mehr Unterricht geklagt – doch vergebens. Die Gerichte entschieden stets zuungunsten der Familien: Einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Mindestzahl an Unterrichtsstunden gebe es nicht. Zuletzt scheiterten Eltern in Thüringen mit einer solchen Klage. Die Begründung des Gerichts: Der bemängelte Unterrichtsausfall sei im Wesentlichen auf einen bundesweit bestehenden Lehrermangel zurückzuführen. Daher seien die benötigten personellen Kapazitäten für die Einhaltung des planmäßigen Unterrichts aktuell nicht vorhanden. Kurzfristige Lösungen seien nicht erkennbar.

Bleibt den Eltern also nur der Versuch, privat das nachzuholen, was Schule nicht mehr zu vermitteln schafft. Eine Möglichkeit ist professionelle Nachhilfe. Die letzten Zahlen dazu stammen von 2016. Demnach hat sich der Anteil der Kinder, die mindestens einmal während ihrer Schulzeit Nachhilfe in Anspruch nehmen, in den letzten 25 Jahren fast verdoppelt auf zuletzt 47 Prozent.

Studienkreis als einer der bundesweit größten Anbieter bestätiget diesen Trend: „Die gestiegene Nachfrage im Anschluss an die Pandemie hat mehrere Gründe. Zum einen spielen natürlich die enormen Lernlücken bei vielen Schülerinnen und Schülern eine Rolle, die während der Pandemie entstanden sind. Zum anderen erzählen uns Schülerinnen und Schülern aber auch von starken Beeinträchtigungen durch Unterrichtsausfälle, die mit dem Lehrermangel zu tun haben“, heißt es dazu vom Studienkreis. Im November 2022 ergab eine interne Umfrage des Studienkreises unter Nachhilfe-Interessenten, dass bei 18 Prozent der Befragten der Lehrkräftemangel ein Grund für ihren Wunsch nach Nachhilfe war.

Allerdings: Wenn bestimmte Themen überhaupt nicht mehr vermittelt werden, weil in einzelnen Fächern der Unterricht über Wochen oder sogar Monate ausfällt, dann kann auch professionelle Nachhilfe nicht mehr helfen. Studienkreis-Pressesprecher Thomas Momotow: „Das ist aber nicht dauerhaft die eigentliche Aufgabe von Nachhilfe, in der es darum geht, Stoff zu wiederholen, zu vertiefen, noch einmal zu erklären und punktuelle Rückstände auszugleichen, damit die Schüler und Schülerinnen wieder Anschluss finden, um den aktuellen Stoff zu verstehen. Nachhilfe kann überbrücken helfen, aber nicht an die Stelle der Schule treten.“

Ausblick

Vielleicht müssen wir Schule generell neu denken. Hier könnte ein Blick auf freie Schulen lohnen, die mit anderen Konzepten arbeiten: weniger Frontalunterricht, altersgemischte Klassen, Verzicht auf Hausaufgaben, mehr Projektarbeit, mehr selbstständiges Lernen. Diese Schulen haben einen hohen Zulauf von Familien und kaum Probleme mit Unterrichtsausfall. In Sachsen wird tatsächlich derzeit daran gearbeitet, Bildung neu zu denken. Unter der Überschrift „Bildungsland Sachsen 2030“ entwickeln Eltern sowie Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kirche, Schule und Kommunalebene Ideen, wie Schule künftig aussehen soll. Die ersten Vorschläge klingen durchaus revolutionär – zumindest wenn wir die klassische staatliche Schule als Vorbild nehmen. Hier ein paar Ideen für Schule in Sachsen 2030:

  • Abschaffung von Noten bis Klasse 8
  • Abschaffung der Kopfnoten
  • Neubewertung von Hausaufgaben
  • mehr selbstbestimmtes und selbstreguliertes Lernen
  • mehr Mitbestimmung für die Kinder und Jugendlichen
  • Fächerkanon auf Relevanz prüfen und ggf. anpassen
  • stärkere berufliche Orientierung
  • Klassen- und Jahrgangsübergreifendes Lernen


Welche dieser Vorschläge tatsächlich umgesetzt werden, diskutiert die Staatsregierung derzeit. Immerhin stimmen diese Ideen vorsichtig optimistisch, dass Schule und Lernen in Zukunft wieder mehr Freude machen – sowohl den Kindern, als auch den Lehrkräften. Und das wäre schon mal eine wichtige Voraussetzung, damit sich wieder mehr Menschen für diesen wichtigen Beruf entscheiden.


