Ausmalbücher sind für Kinder ungeeignet
Interview mit Prof. Dr. Constanze Kirchner, Professorin für Kunstpädagogik
an der Universität Augsburg. Sie forscht u.a. zum ästhetischen Verhalten
von Kindern und Jugendlichen und hat zahlreiche Bücher und Studien zum Thema veröffentlicht. Im Gespräch erklärt sie, was Kinder besonders gern zeichnen, warum sie von Kunst profitieren und warum Lego besser für Kinder geeignet ist als Ausmalbilder.
Die meisten Eltern haben zu Hause Papier und Buntstifte. Gibt es weitere Materialien, die aus Ihrer Sicht unbedingt in einen Familienhaushalt gehören?
Kinder können alles Mögliche nutzen, um kreativ zu werden: Knete, Teig, Kohlestifte, Farben, Stifte, Klebebänder, Schere, Schnüre, Kartons, Pappe, Papier in unterschiedlichen Farben und Größen – natürlich jeweils dem Alter entsprechend. Also für die Kleinsten Fingerfarben, Zwei- oder Dreijährige können auch schon mit der Kinderschere arbeiten.
Was halten Sie von Ausmalbüchern?
Klassische Ausmalbücher sind für Kinder ungeeignet, vom reinen Ausmalen profitiert ein Kind nicht. Das freie Zeichnen ist immer vorzuziehen. Wenn ein Kind einen Baum selbst zeichnet, macht es sich bewusst: Hier ist der Stamm, da der Ast, da der Zweig, da das Blatt. Wer dennoch Malbücher kaufen möchte, findet unter dem Stichwort „Kritzelbücher“ einige gute Exemplare, die Kinder anregen, sei es durch ungewöhnliche Formensprache oder durch Weiterzeichnen.
Gibt es typische Kindermotive?
Ja, Kinder malen häufig ihre Umwelt, alles was sie beschäftigt. Zunächst einmal sich selbst, anfangs als „Kopffüßler“. Das entspricht ihrem Körpergefühl. Kleine Kinder nehmen sich als Einheit wahr, als Ganzes. Sie malen den Körper als Kreis, in den Kreis kommen Augen, Nase, Mund, dazu das Gesicht und Haare, Arme und Beine. Nach dem eigenen Ich, sind das Haus und die Familie typische Motive, der Garten, Freunde, Tiere. Letztere werden immer im Profil gezeichnet, weil es darum geht, etwas möglichst prägnant darzustellen. Menschen wiederrum werden lange frontal dargestellt.
Was fällt aus Ihrer Sicht neben dem Malen und Zeichnen noch alles in den Bereich Kunst?
Kunst ist tatsächlich ein sehr komplexer Begriff: Schon ganz kleine Kinder zeigen ästhetisches Verhalten: Sie zeichnen im Sand, kritzeln auf Papier, bauen Türme. Der Übergang vom Spielen zum bildnerischen Tun ist fließend. Sobald ein greifbares Produkt entsteht, z.B. eine Sandburg oder ein Bild, gehört es eher zum bildnerischen Gestalten. Vorher, während des Entstehens, eher zum Spielen. Neben dem zwei- und dreidimensionalen Schaffen, also z.B. Malen oder Basteln, gehört auch der Bereich der Bewegung zur bildenden Kunst. Das umfasst tänzerische Elemente ebenso wie körperbetontes Spielen, z.B. Pferd spielen.
Kinder können selbst künstlerisch aktiv werden, aber sie können Kunst auch passiv erleben. Kann ich mit einem Dreijährigen schon ins Museum?
Unbedingt! Je jünger das Kind, desto mehr muss ich auswählen: Welche Ausdauer hat das Kind, wofür interessiert es sich? Bei Zwei- oder Dreijährigen, sollte man sich auf wenige ausgewählte Exponate beschränken. Ob man in ein spezielles Kindermuseum oder ein klassisches Museum geht, ist dabei zweitrangig. Kindermuseen sind großartig, aber auch die meisten großen Museen können mit pädagogischen Angeboten für Kinder ab etwa vier Jahren oder mit speziellen Familienführungen aufwarten. Moderne Kunst fasziniert Kinder, weil die Künstler dort meist viele Farben und Materialien verwenden. Historische Gemälde wiederum animieren zum Geschichten erzählen, ähnlich wie bei einem Wimmelbild, wo es viel zu entdecken und zu beschreiben gibt.