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versicherungssystem wird vor allem von Familien
finanziert. Die Beiträge sind eins zu eins an die
Löhne gekoppelt und von Familien verlangt der
Staat dieselben Beiträge wie von Kinderlosen. Der
Erziehungsbeitrag, den Familien mit Kindern zu-
sätzlich leisten, wird nicht berücksichtigt. Beson-
ders ungerecht ist außerdem, dass es eine obere
Beitragsbemessungsgrenze gibt. Das heißt, die
Menschen, die sehr viel Geld verdienen, müssen
nur relativ wenig bezahlen. Übrigens benachteiligt
auch das Steuersystem Familien, denn der Löwen-
anteil der Steuereinnahmen stammt aus den Ver-
brauchssteuern. Die Familien, die ja zwangsläufig
mehr verbrauchen als Singles, sind also härter be-
lastet als Nichtfamilien.
Sogar das Bundesverfassungsgericht hat die Be-
nachteiligung von Familien als verfassungswidrig
bezeichnet. Wieso ändert sich trotzdem nichts?
Weil in nur 20 Prozent der Haushalte unterhalts-
berechtigte Kinder leben. 80 Prozent der Haushalte
und Wähler sind in diesem Sinne kinderlos. Dazu
zählen übrigens auch Haushalte mit mittlerweile
erwachsenen Kindern. Deshalb vertraut die Poli-
tik immer wieder darauf, dass das Bundesverfas-
sungsgericht sich zurückhält.
Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt „in
Deutschland wird es zappenduster“. Was läuft
schief?
Deutschland hält einen bizarren Weltre-
Das Sozialsystem in Deutschland benachteiligt
Familien. Das kritisiert seit 30 Jahren der Sozi-
alrichter Jürgen Borchert und fordert eine Re-
form der Sozialpolitik. Er erläutert, was nach
seiner Ansicht unsozial und ungerecht ist und
was Familien dagegen tun können.
Herr Dr. Borchert, was muten wir unseren Kindern
zu? Wovon können sie einmal leben, wenn sie ins
Rentenalter kommen?
Ob man es will oder nicht:
Jeder der aufhört zu arbeiten, lebt unweigerlich
von dem, was die Nachwuchsgeneration herstellt
und ihm abgibt. Und wer selbst keine Kinder hat,
lebt eben auf Kosten der Kinder anderer Leute.
Unsere Kinder müssen also zuerst selbst einmal
Kinder haben und dafür sorgen, dass diese gut
ausgebildet werden. Tatsächlich aber schrumpft
seit 1965 jede Nachwuchsgeneration in Deutsch-
land. Hinzu kommt, dass wir die Bildung und Inf-
rastruktur haben verkommen lassen. Alles in allem
muss man also feststellen, dass unser gegenwärti-
ger Wohlstand auf wirtschaftlichem und sozialem
Raubbau beruht.
Sie sagen, Familien mit Kindern werden in punk-
to Sozialversicherung im Vergleich zu Kinderlosen
benachteiligt. Wieso ist das so?
Arbeitnehmer mit
Kindern werden regelrecht deklassiert: Löhne sind
Markteinkommen und es ist ihnen egal, wieviel
Mäuler davon zu stopfen sind. Das riesige Sozial-
„Nicht jammern sondern klagen“
Familien wehren sich gegen Benachteiligung
greift auf: Thema (Familien-)Gerechtigkeit der Sozialversicherung
Zur Person
Jürgen Borchert, geboren 1949, war Vorsit-
zender Richter des Hessischen Landessozial-
gerichts und Politikberater. Seit kurzem ist
er Anwalt in Berlin. Er kritisiert, dass Lasten
und Nutzen des Sozialstaats zum Nachteil
der Familien ungleich verteilt seien. Er ist un-
ter anderem Mitglied im wissenschaftlichen
Beirat von Attac.
Pflichtlektüre für Familien
Jürgen Borchert, Sozialstaats-Dämmerung,
Riemann Verlag 2014,
ISBN: 978-3-570-50160-3, 9,99 Euro
Informationen, Musteranträge
und Beratung
www.elternklagen.de Familienban.degreift auf
Familienban.deist ein Zusammenschluss
29 regionaler Familienmagazine deutsch-
landweit, dem auch unser Familienmaga-
zin lausebande angehört. Unter dem Motto
„Familienban.degreift auf“ widmet sich das
Netzwerk in unregelmäßigen Abständen fa-
milienrelevanten Themen.
Familien
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