Von der großen Bedeutung der kleinen „Kreuzchen“ für den Wandel der Lausitz
Wird über das Superwahljahr 2024 berichtet, stehen meist die Landtagswahlen in drei Bundesländern des Ostens im Fokus. Das verwundert kaum, berichten Leit- und selbst Regionalmedien doch vorwiegend über Landes- und Bundespolitik. Die Lausitz ist dabei in diesem Jahr die einzige länderübergreifende Wirtschaftsregion, deren Zukunft gleich von zwei Landtagswahlen beeinflusst wird. Deren Termine könnten kaum ungünstiger liegen. Am 1. September wählt Sachsen, am 22. September Brandenburg. Ein starkes Abschneiden nationalistisch ausgerichteter Parteien wie AfD und BSW in Sachsen – in Prognosen dort aktuell auf hohem Niveau von 31 % für die AfD und 11 % für das BSW – kann Gewinner produzieren. Auswirkungen auf die Brandenburgwahl drei Wochen später sind dann sehr wahrscheinlich. Hier sehen aktuelle Prognosen zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe die AfD bei 26% und das BSW bei 10%. Die AfD ist in aktuellen Umfragen in beiden Bundesländern zwar gefallen, aber nach wie vor die stärkste Kraft, das BSW aus dem Stand in Sachsen aktuell dritt- und in Brandenburg viertstärkste Partei.
Meist eher eine Randbemerkung in der Berichterstattung sind die Kommunal- und Europawahlen, bei der Europawahl allzu oft mit dem Etikett „Protestwahl“. Dabei ist die Bedeutung dieser Wahlen am 9. Juni gerade für die Lausitz deutlich weitreichender als für jede vergleichbare Region unseres Landes. Die Kommunalwahlen bestimmen in einem Maß über den Erfolg unseres milliardenschweren Strukturwandels und damit die Zukunftsperspektiven für künftige Generationen, das viel zu selten beleuchtet wird. An den Europawahlen könnte wiederum eine einzigartige Zukunftsperspektive für die Lausitz hängen: Die Chance zu einer europäischen Modellregion, einer Quasi-Sonderwirtschaftszone, zu der sich gerade die Tür öffnet. Auch Familien sollten sich aus vielerlei Gründen intensiv mit den ersten Wahlen dieses Jahres auseinandersetzen. Dieses Plädoyer versucht aufzuzeigen, warum – und warum es wichtig ist, in Familiensystemen eine sachliche und von Informationen geleitete Diskussion zu bemühen, wenn andere in sozialen Blasen festhängen.
Die Bedeutung der Kommunalwahlen
Kommunalparlamente haben deutlich mehr Macht, als es meist öffentlich sichtbar wird. Immerhin obliegt es den Kommunen, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ – und die Bürgervertretungen können ein gehöriges Wort mitreden. Zwar dürfen Gemeindevertretungen und Kreistage keine Gesetze erlassen, sie können aber Einfluss auf freiwillige und teils auch auf verpflichtende Aufgaben der Kommunalverwaltung nehmen. Zu den freiwilligen Aufgaben zählen etwa Museen, Theater oder Sportstätten sowie Jugend- und Sozialarbeit; zu den verpflichtenden Gemeindestraßen und Kitas. Eine Besonderheit im Wandel der Lausitz sind allerdings die unzähligen Strukturstärkungsprojekte und begleitende Maßnahmen bis hin zu privaten Investitionen, die bei erforderlicher Beteiligung der Kommune meist auch ein positives Votum der jeweiligen Kommunalvertretung benötigen. Die Cottbuser Stadtverordnetenversammlung lieferte jüngst mit ihrem Votum für den Verkauf des kommunalen Thiem-Klinikums für einen symbolischen Euro ans Land Brandenburg das beste Beispiel – und machte so den Weg zum 3-Milliarden-Projekt des Aufbaus einer Universitätsmedizin und eines digitalen Leitkrankenhauses frei. Aber auch Windparks, Solarfelder und selbst Wohnraum können durch Kommunalvertretungen befördert oder gekippt werden. Sie bestimmten auch über viele Angebote im sozialen Leben bis hin zu Demokratie- und Migrationsprojekten. Gab es hier früher ein recht klares Bild, so werden auch Kommunalvertretungen immer vielfältiger – in Cottbus und Spremberg sind es jeweils neun Parteien oder Wählergruppen, die um Mehrheiten ringen. Hier lohnt es sich nachzufragen, wer im Sinne der Familien konstruktiv Dinge auf den Weg bringt und wer eher zur Bremse wird oder werden könnte. In der gesamten Lausitz sind rund 200 Strukturstärkungsprojekte auf dem Weg, deren Großteil jetzt in die Umsetzungsphase kommt oder sich schon dort befindet. Konstruktive Kommunalvertretungen sind tatsächlich ein Beschleuniger für Wandel und Wohlstand, weit über die Daseinsvorsorge vor Ort hinaus.
