Inklusion und Individuelle Förderung im Land Brandenburg
Im vergangenen Jahr startete unsere Bildungsministerin das ehrgeizige Projekt „Inklusion – Schule für alle“, das schnell und flächendeckend eine gemeinsame Beschulung aller Kinder umsetzen sollte. Egal ob körperlich oder geistig, durch Lern- oder Sprachauffälligkeiten oder durch soziale bzw. emotionale Verhaltensauffälligkeiten beeinträchtigt. Damit einhergehend sollen die Förderschulen abgeschafft werden. Momentan werden in Brandenburg fast 10.000 Schüler an 93 Förderschulen unterrichtet. Inklusion ist die große Aufgabe, vor der alle Bundesländer stehen. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann und wie Inklusion umgesetzt wird.
Leider wurde Inklusion in der Öffentlichkeit durch eine irreführende Kommunikation mit vorwiegend Behinderten meist falsch vermittelt. In Brandenburg haben 8,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler einen besonderen Förderbedarf, das sind insgesamt 16.000 Schüler, von denen 6.400 schon im gemeinsamen Unterricht und nicht an Förderschulen unterrichtet werden (Stand Schuljahr 2011/2012). Der größte Förderbedarf besteht aber nicht bei Behinderten. Vielmehr entfällt ein Dreiviertel des Förderbedarfs auf die Bereiche Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache. Dabei kann man davon ausgehen, dass viele Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und Lernstörungen bzw. -schwächen in dieser Zahl noch nicht einmal erfasst sind.
Individuelle Förderung steht im Brandenburger Bildungssystem noch am Anfang. Unsere Bildungsministerin hat sich diese Pädagogik mit dem Projekt „Inklusion – Schule für alle“ zwar auf die Fahnen geschrieben, muss aber mit den knappen Finanzen unseres vergleichsweise armen Bundeslandes umgehen. In vielen anderen Bundesländern sieht es allerdings nicht besser aus. Beim Start Anfang 2012 sollte alles noch recht schnell gehen. Ebenso schnell wurde aber klar, dass die Rahmenbedingungen an den Schulen noch nicht passen. Inklusion hat auch mit Personal und Ausstattung zu tun. Schulen müssen eine Infrastruktur für Behinderte vorhalten, die Lehrer müssen entsprechend fortgebildet werden und zusätzlich braucht es Experten für verschiedenste Förderbedarfe. Dies alles in einer Situation, in der Lehrer an einigen Schulen so schon überlastet sind, Sonderpädagogen meist als Vertretungsreserve für teils langzeitkranke Lehrer herhalten müssen. Auch Bildungsexperten meinen, dass man mit umfassender Fortbildung der Lehrer, mit der Ausstattung der Schulen und auch mit zusätzlichem Personal beginnen muss, und dann erst mit der Inklusion starten kann. Kein Wunder, dass sich schnell Widerstand regte und die Lehrerschaft auf die Barrikaden ging. Eine Peitzer Oberschullehrerin, die sich in der Tageszeitung Luft machte und meinte, die Kinder würden im Vorhaben der Inklusion untergehen, bekam schnell einen Maulkorb verpasst. Immerhin hat die Gegenwehr der Lehrer dazu geführt, dass der Prozess jetzt entschleunigt wurde. Insgesamt haben 84 Pilotschulen im Land Brandenburg nun mehr Zeit für erste Erfahrungen, wobei sich jede Schule auch ganz individuell auf den Weg begibt. Im Schulamtsbezirk Cottbus gibt es insgesamt 7 Pilotschulen für Inklusion, allesamt Grundschulen. Sie haben sowohl in der Ausstattung als auch beim Personal zusätzliche Unterstützung erhalten. Bei einigen der Schulen haben wir nachgefragt: sie sammeln alle gute Erfahrungen in dem Pilotprojekt, solange kein Personal wegen Krankheit oder aus anderen Gründen ausfällt. Das Kernproblem bleibt aber das Personal. Sobald ein Lehrer ausfällt, wird die Umsetzung von Inklusion zum Problem. Für einzelne Kinder werden gerade in Schulen an sozialen Brennpunkten zudem mehr Einzelfallhelfer benötigt. Neben dem Lehrerpersonal und Sonderpädagogen braucht es für eine erfolgreiche Inklusion auch weitere Experten wie Heilerziehungspfleger, Heilpädagogen, Psychologen sowie zusätzlicher Gewerke zum Ausgleich der Handicaps einzelner Schüler. Sehr positiv wird das zusätzliche Fortbildungsprogramm für Lehrer an diesen Schulen aufgenommen. Bedenken äußerten Schulen vor allem bei Kindern mit schweren Verhaltensstörungen, die sich emotional und sozial sehr schwierig auf den Klassenverband auswirken. Hier wird Inklusion fraglich, da die ganze Klasse in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Insofern sollte die Möglichkeit offengehalten werden, Kinder in Ausnahmefällen auch gesondert zu beschulen. Interessierte Eltern können sich zu diesem Thema auch an die Inklusionsbeauftragte der nächsten Grundschule wenden:
Landkreis Spree-Neisse
- Grundschule „Mato Kosyk“ Briesen: Frau Buggel, T. 035606 40019, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
- Spreewald-Grundschule Burg: Frau Richter, T. 035603 333, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
- Mosaik-Grundschule Döbern: Frau Wolf, T.: 035600 6556, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Oberspreewald-Lausitz
- Pestalozzi-Grundschule Großräschen: Frau Wyrembek, T.035753 26508, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
- Grundschule „Paul Noack“ Schipkau: Frau Liebig, T. 035754 9561
- Grundschule Guteborn: Frau Scholze, 035752 5132, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Cottbus
- UNESCO-Projekt-Schule Cottbus 21. Grundschule: Frau Büttner, 0355 861011, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Wie viel Zeit das Thema in Brandenburg noch brauchen wird, ist auch daran zu sehen, dass erst in diesem Jahr inklusive Pädagogik und damit individuelle Förderung an der Potsdamer Uni für die Lehrerausbildung richtig Einzug gehalten hat. Die jetzt mit der Ausbildung gestarteten Lehramtsstudenten müssen aber erst ihr Studium und ihr Referendariat beenden und ins Bildungssystem hineinwachsen.
