Eine Zahnarztpraxis ist kein Basar
Braucht mein Kind wirklich eine Zahnspange? Sind die hohen Kosten gerechtfertigt? Über diese und weitere Fragen haben wir mit Dr. Johannes Schenkel gesprochen. Er ist ärztlicher Leiter der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Im vergangenen Jahr hat sie 94.000 Beratungen durchgeführt, davon knapp 1.900 zu zahnmedizinischen Fragen einschließlich kieferorthopädischer Behandlungen.
Wenn Eltern und Kind unsicher sind, ob eine kieferorthopädische Behandlung überhaupt notwendig ist, was raten Sie?
Dann kann die Patientenberatung den Ratsuchenden oft unterstützend zur Seite stehen. Wir klären Patienten gern darüber auf, welche Vor- und Nachteile, gegebenenfalls welche Risiken und Kosten die jeweilige Behandlung mit sich bringt und wie die neuesten medizinischen Erkenntnisse aussehen. Wobei eines wichtig ist: Eine direkte Empfehlung geben wir nicht ab, unser Ziel ist es vielmehr, dass die Ratsuchenden auf informierter Grundlage selbst die für sie individuell passende Entscheidung treffen können.
Kritiker kieferorthopädischer Behandlungen sagen, dass viele Behandlungen mit Zahnspange aus rein medizinischer Sicht gar nicht notwendig seien. Stattdessen spielten eher ästhetische Gründe eine Rolle. Können Sie das bestätigen?
Unsere Zahnärzte beraten aufgrund evidenzbasierter Fakten. Es gibt in der Fachliteratur Untersuchungen und Studien, die sagen: Zahnfehlstellungen, ganz gleich ob angeboren oder durch Angewohnheiten wie Daumenlutschen und Nägelkauen herbeigeführt, können zu medizinischen Problemen führen. Zu nennen sind Kopf- und Rückenschmerzen, Zähneknirschen oder Sprechstörungen. Andererseits kann wiederum auch eine Zahnspangen-Behandlung zu gesundheitlichen Problemen führen, wie Schädigungen der Zahnwurzel. Über all diese Risiken klären wir auf, damit der Patient eine mündige Entscheidung treffen kann. Natürlich gibt es auch Patienten, bei denen die Behandlung rein ästhetische Gründe hat. Wie viel einem Ratsuchenden ein besonders schönes Lächeln wert ist, das ist aber oft keine medizinische Frage, weshalb von den Kassen nur die Behandlungskosten für ausgeprägte Fehlstellungen übernommen werden.
Laut Monitor Patientenberatung der UPD ist für viele Eltern die hohe Kostenbelastung einer kieferorthopädischen Behandlung ein großes Thema. Einige Eltern beklagen zudem Druck seitens des behandelnden Kieferorthopäden, sich für die kostenintensivere Variante zu entscheiden. Woran erkennen Eltern, welche Zusatzkosten sinnvoll sind und welche überflüssig?
Auch wenn es nicht so ist, dass sich Patienten regelmäßig von ihren Ärzten unter Druck gesetzt fühlen, spielt das Thema Kosten doch eine große Rolle in unserer zahnmedizinischen Beratung. Auch die meisten Zahnärzte wissen: Patienten sind als Laien häufig damit überfordert, die Kostenpläne zu verstehen. Was wir dann anbieten: Wir gehen gemeinsam mit den Ratsuchenden jeden einzelnen Posten durch und erklären jede Leistung mit ihren Vor- und Nachteilen. Dabei haben es Eltern seit Anfang dieses Jahres etwas einfacher. Denn seitdem sind die Kieferorthopäden verpflichtet, dem Patienten vor der Behandlung eine Kostenaufstellung mitzugeben, auf der erläutert ist, welche konkrete Leistung zu welchen Kosten geplant ist und wer die Kosten übernimmt. Diese Aufstellung hat zu mehr Transparenz geführt.