Die Basis für einen erfolgreichen Schulstart wird schon in der Kita gelegt. Foto: LSOphoto/ iStock

Kitas: frühe Bildung für einen guten Schulstart

In den Kitas ist die Personaldecke ähnlich dünn wie in den Schulen. Immerhin sieht die Situation in Sachsen und Brandenburg besser aus als in den meisten westdeutschen Bundesländern. Da dort die Zahl der Kitaplätze weiter massiv ausgebaut werden soll und die Geburten dort etwas langsamer zurückgehen als in Ostdeutschland, braucht es dort mehr Erzieherinnen. Seit 2010 konnte die Zahl des Personals in Kitas bundesweit bereits deutlich erhöht werden: von 420.000 auf gut 675.000. Das steht im 2021 veröffentlichten Fachkräftebarometer des Deutschen Jugend Instituts. Dieser Bericht geht von einem zusätzlichen Bedarf von gut 280.000 Erzieherinnen bis 2030 aus. Damit müsste der bisherige Personalausbau der letzten zehn Jahre in diesem Tempo fortgesetzt werden. Allerdings werden davon nur etwa 31.000 Stellen in den ostdeutschen Bundesländern benötigt. Dort braucht es kaum noch neue Kitaplätze. Stattdessen gilt es das Personal zu ersetzen, das in den kommenden Jahren in den Ruhestand geht. Hinzu kommt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026, dafür wird ebenfalls zusätzliches Personal benötigt.

Das eine sind die offiziellen Statistiken. Noch mal anders sieht es aus, wenn das Personal in den Kitas direkt befragt wird. Auch dazu gibt es Untersuchungen und hier fällt die Bilanz schon deutlich schlechter aus. Die Gewerkschaft Verdi veröffentlichte 2021 den Kita-Personalcheck. Darin bemängeln die Befragten folgende Punkte in ihrem Arbeitsalltag:

  • zu viele Kinder pro Gruppe bei
  • zu wenig Personal
  • kann aus Zeitgründen nicht auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder eingehen
  • kann die eigenen pädagogischen Ansprüche nicht umsetzen
  • erledige Aufgaben außerhalb meiner Arbeitszeit
  • fehlende Zeiten für Vor- und Nachbereitung
  • hohe Fluktuation in der Einrichtung
  • habe schon mal über einen Berufswechsel nachgedacht


Im Fazit heißt es: „Insbesondere die realen Fachkraft-Kind-Relationen, wie sie sich im Alltag der Beschäftigten darstellen, sind alarmierend.“ In Spitzenzeiten muss sich ein Erzieher auch schon mal um bis zu 15 Krippenkinder kümmern – das sind fünf Mal so viele wie empfohlen.

Eine zweite Studie stammt vom Deutschen Kitaleitungskongress und wurde im Frühjahr 2023 veröffentlicht. Auch hier wird fehlendes Personal und fehlende Zeit für die Arbeit mit den Kindern beklagt:

  • fehlende Wertschätzung durch die Politik
  • zu wenig Personal
  • hohe Arbeitsbelastung des Personals führt zu vermehrten Krankschreibungen
  • Einstellung von nicht ausreichend qualifiziertem Personal
  • empfohlener Personalschlüssel kann nicht eingehalten werden
  • hohe Unzufriedenheit unter dem Personal
  • Öffnungszeiten mussten mangels Personals bereits gekürzt werden
  • pädagogische Angebote konnten nicht wie geplant durchgeführt werden


Allerdings ist diese Studie nur bedingt auf die Lausitz übertragbar. Denn von den 5.000 befragten Kitaleitungen stammen 80 Prozent aus Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen und nicht einmal zwei Prozent aus Sachsen und Brandenburg.

Bedarf in der Lausitz gedeckt

Die Bildungsministerien in Sachsen und Brandenburg sehen den Bedarf an pädagogischem Personal in Kitas aktuell als gedeckt an. Minister Christian Piwarz: „Wir sind in Sachsen froh, dass wir so viele Erzieherinnen und Erzieher ausbilden, dass wir unseren Bedarf decken können. Ein Mehr an Fachkräften ist wünschenswert, muss aber auch auf dem Arbeitsmarkt realisiert werden können.“ Damit bezieht er sich auf die Forderung der Bertelsmann Stiftung, 21.000 zusätzliche Fachkräfte einzustellen – für einen kindgerechten Personalschlüssel.

Denn wenngleich sich der Personalschlüssel in den letzten Jahren in fast allen Bundesländern verbessert hat, gilt er vor allem in Ostdeutschland als stark ausbaufähig. So kümmert sich in Sachsen rein rechnerisch eine Erzieherin um 5,3 Krippenkinder, empfohlen werden höchstens drei Kinder. In der Praxis ist der Personalschlüssel meist noch schlechter, weil Erzieherinnen krank sind, in Weiterbildung oder im Urlaub. Für Brandenburg empfiehlt die gleiche Studie 11.500 zusätzliche Stellen.