Die Bedeutung der Europawahlen
Warum die Europa- in diesem Jahr keine Protestwahl sein sollte, erklärt ebenso ein Blick auf die besondere Situation der Lausitz im Strukturwandel. Dabei steht besonders die Wirtschaft im Blickpunkt, denn sie profitiert derzeit verhältnismäßig wie keine weitere Region Deutschlands von Europa. Ein Grund dafür sind europäische Strukturmittel aus dem sogenannten Just Transition Fund (JTF), die allein für die sächsische und brandenburgische Lausitz die Milliardenmarke überschreiten und die einzigen Fördermittel im Strukturwandel sind, die zum Teil direkt an kleine und mittelständische Unternehmen vor Ort fließen. Hinzu kommen weitere Förderprogramme für Landwirtschaft, Wirtschaft und auch soziale Projekte, von denen grenznahe Regionen besonders profitieren. Über diese Programme erhält Brandenburg weitere rund 2,5 Mrd. Euro, bei Sachsen sind es sogar über 4 Mrd. Euro. Gerade in diesem Jahr wurde durch die EU eine noch viel weiter reichende Perspektive in Aussicht gestellt. Für die Umsetzung des Green Deals wurde ein Gesetz für die besondere Förderung strategisch bedeutsamer grüner Technologien formuliert, das den EU-Mitgliedstaaten künftig die Ausweisung von Regionen mit besonderen Rahmenbedingungen ermöglicht. Sie nennen sich Net Zero Valleys und entsprechen Sonderwirtschaftszonen für den Aufbau jener neuen Industrien und Zukunftstechnologien. Sie sind auch mit besseren Perspektiven für Bildung und Ausbildung verbunden. Es ist genau das, wofür die Lausitzer Akteure seit Jahren kämpfen – eine europäische Modellregion mit klaren ökonomischen Vorteilen. Inzwischen haben sich die Lausitzer Bürgermeister der Lausitzrunde gemeinsam mit einem breiten Wirtschaftsbündnis um das erste Net Zero Valley Deutschlands bzw. Europas beworben. Die Lausitz hat in einem Rennen die Nase vorn, das sich allerdings erst in den nächsten zwei Jahren entscheidet. Die Lausitzer bestimmen jetzt, wer diese Entscheidung flankiert oder torpediert. Der Fakt, dass die AfD gegen den JTF und gegen die gut eine Milliarde Strukturförderung für die Lausitzer Wirtschaft und ebenso gegen das Gesetz mit der Option zu einem Net Zero Valley in der Lausitz gestimmt hat, sollte die Bedeutung der richtigen Multiplikatoren in Brüssel klarmachen. Ausgerechnet für die Lausitz bahnt sich leider eine Entscheidung zwischen zwei sehr ungleichen Köpfen im Rennen um einen Sitz im EU-Parlament an, die wir deshalb im Anschluss an diesen Beitrag einmal mit Fakten gegenüberstellen. Das Kreuz bei der Europawahl ist für die Lausitz also auch ein Kreuz für einen wirtschaftlichen Sonderstatus, für Wertschöpfung, Wohlstand und gute Arbeit für unsere Kinder – oder für Abschottung und fehlende Lobby in Brüssel.