Fortbildungsangebote für die bestehende Lehrerschaft waren in der notwendigen Qualität bislang hingegen wenig vorhanden. Eigentlich müssten alle Schulen – zumindest die Grundschulen – ihre bestehende Lehrerschaft mit Nachdruck in individueller Förderung fortbilden. Das bedarf auch der Bereitschaft der Lehrer, sich auf das Unbekannte einzulassen. Mit Brandenburgs stark überalterter Lehrerschaft ein schwieriges Unterfangen. Noch vor wenigen Jahren wurden Lehrer, die an Schulen neue Lernmethoden einführten, förmlich gemobbt (siehe dazu das Interview mit dem Landeselternrat Wolfgang Seelbach, Seite 40).
Eine große Herausforderung wird dabei bislang kaum diskutiert. Ausgerechnet die bestbezahlten Lehrkräfte in unserem Schulsystem sind auf die neue Pädagogik am schlechtesten vorbereitet. An den Gymnasien findet individuelle Förderung am wenigsten statt, weshalb viele Schüler dort in den ersten Jahren auch förmlich einbrechen oder nur mit reichlich Nachhilfe überleben. Hier sind die Oberschulen mit vielen engagierten Lehrern deutlich besser aufgestellt, verkommen aber leider immer mehr zu Restschulen, denen die notwendige Anzahl leistungsstarker Schüler fehlt. Viele Eltern geben heute alles, damit ihre Kinder aufs Gymnasium kommen. Der Übergang auf Gymnasium oder Oberschule wird oft als Entscheidung über den künftigen sozialen Status des Kindes verstanden. Leistungsschwächere Schüler haben am Gymnasium aber enorme Probleme, da die individuelle Förderung dort meist ausbleibt – während Oberschulen heute über gute Strukturen verfügen, auch leistungsstärkere Schüler zu fördern. Diesen steht dann das Fachabitur offen, mit dem sie in 13 Jahren auch zum Abitur gelangen und im durchlässiger werdenden Bildungssystem später sogar an einer Hochschule studieren können.
Alles in allem hat Brandenburg in der inklusiven Pädagogik einen langen Weg vor sich, die gesamte Lehrerschaft mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten und dann auch die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, von denen hier noch gar nicht die Rede war. Individuelle Förderung bedeutet nämlich auch, dass die Ausstattung der Schule den unterschiedlichen Anforderungen der Schüler entspricht – das reicht z.B. bis zum richtigen Bodenbelag und der Raumbeschaffenheit für schwerhörige Kinder. Nimmt man die notwendigen Veränderungen in der Lehrerschaft und der Ausstattung der Schulen zusammen, muss das über ein bis zwei Jahrzehnte mit Nachdruck und Beständigkeit verfolgt werden. Leider wurde mit einem Blick in die Vergangenheit an der Bildungspolitik unseres Landes immer wieder herumgedoktort, Reformen und Reförmchen gaben sich die Klinke in die Hand. Es bleibt zu hoffen, dass man sich zum Wohl der Kinder auf einen nachhaltigen Kurs einigt, der späteren Generationen zu Gute kommt. Eltern, die ihre Kinder jetzt bzw. in den nächsten Jahren in der Schule haben, sollten sich gründlich orientieren, wo und in welchem Umfang Methoden der individuellen Förderung Anwendung finden und welcher Schule sie ihr Kind anvertrauen. Es lohnt sich für Kinder, wenn Eltern Einfluss nehmen und auch während der Schulzeit mitwirken und Schule aktiv mitgestalten.