Die Gebührenerhöhung in Beispielen
Ein Blick auf Fallbeispiele führt zur schnellen Verabschiedung des Prädikats „Familienfreundlich“ für Cottbus. Mit der neuen Kita-Gebührensatzung steigen in Cottbus die Beiträge für alle Einkommensgruppen. Grundsätzliche Neuerungen sind die Einführung eines Mindestbeitrags für Geringverdiener und die Staffelung bis zur neuen Einkommensobergrenze von 102.000 Euro. Hier einige reale Beispiele für Auswirkungen in barer Münze, die von den Initiatorinnen Arlett Anderssen und Juliane Züge zusammengetragen wurden:
Hinzu kommen bei allen Beispielen noch das Essengeld von 35-60 Euro pro Kind und Monat. Die Kita-Gebühren nach der neuen Satzung der Stadt Cottbus bedeuten für Familien mit zwei Kindern ca. 10 % oder mehr vom Jahresbruttogehalt. Rechnet man dies auf das Nettoeinkommen der Familie herunter, so entspricht das satten 17 % oder mehr!
Für Geringverdiener unter 16.500 Euro ist der obligatorische Mindestbeitrag in Höhe von zehn bis dreizehn Euro eine neue zusätzliche Belastung. Gerade für Geringverdiener und Hartz-IV-Bezieher fallen zehn Euro pro Monat durchaus ins Gewicht und stehen in Konkurrenz z.B. für den Beitrag im Fußballverein oder für die Musikschule. In Guben liegt der Mindestbeitrag übrigens bei bis zu 30 Euro, in Senftenberg und Forst bei 20 Euro und in Peitz bei 15,68 Euro. In Potsdam dagegen steht ein Mindestbeitrag nicht zur Debatte, um die Finanzen von Geringverdienern und Hartz-IV-Beziehern zu schonen.
Am härtesten trifft die neue Kita-Gebührensatzung jedoch die einkommensstarken Familien, die rund 15 bis 20 Prozent der Betroffenen in Cottbus ausmachen. Aufgrund der neuen Höchstgrenze und der Beitrags-Angleichung über alle Einrichtungen hinweg kommen auf sie Mehrkosten von bis zu über 100 Prozent zu, das sind bei zwei Kids pro Jahr nicht selten knapp 2.500 Euro zusätzlich!
Anhand der realen Fallbeispiele sind die teils immensen Auswirkungen auf Cottbuser Familien nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick sieht das Bild also ganz anders aus. Der Ärger betroffener Eltern, die in einer Initiativgruppe gegen die aktuelle Gebührenerhöhung kämpfen, richtet sich gegen gleich einige Ungereimtheiten. Sie werfen der Stadt vor allem folgende Fehler vor:
Einseitige Belastung der Eltern: Cottbuser Familien werden einseitig mit sämtlichen Mehrkosten belastet. Selbst wenn die Zuschüsse der Stadt stabil bleiben, so ist bei der Kostensteigerung ihr prozentualer Anteil zu Ungunsten der Familien geringer geworden. Zudem zahlt das Land seine Zuschüsse nicht in der Höhe, die es laut Kitagesetz aufbringen müsste. Dies müsste die Stadt Cottbus einklagen, verzichtet nach Auskunft gegenüber der Initiativgruppe aber aufgrund anderer bereits laufender Verfahren gegen das Land auf diesen Schritt. Man kann vermuten, dass die Haushaltslage der Stadt dies aktuell nicht erlaubt. Es ist ja auch einfach: Die Kosten tragen die Eltern.
Unklare Berechnung: Die Gebührensatzungen werden durch Kommunen an die tatsächlichen Kosten der Kinderbetreuung angepasst. Die Initiativgruppe wirft der Stadt vor, dass es hierzu weder Transparenz noch eine nachvollziehbare Grundlage gibt. Auf Nachfrage bei Trägern erhielten sie das Ergebnis, dass von Seiten der Stadt nie eine Kostentransparenz eingefordert wurde und diese auch gar nicht verfügbar ist. Auf welcher Grundlage wurde also die Gebührensatzung berechnet?