Tipp: Informationsveranstaltung mit EU-Spitzenkandidaten für die Region
Cottbuser Europagespräche: 23. Mai 2024 um 17 Uhr, Stadthaus Cottbus
EU-Wahlveranstaltung der Kammern und Wirtschaftsverbände: 24. Mai um 15 Uhr, Startblock B2 Cottbus
Wie wichtig eine konstruktive Vertretung in Brüssel über diese persönliche Ebene hinaus ist, zeigt ein Blick auf den Einfluss der EU-Gesetzgebung. Wir Deutschen schimpfen beim Blick nach Brüssel oft undifferenziert über Bürokratie. Dabei ist richtig, dass die EU unzählige Verordnungen – die für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend sind – und Richtlinien erlässt, die wiederum in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Schaut man zu EU-Mitgliedern wie Estland oder Dänemark, erhält man den Beweis, dass die Bürokratie vor unserer Haustür nicht allein das Verschulden der EU sein kann. Deutschland hat mit Fehlervermeidungskultur und Detailversessenheit in der nationalen Umsetzung der EU-Gesetze über Jahrzehnte hinweg selbstverschuldet jenes Bürokratiemonster aufgebaut, das uns jetzt große Probleme bereitet. Einen neuerlichen Beweis wird das Lieferkettengesetz liefern, das in Deutschland wiederum eine Kette an Gesetzen befürchten lässt. Man sollte sich hierzulande auch einmal fragen, warum es EU-weit eine Mehrheit gefunden hat. Das liegt sicher auch an der Erfahrung, wie EU-Recht anderswo umgesetzt wird. Wie stark nationales auf EU-Recht fußt, zeigt eine Studie, die bereits einige Jahre auf dem Buckel hat. Bereits vor 2010 wurden nationale Gesetze im Umweltrecht zu 81%, in Ernährung und Landwirtschaft zu 61% und in der Justiz zu 48 % durch EU-Recht beeinflusst. Im Durchschnitt über alle Politikbereiche lag der Anteil bei 36 % (König/Mäder Zeitschrift für Direkte Demokratie Nr.85 1/10). In den 15 Jahren zuvor hatte dieser Anteil um rund 10% zugenommen, heute – 15 Jahre später – ist er sicher weiter gestiegen. Es geht dabei fast immer um Regelungen für den gemeinsamen Markt, um einheitliche Standards und damit um Fairness und Wohlstand innerhalb der EU. Das ist – wie im Fall der berühmten krummen Gurken – dann auch mit Bürokratie verbunden. Wer aber selbst bei diesem Thema tiefer schürft, wird entdecken, dass die EU hierbei einer Forderung der Bauernverbände nachkam, die eine Vergleichbarkeit der Produkte für eine faire Bewertung auf dem Markt erreichen sollte und auch erreicht hat. Unterm Strich dürfte EU-Recht heute rund die Hälfte nationalen Rechts in Deutschland beeinflussen und einige Bereiche wie Umwelt und Landwirtschaft sogar weitgehend dominieren. Das zeigt, wie wichtig die Europawahlen auch für Themen wie Klimaschutz, Energie und Strukturwandel sind, die für unsere Lausitz und die Zukunft unserer kommenden Generationen eine besondere Relevanz haben. Zudem regelt die EU die Freizügigkeit von Fach- und Arbeitskräften im EU-Binnenmarkt, somit auch die Chance, überall problemlos studieren zu können. Ein gutes Beispiel für Folgen eines EU-Austritts, wie ihn manche Populisten fordern, liefert der Brexit, der Großbritannien nach aktuellen Schätzungen nicht nur 160 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr kostet, sondern auch einen Großteil der Arbeitnehmer aus den EU-Staaten. Vor Beginn der Brexit-Debatte im Jahr 2017 waren 2,35 Millionen Bürger aus EU-Ländern beruflich auf der Insel tätig, binnen fünf Jahren danach waren es nach Angaben des Beratungsunternehmens Deloitte nur noch rund die Hälfte. Der Brexit hat Großbritannien somit rund 1,2 Millionen Arbeitskräfte gekostet. Deutschland ist nun wieder das mit Abstand führende Land mit Beschäftigung von EU-Bürgern anderer Länder, die Kosten des von der AfD im Europawahlprogramm verankerten DEXIT sind durch die vorliegende Blaupause Großbritanniens an Fakten abschätzbar – und würden über die Wirtschaft den Wohlstand aller Menschen treffen. Insbesondere in Gesundheit und Pflege, erst recht in einer grenznahen Region wie der Lausitz, wäre die Versorgung nicht mehr zu sichern. Insofern sollten gerade Familien, die ihren Kindern ein gesundes Aufwachsen mit guten wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven und der Chance für prägende Auslandserfahrungen ermöglichen wollen, drei Mal überlegen, wo sie ihr Kreuz setzen und wie sie am Familientisch über aktuelle Probleme diskutieren. Gerade in der Lausitz mit extrem ungünstiger Demografie – im kommenden Jahrzehnt wechselt ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in den Ruhestand – steuern wir auf sehr große Herausforderungen zu.
Dr. Christian Ehler, CDU (links) und Dr. Maximilian Krah, AfD (rechts, Foto: Fred Marvaux / EP, ID-Fraktion)
Zwei EU-Politiker im Vergleich
Dr. Christian Ehler (CDU)
Die CDU ist die einzige Partei mit Landeslisten. Als 1. Platz auf der Landesliste Brandenburg benötigt Ehler nach Schätzungen ein Wahlergebnis von mindestens 18%, um sicher wieder ins Parlament einzuziehen. 2019 hatte die CDU in Brandenburg genau 18% der Stimmen geholt, zur Europawahl 2014 waren es noch 25%.