Wenngleich Christian Piwarz die Forderungen der Bertelsmann Stiftung für überzogen und unrealistisch hält, so sollten sich gerade die ostdeutschen Bundesländer um eine weitere Verbesserung des Personalschlüssels bemühen. Dabei könnte den Ländern die demografische Entwicklung entgegenkommen. Wenn der Bedarf an Kitaplätzen aufgrund geringerer Geburtenzahlen sinkt, sollte das Personal dennoch gehalten werden. Dann verbessert sich der Personalschlüssel ganz automatisch. Denn nur mit ausreichend Personal können Kitas das leisten, was ihre eigentliche Aufgabe ist neben der reinen Aufsicht und Betreuung: frühkindliche Bildung.

Fachleute gehen davon aus, dass sich ein sehr schlechter Betreuungsschlüssel negativ auf die Entwicklungschancen von Kindern auswirken kann. Ist die Personaldecke zu dünn, können Kinder nur noch verwahrt werden, nicht jedoch gefördert und begleitet.

Kurzfristig führt der Personalmangel in den betroffenen Einrichtungen zu verkürzten Öffnungszeiten oder geschlossenen bzw. aufgeteilten Gruppen. Es gibt Vorschläge, den Betreuungsanspruch auf eine bestimmte Stundenzahl zu begrenzen, um möglichst vielen Kindern überhaupt einen Kitaplatz anbieten zu können. Zudem könnte man das Personal von bestimmten Aufgaben wie der Dokumentation entlasten. Langfristig wird empfohlen, den Beruf attraktiver zu machen über mehr Wertschätzung und bessere Bezahlung und auch die Ausbildung zu verbessern, hier brauche es eine attraktivere Vergütung. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass mehr pädagogisches Personal in Vollzeit arbeitet. Derzeit liegt die Teilzeitquote bei 60 Prozent der Erzieherinnen. Ein Grund für die hohe Quote ist die Tatsache, dass in diesem Beruf überwiegend Frauen arbeiten, die zu Hause zusätzlich unbezahlter care-Arbeit nachgehen. Allerdings klagen schon jetzt Viele über eine hohe Arbeitsbelastung und schlechte Arbeitsbedingungen, so dass eine weitere Aufstockung der Stundenzahl unwahrscheinlich scheint.


Früh übt sich: Studien belegen, dass die Grundsteine für den späteren Bildungsweg schon in den ersten drei Lebensjahren gelegt werden.

Kitas als Bildungsort

Früh übt sich: Studien belegen, dass die Grundsteine für den späteren Bildungsweg schon in den ersten drei Lebensjahren gelegt werden.

Warum es so wichtig ist, dass auch die Kitas jetzt sowie in Zukunft über ausreichend Personal verfügen, zeigt ein Blick in den Nationalen Bildungsbericht. Er verdeutlicht, dass die frühe Bildung in den ersten Lebensjahren entscheidend ist für den weiteren Bildungs- und Lebensweg. Zuallererst ist Familie DER entscheidende Ort für Bildung. Kinder lernen beim Vorlesen und bei Gesprächen, beim Singen und Malen, beim Basteln und Werkeln, bei Zahlenspielen und Reimen, bei Ausflügen und beim Sport. Dort, wo Familien das nicht ausreichend leisten können, sollte die Krippe und Kita ihren Beitrag leisten – aber eben nur, wenn dafür ausreichend Personal vorhanden ist. So zeigen Untersuchungen, dass ein früher Kitastart positiv auf die Sprachkompetenz von Kindern wirkt. Kinder, die bereits mit einem Jahr oder jünger in eine Kindertagesbetreuung gegangen sind, haben als 7-Jährige einen signifikant höheren Wortschatz als Kinder, die erst mit zwei Jahren oder später in die Kita kamen. Das gilt insbesondere für Kinder, deren Eltern nicht Deutsch als Muttersprache sprechen. Diese Kinder profitieren besonders stark vom Kitabesuch, sie sind aber in Kitas unterrepräsentiert. Dabei würde ihnen der Kitabesuch den späteren Schulbesuch erleichtern. Denn für einen erfolgreichen Schulstart müssen Kinder gut deutsch sprechen – das gilt übrigens nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund. Und die schlechten Ergebnisse in der Lesekompetenz, auf die wir weiter oben eingegangen sind, zeigen den dringenden Handlungsbedarf in diesem Bereich an. Es scheint ganz so, als müssten wir bei der Diskussion um den Lehrkräftemangel schon viel früher ansetzen: nämlich in den Kitas. Das sagt auch der Sozial- und Erziehungswissenschaftler Prof. Kai Maaz: „Die Bildungsschere geht schon in den ersten drei Lebensjahren auseinander, das setzt sich in der Schule fort.“ Lesen Sie hier das ganze Interview mit ihm.

