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Wie ist die Lage in den Schulen der Region?
Im September 2019 versetzte eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung die Bildungslandschaft Deutschlands in Unruhe. Die Wissenschaftler kamen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass der Lehrermangel an Grund- und weiterführenden Schulen bis 2025 deutlich stärker ausfallen wird, als es zuvor von der Kultusministerkonferenz vorausberechnet wurde.
Konkret verglich die Bertelsmann Stiftung die aktuellste Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes (Juni 2019) mit der im Mai 2018 von der KMK vorgelegten Prognose der Schülerzahlen. Während die KMK von 15.300 fehlenden Lehrkräften im Jahr 2025 ausgeht, ermittelte die Bertelsmann Stiftung einen Fehlbedarf von 26.300 Lehrkräften – eine Prognoselücke von 11.000 LehrerInnen!
Die Bertelsmann-Studie erfasste jedoch keine regionalen Unterschiede. Sie gab lediglich eine Prognoselücke für Gesamt-Deutschland an. Wir wollten daher wissen, wie stark sich der Lehrermangel auf das lausebande-Gebiet auswirkt und sprachen dazu mit dem Leiter des Schulamtsgebiets Cottbus Uwe Mader. Er verantwortet in Cottbus sowie in den Landkreisen Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz und Spree-Neiße u.a. die Einstellung von Lehrkräften und stand uns Rede und Antwort zum Thema Lehrermangel und weiteren, spannenden Schulthemen.
Die Bertelsmann-Stiftung spricht in einer aktuellen Studie von einem zunehmenden Bedarf an Lehrkräften bis 2025. Wie schätzen Sie die Situation in Ihrem Amtsgebiet ein – ist die Region für die Zukunft gut gerüstet?
Wir unternehmen alles, damit jeder, der in unserer Region oder im Land Brandenburg als Lehrkraft arbeiten möchte, ein entsprechendes Angebot bekommt. Wir bieten sehr gute Voraussetzungen, wie faire Vergütung und die Aussicht auf Verbeamtung – das spielt denke ich eine große Rolle.
Die Bertelsmann-Stiftung stellte in ihrer Studie fest, dass Grundschulstellen schwieriger zu besetzen seien, als Stellen in den Sekundarstufen I und II. Sind Lehrstellen an Grund- und Förderschulen unattraktivere Arbeitsplätze, als an Oberschulen und Gymnasien?
Unattraktiver ist das Arbeiten an Grund- und Förderschulen im Vergleich zur Sekundarstufe I und II nicht mehr. Das Land Brandenburg hat hier für Gleichbehandlung gesorgt und die Gehälter zwischen Lehrern im Grundschulbereich und solchen in höheren Klassenstufen angeglichen. Der Grund, warum sich eine volle Abdeckung der Lehrerstellen an Grund- und Förderschulen schwieriger gestaltet, liegt vor allem an der hohen Altersstruktur an diesen Schulen. Auch Oberschulen sind davon betroffen. Der Bedarf an Lehrern, die hier in Pension gehen, kann bisher nicht vollständig durch Universitätsabsolventen gedeckt werden.
Erleben Sie es, dass es an Gymnasien mehr Bewerber gibt, als an Oberschulen?
Das kann ich hundertprozentig bestätigen. Zwar wurde das Lohngefüge auch zwischen Oberschulen und Gymnasien aneinander angeglichen, aber dennoch haben wir an Gymnasien besonders viele Bewerber. Das hängt mit den gewählten Fächerkombinationen zusammen: Bei diesen Fächerkombinationen, die vor allem an Gymnasien gefragt sind, gibt es ein Überangebot. Ich hoffe, dass sich dieses Verhältnis mit der Zeit zugunsten der Grund-, Förder- und Oberschulen verbessern wird.
Viele Familien zieht es aus Berlin ins Brandenburger Umland. Profitieren Sie bei der Suche nach Lehrkräften von dieser Stadtflucht?
Davon profitiert vor allem der Speckgürtel um Berlin – hier werden Schulen neu gebaut und erweitert. Offensichtlich ist es attraktiv, beispielsweise in Berlin zu wohnen und in den Norden des Landkreises Dahme-Spree zu pendeln. Die Stadt Berlin reagiert allerdings schon auf diese Situation und entschloss sich, die Verbeamtung von Lehrkräften wieder einzuführen.
Sehen Sie noch Steigerungspotenzial darin, Berliner Lehrkräfte in die Lausitz zu locken?
Es wäre sicherlich von Nutzen für unser Schulamtsgebiet, wenn der Pendlerverkehrsausbau so stattfindet, dass eine durchgängige öffentliche Linie mit enger Zeittaktung angeboten werden kann. Vonseiten der Brandenburger Landesregierung gibt es ja schon Bestrebungen, den Streckenausbau voranzutreiben.
Der Konkurrenzkampf um Lehrkräfte ist unter den Bundesländern groß. Wie ist aktuell in Ihrem Amtsgebiet das Verhältnis zwischen Zuwanderungen und Abwanderungen?
Wir haben einige Abwanderungen aus unserem Amtsgebiet in andere Bundesländer und profitieren auch durch Rückkehrer, die nach einer Zeit aus den alten Bundesländern zurück zu ihrer Familie in die Lausitz wollen. Wir reden hier aber von kleinen Größenordnungen.
Wäre es dennoch ein sinnvolles Mittel zur Lehrergewinnung, in anderen Bundesländern offensiv für die Lehramtsanstellung in Brandenburg zu werben?
