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Titelthema :: Seite 34

Zeit muss zielführend miteinander

verbracht sein; zumindest müssen

Patient und Behandler dieses Ge-

fühl haben. Alternative Verfahren

können – zumindest behaupten sie

das - viele Beschwerden spezifisch

einordnen und behandeln, die mit

konventionellen Therapien nicht

befriedigend angegangen werden

können.

Alternativmedizin wird von Kriti-

kern teils als unseriös und grober

Unfug bezeichnet. Wie schätzen

Sie als Forscher die öffentliche Dis-

kussion ein?

Einerseits gibt es die

wissenschaftliche Diskussion zwi-

schen Skeptikern und Anhängern.

Da verweisen beide Seiten teils auf

die gleichen Studien, die sie aber

völlig unterschiedlich interpretie-

ren. Grundsätzlich muss man sa-

gen, dass viele gut gemachte Studi-

en in den letzten Jahren keine oder

nur kleine Effekte im Vergleich zu

Placebobehandlungen gezeigt ha-

ben. Ich interpretiere das so, dass

viele alternative Therapien nicht

oder nur teilweise so funktionieren

wie von den Anwendern angenom-

men. Bei der Akupunktur hat die

richtige Punktwahl wohl nur einen

kleinen Einfluss, bei der Homöo-

pathie ist zumindest nicht belegt,

dass die Mittel selbst wirklich wir-

ken. Vor allem bei der Akupunktur

zeigen gleichzeitig große Studien,

dass sie in der Versorgung auch im

Vergleich zu konventionellen The-

Das Thema Alternativme-

dizin ist sehr komplex. Wo

sollten sich Interessierte

am besten informieren, wenn sie al-

ternative Methoden zur Schulmedi-

zin ausprobieren möchten?

Als Er-

wachsener würde ich mit meinen

Beschwerden zuerst zum Hausarzt

gehen und mich zu alternativen

Möglichkeiten der Behandlung be-

raten lassen. Mit Kindern sollte der

erste Ansprechpartner immer der

Kinderarzt sein. Es muss sicher-

gestellt sein, dass keine wichtige,

wirksame Behandlung unterlassen

wird. Darüber hinaus kann man

sich im Bekanntenkreis umhören,

was es dort für Erfahrungen gibt.

Wichtig ist vor allem, dass dem Pa-

tienten keine unrealistischen Ver-

sprechungen gemacht werden und

auch die Kosten einer Behandlung,

die ja häufig selbst getragen werden

müssen, im Rahmen bleiben.

Obwohl die Wirksamkeit vieler al-

ternativer Heilmethoden wissen-

schaftlich umstritten ist, sind sie

sehr beliebt – wie erklären Sie sich

das?

Dafür gibt es sicher mehrere

Erklärungsansätze. Das eine sind

die positiven Erfahrungen der Pa-

tienten, vielen hat die Alternativ-

medizin schon geholfen oder aber

sie kennen jemanden, dem sie ge-

holfen hat. Zum zweiten werden al-

ternative Verfahren eher bei leich-

ten oder chronischen Beschwerden

genutzt, nicht bei akuten, ernsten

Erkrankungen. Bei einer Erkäl-

tung beispielsweise kann auch der

Schulmediziner nicht viel Konkre-

tes bieten, während die Alternativ-

medizin viele Möglichkeiten oder

zumindest scheinbar Möglich-

keiten bietet. Zudem kann ich be-

stimmte Verfahren wie Bachblüten

oder Arnica-Kügelchen unkompli-

ziert zu Hause selbst anwenden.

Ein drittes Argument: Die Patien-

ten fühlen sich mit manchen Be-

schwerden bei der Alternativme-

dizin eher ernst genommen und

besser aufgehoben. Etwas verein-

facht gesagt: Bei der Schulmedizin

geht es um die Krankheit, bei der

Alternativmedizin um das Krank-

sein. Da werden die individuellen

Beschwerden stärker berücksich-

tigt, da ist eine Erkältung nicht ein-

fach nur eine Erkältung, sondern

geht mit individuellen Symptomen

einher und braucht daher nicht ein-

fach nur ein Nasenspray, sondern

beispielsweise ein bestimmtes Ho-

möopathikum.

Was ist mit dem Argument, dass

sich Alternativmediziner und Heil-

praktiker mehr Zeit für den Patien-

ten nehmen?

Das halte ich für eine

Vereinfachung, Zeit spielt sicher

eine wichtige Rolle, aber das allein

würde die hohe Verbreitung der Al-

ternativmedizin nicht erklären. Ein-

fach nur lange freundlich mitein-

ander zu reden, wird Beschwerden

häufig nicht lindern können. Die

Interview mit Prof. Dr. med. Klaus Linde, seit 2010 wissenschaftlicher

Koordinator am Institut für Allgemeinmedizin der TU München. Er

hat jahrelang zum Thema Alternativmedizin und Naturheilkunde

geforscht und international dazu publiziert.

„Eine natürliche Brücke“