Taktieren und mangelnde Transparenz bei der Elternbeteiligung: Bei der Durchsetzung der Kitagebühren wurden Cottbuser Familien im Vorfeld scheinbar bewusst getäuscht. In ersten Verlautbarungen wurden als zentrale Neuerungen nur ein Mindestbeitrag und eine Anhebung der Höchstgrenze benannt. Nun sind alle Einkommensgruppen betroffen und es wurde kräftig an der Gebührenschraube gedreht. Nach dem Beschluss warf die Stadt aber verärgerten Eltern vor, sich zuvor nicht beteiligt zu haben.
Zahlenspielerei: Für den Beschluss der neuen Kitagebühren durch die Stadtverordneten wurden tatsächliche Belastungen der Cottbuser Familien schön gerechnet. Die teils drastischen Auswirkungen der Gebührenerhöhung wurden durch gezielte Auswahl bestimmter Fallbeispiele nicht ersichtlich. Laut den beiden Initiatorinnen hätten Stadtverordnete bei genauer Kenntnis der Details nicht für die Satzung gestimmt, denn verschiedene zum Beschluss durch die Stadt getätigte Aussagen, wie beispielsweise, dass nur 20 % der Familien betroffen sind, stimmen nicht.
Vertagung von Problemen: Bereits im Jahr 2013 haben Eltern die unterschiedlichen Beitragshöhen in Cottbuser Kitas kritisiert. Damals wurde dieses Durcheinander vonseiten der Stadt in Kauf genommen und Befürchtungen um einen Preiswettkampf unter Kitas als unbegründet abgetan. Im Jahr 2016 dienen diese Preisunterschiede als wichtiges Argument für die neue Kita-Gebührensatzung. Ein Widerspruch, der einkommensstarke Elternhaushalte zuvor günstigerer Kitas nun doppelt hart trifft: sie zahlen sowohl die Angleichung als auch die Erhöhung. Es gibt Beispiele mit 500 Euro Mehrkosten im Monat bei drei Kindern, was die teils extremen Auswirkungen der neuen Kitagebühren verdeutlicht.
Unklare Verwendung der Mehreinnahmen: Es gibt keine Transparenz, woher die Mehrkosten rühren und wofür die Mehreinnahmen verwendet werden. In vielen Kitas wird der Betreuungsschlüssel nicht eingehalten. Es ist schwer absehbar, ob die Eltern für die Mehrkosten wirklich auch ein Mehr an Leistung erhalten. Viele Eltern sind auch mit der Betreuungsqualität unzufrieden. Kitas wie Horte sind teilweise überfüllt.
Immense Belastung gesellschaftlicher Leistungsträger: Cottbus verfügt mit der neuen Satzung über die weitreichendste Einkommensstaffelung in der Lausitz. Das kann gerade für Leistungsträger wie Fach- und Führungskräfte oder Selbständige ein Argument zum Wegzug aus oder gegen den Zuzug in die zukünftige Ostsee-Stadt sein.