Dr. Christian Ehler ist seit 2004 Mitglied des EU-Parlaments. Er zählt in Brüssel zu den erfahrensten Parlamentariern und hat in der stärksten Fraktion der Europäischen Volkspartei (EPV/Christdemokraten) Entscheidungsrelevanz. Für die Lausitz hat er folgende zählbaren Entscheidungen befördert:
- Maßgeblicher Impulsgeber und Verfasser zur wirtschaftsnahen Strukturförderung per Just Transition Fund als zuständiger Berichterstatter, ca. 1,3 Milliarden Euro für die Lausitz.
- Impulsgeber und Wegbereiter für das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) „Culture & Creativity“ zur Förderung von Innovation in der Kreativwirtschaft, Vermittlung einer Verankerung an der BTU in der Lausitz als Netzwerkstelle in der Region.
- Ideengeber der „Net Zero Valleys“ als Berichterstatter für den Net Zero Industry Act – somit Schaffung der Chance zu einer Modellregion und quasi Sonderwirtschaftszone für die Lausitz, Vermittlung der Lausitzrunde für die erste Bewerbung überhaupt in Brüssel, enge Abstimmung mit der Lausitzer Wirtschaft mit dem Ergebnis eines Positionspapiers, das durch alle Kammern und wesentlichen Wirtschaftsverbände getragen wird.
Dr. Maximilian Krah (AfD)
Als Spitzenkandidat der AfD ist Dr. Maximilian Krah bereits sicher für das EU-Parlament gesetzt, völlig unabhängig vom Wahlergebnis in der Lausitz. Die AfD hat 2019 bundesweit 11 % der Stimmen geholt (entspricht 11 Sitze), 2014 waren es noch 7,1 %. Aktuelle Prognosen sehen die AfD in der diesjährigen Wahl bei 15 bis 20%.
Maximilian Krah ist seit 2014 Mitglied des EU-Parlaments. Er zählt zum völkisch-nationalen Flügel der AfD und zur Rechtsaußen-Fraktion „Identität und Demokratie“, der zweitkleinsten Fraktion im EU-Parlament. 2022 wurde er von der Fraktion für ein halbes Jahr suspendiert, weil er im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2022 die Rechtsextreme Marion Maréchal lobte. Im Februar 2023 wurde Krahs Mitgliedschaft in der ID-Fraktion erneut für drei Monate suspendiert. Er soll die Vergabe eines PR-Auftrags der Fraktion an eine Agentur manipuliert haben. Im Mai wurde die Suspendierung verlängert. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) ermittelte gegen Krah wegen gemeinschaftlichen Betrugs zum Nachteil der EU, wegen Reisen und Kontakten zu russischen Oligarchen sowie nach China und Katar wird weiterhin ermittelt. Im Jahr 2022 kandidierte er für das Amt des Oberbürgermeisters in Dresden und unterlag deutlich. Zum Redaktionsschluss wurde Krahs Assisitent aus seinem EU-Büro wegen des Verdachts der Spionage für China verhaftet. Leider hat Krah im Parlament nichts Zählbares für die Lausitz erreicht, das in diesem Vergleich darstellbar wäre.
Das Wahljahr 2024 im Überblick
Europawahl (EU-weit):
9. Juni in Deutschland
Wahl des Europaparlaments mit 96 Abgeordneten über eine Parteienliste Wahlrecht: ab 16 Jahre (erstmals, zuvor 18 Jahre)
Kommunalwahlen in neun Bundesländern:
9. Juni (Thüringen: 26. Mai)
Wahlalter:
- Brandenburg: ab 16 Jahre
- Sachsen: ab 18 Jahre
Zu wählende Gremien:
- Alle Kreistage: 10 in Sachsen, 14 in Brandenburg
- Alle Stadt- und Gemeinderäte
- Einige Ortschaftsräte für 5 Jahre
- Einige Bürgermeister
Bürgermeisterwahlen in der brandenburgischen Lausitz:
- Lübbenau (10.3.): Amtsinhaber Helmut Wenzel (parteilos) im Amt bestätigt
- Schwarzheide (22.9.)
Bürgermeisterwahlen in der sächsischen Lausitz:
- Spreetal (10.3.): Marco Beer, Eigengewächs der Verwaltung, erstmals ins Amt gewählt
- Rammenau (1.9.)
- Weißwasser (1.9.)
- Rietschen (27.10.)
- Frankenthal
- Großnaundorf