Familienrezepte gegen das Hoch der Energiepreise

Datum: Dienstag, 02. November 2021 16:09

Der spürbare Preisanstieg

Wie schnell Verbraucher den Preisanstieg selbst spüren, hängt vom Energieträger und ebenso von unterschiedlichen Faktoren ab. Energieträger werden in großen Mengen anhand von Erwartungen und Erfahrungen bereits weit im Voraus an Börsen gehandelt und eingekauft. Auf anderen Märkten wird wiederum der Teil der Energie gehandelt, der kurzfristig zusätzlich benötigt wird. Er kann je nach Nachfrage und Angebot über oder unter den ursprünglichen Börsenpreisen liegen. Trifft wie derzeit eine deutlich größere Nachfrage auf ein verknapptes Angebot, können sich Preise an diesen kurzfristigen Märkten vervielfachen. Beim Gas hat sich der Preis für den langfristigen Einkauf im Vergleich zum Vorjahr etwa verdoppelt – der kurzfristige Großhandelspreis ist zwischen Januar und Oktober um rund 440 Prozent gestiegen. Er beträgt sogar das 16-fache gegenüber dem Tiefststand im Juni 2020. Im Ergebnis ist der Erdgaspreis für Haushalte gegenüber dem Vorjahr bereits um rund 4 bis 5 % gestiegen, hier sind die aktuellen Preissteigerungen aber noch nicht berücksichtigt. Beim Strom zahlen Verbraucher inzwischen ebenso rund vier Prozent mehr als 2019. Auch hier wird sich der gestiegene Gaspreis noch stärker auswirken, da in diesem Jahr auch deutlich mehr teures Gas die Stromerzeugung absichern muss. Beim Mineralöl wirkt sich der Börsenpreis unmittelbar aus, an der Tankstelle sind Preisveränderungen für Verbraucher quasi täglich nachvollziehbar.

Die Mehrbelastung für Familienhaushalte lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Verivox weist im Oktober 2021 Gaskosten in Höhe von 1.402 Euro für einen durchschnittlichen Haushalt in Deutschland mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden aus – das ist eine Preissteigerung um 28 % bzw. rund 306 Euro auf der Jahresrechnung. Laut dem Portal Check24 sind die Heizkosten in Deutschland im September im Vergleich zum Vorjahr sogar um 33 Prozent gestiegen. Heizöl ist inzwischen im Schnitt um knapp 90 % teurer als vor einem Jahr und kann im bevorstehenden Winter noch teurer werden. Energie kostete im Herbst 2021 im Durchschnitt 14,3 % mehr als im Vorjahr. Allerdings muss man diese in vielen Medien überhöhten Zahlen auch relativieren. So gehen die Vergleiche meist vom Pandemiejahr 2020 und somit einem extrem niedrigen Ausgangsniveau bei den Rohstoffpreisen samt der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 aus.

Deutschland ist mit dem Problem allerdings nicht allein. Während der Strom an der Börse in Deutschland seit Januar um rund 140 Prozent teurer geworden ist, sind es in Italien 340 Prozent und in Spanien sogar 425 Prozent. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Versorgungsverträgen und im unterschiedlichen Einkaufsverhalten der Versorger, hier agiert Deutschland eher langfristig. Energieunternehmen decken sich hierzulande über längere Zeiträume mit Ressourcen ein, die Verträge, die sie mit ihren Kunden abschließen, gelten für ein oder zwei Jahre. Dadurch schlagen sich Preiserhöhungen bei Energie nicht so schnell bei den Verbraucherpreisen nieder. Kurzfristig agierende Länder sind stärker von der aktuellen Situation betroffen. In Großbritannien etwa ist die Lage so ernst, dass Industriebetriebe ihre Produktion einstellen mussten.

Dauer des Preistableaus

Erste Staaten Europas setzen Energiesteuern aus oder frieren Energiepreise ein. Auch in Deutschland wird über Maßnahmen diskutiert – allerdings stehen kleine Unternehmen und einkommensschwache Haushalte im Fokus. Eher leistungsstarke Familien mit zwei arbeitenden Elternteilen und hohem Energieverbrauch dürften einmal mehr keine Berücksichtigung finden. Zudem scheint es mehr als fraglich, ob die Bundesregierung Steuern und Umlagen senken wird. Zum einen wirkt der Preisanstieg aufgrund des langfristigen Agierens in Deutschland weniger dynamisch, zum anderen werden in den Koalitionsgesprächen zur neuen Bundesregierung immens teure Vorhaben zur Modernisierung des Landes besprochen, die ohne neue Schulden und Steuererhöhungen auskommen sollen. Vor diesem Hintergrund ist schwer vorstellbar, dass ausgerechnet die Energiesteuer als eine der drei wichtigsten Steuereinnahmen des Bundes angerührt wird. Insofern sind in Deutschland Senkungen der Energiepreise durch einen Verzicht des Staates auf bestehende Steuern unwahrscheinlich.