Die Mär vom Besserverdiener
In der Presse ist bei der stärksten Belastung Cottbuser Familien durch die Gebührenerhöhung oft von „Besserverdienern“ die Rede gewesen. Da kann das Gefühl aufkommen, es ginge um eine Oberschicht, um die „Reichen“, die doch ruhig mehr zahlen könnten. Schaut man sich aber die Staffelungen der Gebührensatzungen an, sieht man schnell, dass es um eine ohnehin gebeutelte und für eine Stadt wie Cottbus immens wichtige Zielgruppe geht. Berechnungsgrundlage ist nämlich immer der Bruttoverdienst. Bildungsstarke Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, landen da schnell bei Jahreseinkommen zwischen 60.000 und 100.000 Euro. Dafür haben sie auch wesentlich mehr Aufwand in ihre Ausbildung und Karriere gesteckt und sich ihr aktuelles Einkommen hart erarbeitet. Sie haben studiert, arbeiten meist weit über die normale 40-Stundenwoche hinaus in Führungspositionen oder einer Selbständigkeit mit Verantwortung für weitere Arbeitsplätze. Sie haben ein Haus gebaut und müssen Kredite tilgen, benötigen zwei Autos samt damit verbundenen Kosten – und auch Urlaub zur Regeneration vom Arbeitsalltag. Sie sorgen in Zeiten unsicherer Renten fürs Alter vor und sparen gleichzeitig für eine gute Bildung ihrer Kinder an. Das Budget ist auch in einkommensstarken Familien meist verplant. Hunderte Euro Mehrausgaben für die Kita stehen da in Konkurrenz zu anderen monatlichen Zusatzausgaben. Seien es Freizeitangebote wie der Ausflug ins kommunale Erlebnisbad, den Hallenspielplatz oder ins Kino, seien es Ausgaben für den Verein, fürs Ballettstudio oder Kulturangebote, seien es Einkäufe im Einzelhandel vor Ort oder Dienstleistungen z.B. rund ums Haus. Kurzum: was für die Kita mehr ausgegeben wird, muss anderswo eingespart werden und schwächt die Kaufkraft vor Ort sowie Ausgaben für soziale und kulturelle Aspekte, die sich ausgerechnet diese Zielgruppe bislang leisten konnte. Es sind also nicht die Reichen. Es sind jene Familien, die ein wichtiger „Zahler“ für viele soziale und kulturelle sowie wirtschaftliche Angebote vor Ort sind. Eine Gebührenerhöhung schadet also nicht nur diesen Familien, sondern dem gesamten Leben einer Stadt.
Zudem sind es vor allem diese Familien mit gut ausgebildeten Fachkräften, die hier benötigt werden und gehalten werden sollten. Sie werden es sich künftig zweimal überlegen, ob Cottbus die Stadt ist, in der ihre Kinder aufwachsen. Im nahen Sachsen können Sie in Sachen Kita im Zweifel mehrere Tausend Euro pro Jahr sparen, das trifft für Cottbuser aber schon beim Umzug ins nur 15 Autominuten entfernte Peitz zu. All das ausgerechnet kurz nachdem Cottbus Ende 2015 durch das Familienministerium zur kinderfreundlichsten Stadt des Landes Brandenburg gekürt wurde!
Kitagebühren als Standortfaktor
Mit dem Pfund als kinderfreundliche Stadt hat Cottbus dann auch gewuchert. Das klang nach einem starken Standortvorteil. Dieser Vorzug steht jetzt auf dem Spiel. Denn die Außenwirkung der Elternproteste gegen vermeintliche kommunale Abzocke dürfte Familien eher abschrecken.
Familien lassen sich durch Kitagebühren sicher nicht vom Kinderkriegen abbringen, aber sie können sehr wohl einen Einfluss darauf haben, wo Familien ihre Kinder groß ziehen. Im Bundesland Rheinland-Pfalz hat die Landespolitik beispielsweise landesweit für gebührenfreie Kitas gesorgt. Auch Nordrhein-Westfalen macht einen Schritt in diese Richtung und pumpt in den nächsten drei Jahren mehr als eine halbe Milliarde Euro in die Kindergärten. Die Stadt Düsseldorf schaffte die Kitagebühren ab, um junge Arbeitnehmer anzulocken. Auch in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg wurden bzw. werden die Elternbeiträge ganz oder teilweise abgeschafft. Die Begründung dafür liegt oft darin, dass Gebühren und Qualität der Kitas auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels immer mehr zu einem Standortfaktor werden. Zudem werden beispielsweise in Berlin Kitas regelmäßig extern evaluiert, um die Kita-Qualität auszubauen. Sollte dies bundesweit eingeführt werden, wird es auch in Cottbus wieder spannend, denn Kita-Qualität, also beste Fachpraxis bspw. durch systematische Fortbildungen und gute Betreuungsschlüssel, können auch Träger nicht umsonst realisieren.