Exkurs

Mit einer finanziellen Maßnahme sammelt die Stadt Cottbus zurzeit Pluspunkte bei Erzieherinnen und Erziehern. Vorangegangen waren die Tarifverhandlungen für Kita-Kräfte im öffentlichen Dienst. Sie erwirkten ein deutliches Gehaltsplus von über zehn Prozent ab März 2024 und eine Inflationsprämie in Höhe von 3.000 Euro, aufgeteilt auf den Zeitraum von Juni 2023 bis Februar 2024. In der selbsternannten Boomtown Cottbus wurde im August bekannt, dass sich auch Angestellte von freien Trägern über den 3.000-Euro-Bonus freuen dürfen. Die Stadt übernimmt die Finanzierung. Auch der Landkreis Oberspreewald-Lausitz hat sich dazu bereiterklärt.

Weniger Freunde macht sich derweil die brandenburgische Landesregierung. Sie will mehr Erzieher „per Gesetz“ realisieren. In insgesamt drei Schritten soll der rechnerische Betreuungsschlüssel in den Krippen bis 2025 von 1 zu 5 auf 1 zu 4 verbessert werden. Sowohl Kita-Träger, als auch Eltern und Kommunen kritisieren dieses Vorgehen als wirkungslos, bereits der erste Schritt dieser Verbesserung (von 1 zu 5 auf 1 zu 4,65 im Jahr 2022) sei verpufft. Die zahlreichen hierfür einzustellenden Erzieher seien laut dem Städte- und Gemeindebund zurzeit nicht vorhanden. Eine konzentrierte Ausbildungsoffensive fordert daher der Landeskitaelternbeirat. Die Liga, Vertreter der freien Kita-Träger im Land, vermisst in den Berechnungen Regelungen für Urlaub, Krankheit oder Fortbildung ebenso wie eine Freistellung für Krippenleitungskräfte. Fakt ist aber: Es gibt mit jedem Schritt mehr Geld für die Einstellung von Erziehern. So erhöhen die nächsten beiden Schritte die Landesausgaben für Kitas um 71 Millionen Euro pro Jahr. Allein diese Zusatzausgabe macht rund zehn Prozent des Gesamthaushaltes für die Kinderbetreuung aus.
Es fehlen aber die Arbeitskräfte an sich. Auch für dieses Thema erntete die Landesregierung harsche Kritik. Sie kündigte im August 2023 an, künftig bis zu einem Anteil von 20 Prozent sogenannte Ergänzungskräfte in Kitas zu erlauben. Diese dürften Aufgaben innerhalb der Kita erledigen, die keine fachliche Expertise benötigen. Sie müssen daher keine volle pädagogische Ausbildung, sondern lediglich eine Mindestqualifizierung durchlaufen haben. Wie genau diese Qualifizierung ausgestaltet ist, lässt das Land bisher offen. Umsetzen möchte Brandenburg die Reform bereits im Herbst 2023. Die Erziehungsgewerkschaft GEW äußerte zur Reform genauso wie der Kita-Träger AWO und Experten der Bertelsmann-Stiftung die Befürchtung, dass die frühkindliche Bildung entprofessionalisiert werden könnte. Stattdessen wird auch hier eine Anpassung der Ausbildungsgänge gefordert. Dringend anzupassen sei, dass manche junge Menschen immer noch Schulgeld zahlen müssen, um Erzieher zu werden. Sachsen ist hier einen Schritt weiter: Dort wurde das Schulgeld sowohl an staatlichen als auch an freien Schulen abgeschafft. Ein Punkt im Reformkonzept wirkt davon abgesehen vielversprechend: So soll es für Träger attraktiver werden, Nachwuchskräfte selbst auszubilden.

Auf genau diese Weise nehmen manche Kommunen außerhalb der Lausitz die Personalmangel-Herausforderung in ihre eigene Hand. Die Gemeinde Oberkrämer (Oberhavel) beispielsweise beschäftigt mittlerweile zwölf Erzieher-Azubis. Das ist unüblich, denn Azubis werden in Brandenburg ab dem ersten Tag im Kita-Einsatz auf den Betreuungsschlüssel angerechnet. Effektiv verschlechtern sie dadurch das Verhältnis Fachkraft zu Kind. Oberkrämer muss die Azubis daher aus eigener Kasse bezahlen. Genauso verfahren die Gemeinden Woltersdorf (Oder-Spree), Werneuchen (Barnim) und Fredersdorf-Vogelsdorf (Märkisch-Oderland). Vielleicht läge hier ein Ansatzpunkt für das Land Brandenburg: die Träger-eigene Ausbildung kozufinanzieren und/oder Azubis nicht als vollwertige Arbeitskräfte im Personalschlüssel mitzurechnen.