Da die Preissteigerungen vorwiegend vom Gaspreis getrieben sind, werden im bevorstehenden Winter das Verhalten Russlands sowie Temperatur- und Wetterverläufe Einfluss auf die Entwicklung haben. Sollte Russland seine Gaslieferungen erhöhen oder ein kurzer, milder Winter einsetzen, entspannt sich die Lage. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe setzte in Europa ein kräftiger Wind ein, der als anhaltendes Phänomen die Windkraft enorm steigern und Großhandelspreise für kurzfristige Gaskäufe halbieren könnte. Je kürzer und windreicher der Winter, desto eher könnten Europa und damit auch die Verbraucher mit einem blauen Auge davonkommen. Sollte sich ein kalter und langer Winter samt einer Dunkelflaute mit wenig Wind und Sonne einstellen, dann dürften sich die Probleme weiter verschärfen.

Experten rechnen spätestens zum März bzw. April 2022 mit einer Entspannung der Lage – eventuell früher, sollte Nordstream 2 schneller in Betrieb gehen. Nimmt man den Querschnitt der Expertenmeinungen, soll sich die Lage spätestens mit Abschluss des ersten Halbjahres 2022 normalisieren. Kursierende Apokalypsen langfristig bleibender Energie-Horrorpreise oder bevorstehender Blackouts gehören wohl in den Bereich der Fake News.

Auswirkungen auf Versorgungsverträge

Die kurzfristige Explosion der Gaspreise im Herbst 2021 wirkt sich auch bei Versorgern aus, die mit günstigen Tarifversprechen und eher kurzfristig agieren. Erste Versorger haben Kunden die Einstellung ihrer Leistung angekündigt, es wurden sogar Verträge gekündigt. Selbst in derartigen Kündigungsfällen gehen in betroffenen Haushalten Heizung und Licht nicht aus, in solchen Fällen springt der lokale Grundversorger ein. In unserer Region können das beispielsweise die Stadtwerke Cottbus oder SpreeGas sein. Kunden zahlen dann den regulären Grundversorgungstarif. Für die Grundversorger ist das aktuell eine große Herausforderung, da sie nun für diese unerwarteten „Neukunden“ zusätzliche Energie am Markt einkaufen muss, die derzeit in der Beschaffung deutlich teurer ist, als es die regulären Grundversorgungstarife berücksichtigen. Aus diesem Grund müssen viele Versorger aktuell ihre Tarife anpassen. Ansonsten sorgen die in unserem Land meist üblichen langfristigen Verträge dafür, dass die Lage jetzt in Deutschland weniger angespannt ist.

Wer Entwicklungen richtig deutet, der erkennt in der Komplexität aus dem zunehmenden Umbau der Energiesysteme und der Dynamik der Globalisierung ausreichend Argumente für mehr Sicherheit bei der künftigen Versorgung mit Energie. Der Abschluss von Versorgungsverträgen mit dem lokalen bzw. regionalen Grundversorger schafft nachhaltig bestmögliche Sicherheit und man unterstützt zudem Wertschöpfung und Jobs vor Ort. Zudem kann man – wie im aktuellen Fall – persönliche Beratung oder Kundenzentren nutzen und Unsicherheiten begegnen. Beachten Sie hierzu im letzten Absatz dieses Beitrags zu Handlungsmöglichkeiten für Familienhaushalte die Hinweise zu den jeweiligen Beratungsangeboten.

Auswirkungen auf die Inflation

Deutschland verfügt neben Dänemark über die höchsten Energiepreise Europas und wohl auch weltweit. Energiepreise zählen bei der Berechnung der Inflation in Deutschland zu den wichtigsten Gütern im repräsentativen „Warenkorb“. Brennstoffe und Gas gehen hier zusammen mit Preisen für Wasser und Wohnung als einer von zwölf Bestandteilen in die Gesamtrechnung ein. Seit Jahren nimmt die Gewichtung dieses Bestandteils vor allem wegen der zunehmenden Bedeutung von Energiekosten zu, sein Einfluss auf die Berechnung der Inflation liegt inzwischen bei einem knappen Drittel des gesamten Warenkorbs. Insofern werden Energiepreise auch als größter Treiber der Inflation bewertet, die zum Redaktionsschluss mit 4,1 % einen historischen Höchststand erreichte – lediglich im Einheitsboom Anfang der 1990er-Jahre lag sie mit 4,3 % höher. Steigende Preise für Energie und Rohstoffe werden nun auch nachhaltig in viele Konsumgüter einfließen, wodurch im kommenden Jahr auch weitere Bestandteile des repräsentativen Warenkorbs teurer werden und die Inflation weiter steigen dürfte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet erst Mitte 2022 mit einer Normalisierung der Inflationsrate. Familien können also noch einige Monate mit Preissteigerungen rechnen. Aktuell wird vermutet, dass die Inflationsrate sich weiter Richtung 5 % bewegt. Da die hohe Inflation auf einen Nullzins trifft, werden jene Vermögen tatsächlich entwertet, die als Tageseinlagen auf Girokonten oder bar daheim lagern.