Das heißt, Sie geben auch keine allgemeinen Empfehlungen dazu, welche Zusatzkosten sinnvoll sind und welche Eltern sich sparen können?
Nein, eine pauschale Antwort ist auch nicht hilfreich; jede Behandlung ist individuell und hängt einerseits von den Wünschen und Voraussetzungen des Patienten und andererseits von der Erfahrung des Kieferorthopäden ab.
Einige Kritiker sagen, dass die Kieferorthopäden an ihren jungen Patienten vor allem Geld verdienen wollen – ein begründeter Vorwurf?
Die Zahnmedizin ist allgemein durch die gesetzlichen Vorgaben so charakterisiert, dass individuell zu tragende Kosten hier eine große Rolle spielen, ganz gleich ob bei einer kieferorthopädischen Behandlung oder bei Zahnersatz. Und natürlich haben diejenigen, die die Kosten tragen – also der Patient oder die gesetzlichen Krankenkassen – mitunter einen anderen Blick darauf als der Zahnarzt. Aber: Eine Zahnarztpraxis ist kein Basar. Die in Rechnung gestellten Kosten orientieren sich an der Gebührenordnung für Zahnärzte und auch die Preise für Laborarbeiten sind zum Teil reguliert.
Gibt es sonst allgemeine Empfehlungen, woran ich eine gute Behandlung erkenne?
Sie sollten mit dem Kieferorthopäden vor der Behandlung über folgende Fragen reden: Wie hoch ist die Erfolgschance? Ist eine geringe Belastung für das Kind möglich? Welche Risiken bestehen und was passiert, wenn die Behandlung nicht erfolgt? Welche Kosten kommen auf mich als Patient zu? Wenn Sie sich darüber im Klaren sind, ist das schon eine ganz gute Grundlage für eine erfolgversprechende Behandlung.
Kann eine Zweitmeinung vor einer kieferorthopädischen Behandlung sinnvoll sein?
Ich würde nicht automatisch immer gleich eine Zweitmeinung einholen. Sonst sitzt der Patient erst einmal vor zwei möglicherweise sehr unterschiedlichen Behandlungs- und Kostenplänen und ist nicht wirklich schlauer als zuvor. Wer Fragen hat, kann sich selbstverständlich an die UPD wenden. Wir klären dann die offenen Punkte. Gleichwohl gibt es Fälle, wo eine Zweitmeinung angeraten sein kann: Erstens, wenn es um die Frage geht: Fällt mein Kind schon in die KIG-Stufe 2 oder 3? Da kann ein Millimeter über die Übernahme der Behandlungskosten entscheiden. Zweitens, bei intransparenter Aufklärung, also wenn ich mich als Patient unzureichend aufgeklärt fühle. Drittens, wenn es um einen sehr frühzeitigen kieferorthopädischen Therapiebeginn noch beim Milchzahngebiss geht. Das kann bei starken Fehlstellungen durchaus medizinisch geboten sein, sollte aber von einem zweiten Arzt bestätigt werden.
Was könnte aus Ihrer Sicht noch besser werden beim Thema kieferorthopädische Behandlungen?
Ich denke, an der Transparenz hat sich mittlerweile einiges gebessert. Helfen würde sicher, wenn sich die Zahnärzte mehr Zeit nähmen für eine bessere und detailliertere Aufklärung in der Praxis. Wenn Eltern unsicher sind, ob das Kassenmodell ausreicht, raten wir gern: Lassen Sie sich und den Kindern das Kassenmodell vom Zahnarzt zeigen. Nehmen Sie es in die Hand. Schauen Sie, wo die Unterschiede zum Selbstzahler-Modell sind. Ein Kassenmodell ist nicht per se schlecht und erfüllt in jedem Fall den medizinischen Zweck auf wirtschaftliche Weise, auch wenn es, wie jede Behandlung, Vor- und Nachteile haben wird.