Wir unternehmen natürlich alles, um für unseren Schulamtsbereich Lehrkräfte zu akquirieren. Wir haben beispielsweise im Süden Brandenburgs Lehrkräfte, die im Dresdner Umland wohnhaft sind und zwischen beiden Regionen pendeln. Würden wir versuchen, das zu intensivieren, bestünde jedoch die Gefahr, dass das Bundesland Sachsen ebenso in die Werbeoffensive geht, um seine Lehrkräfte wieder „nach Hause“ zu holen.
Da stehen wir vor einem Spagat: Wie offensiv will man das angehen – in der Gefahr, dass beide Bundesländer einen immensen Aufwand betreiben, um sich gegenseitig Lehrkräfte abzuwerben?
Wo sehen Sie dennoch die Argumente, sich in der Brandenburgischen Lausitz einen Lehrplatz zu suchen, und nicht in der sächsischen Lausitz?
Ich kann nur sagen: Wir haben eine ganze Menge hoch motivierter Kollegien, die sich wahnsinnig über frischen Wind freuen würden. Die Problematik „Digitalisierung“ ist momentan in aller Munde – junge Kollegen, die neue Ideen einbringen, sind daher mehr als willkommen. Für sie ist das in der Regel überhaupt kein Thema. Von der Warte her kann ich nur die Werbetrommel für unseren Schulamtsbereich rühren!
Stichwort „frischer Wind“: Ende 2018 lag der Anteil an Seiteneinsteigern unter den Brandenburger Lehrkräften bei rund 12 % – Tendenz steigend. Wie sind die zu Ihnen getragenen Erfahrungen mit Seiteneinsteigern als Lehrkräfte?
Grundsätzlich wollen wir natürlich ausgebildetes Fachpersonal haben. Wir besetzen eine Stelle nur mit Seiteneinsteigern, wenn wir keine ausgebildeten Lehrkräfte dazu zur Verfügung haben. Davon abgesehen sind die Erfahrungen, die wir mit Seiteneinsteigern gemacht haben, eindeutig positiv! Oftmals bringen sie durch ihr Vorstudium beispielsweise in der Informatik, als Chemiker oder Mathematiker ein fundiertes Fachwissen mit.
Fairerweise muss man sagen, dass es auch Seiteneinsteiger gibt, von denen wir uns innerhalb der Probezeit trennen müssen. Auch in der daran anschließenden Bewährungszeit bis zum Ende des befristeten Vertrags scheiden einige aus. Zudem muss im Blick behalten werden, dass der Anteil an Seiteneinsteigern in den Schulen in einem gesunden Maß bleibt. Ich möchte aber für alle Seiteneinsteiger eine Lanze brechen, bei denen das sehr gut funktioniert!
Der IQB-Bildungstrend 2018 verglich die naturwissenschaftlichen Kompetenzen von Schülern am Ende der Sekundarstufe I. Die Ergebnisse zeigen, dass die Brandenburger Schüler über alle getesteten Fächer hinweg 2018 schlechter abschnitten, als 2012. Woran könnte das liegen?
Der Trend ging nach hinten, das ist richtig. Wir nehmen das sehr ernst und werden daher gemeinsam mit Schulleitern, Lehrkräften, mit der Schulaufsicht und dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport tiefgründige Ursachenforschung betreiben. Ob es an Unterrichtsausfall, an der Seiteneinsteigerproblematik oder anderen Ursachen liegt, könnten wir momentan aber nur mutmaßen.
Zur Durchlaufquote von Seiteneinsteigern und zum Unterrichtsausfall gibt es für das Land Brandenburg konkrete Zahlen. Inwiefern wollen Sie da noch tiefgründiger nachforschen?
In absehbarer Zeit werden wir uns explizit jede einzelne Schule vornehmen. Zunächst wollen wir schauen, in wie weit sich die Ergebnisse regional unterscheiden: Sind es ganze Regionen, die die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends für Brandenburg verschlechtern oder einzelne Schulen? Danach gehen wir verschiedenen Faktoren auf den Grund – von der Häufigkeit von Unterrichtsvertretung und -ausfällen über Seiteneinsteigererfahrungen und -quote bis hin zur Altersstruktur und Motivation der Lehrkräfte. Dies wird in enger Abstimmung mit den Schulleitungen, Lehrkräften, der Schulaufsicht und dem MBJS erfolgen.
3 Wünsche von Uwe Mader an die Brandenburger Landesregierung
- Ich wünsche mir, dass das Land noch mehr Initiative hinsichtlich der langfristigen Gewinnung von Lehrernachwuchs ergreift – konkret, dass innerhalb der weiterführenden Schulen mehr geworben wird und der potenziellen Lehramtsnachwuchs früher erreicht wird. Ganz speziell in den Bereichen Sonderpädagogen, Naturwissenschaften, Sorbisch/Wendisch.
- Inzwischen erfahren manche Schulen Unterstützung durch sog. „sonstiges pädagogisches Personal“. Hier haben wir im Rahmen des Konzepts „Schule für gemeinsames Lernen“ KollegInnen eingestellt, die als ErzieherInnen, HeilerziehungspflegerInnen oder HeilpädagogInnen ausgebildet sind. Diese unterstützen die Lehrkraft im Unterricht bei Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen oder Lernproblemen. Hier würde ich mir wünschen, dass wir noch mehr Unterstützung einbringen können.
- Das Land Brandenburg nimmt momentan an einem bundesweiten Modellversuch Schulgesundheitsfachkräfte teil. Dies kann man sich vorstellen wie eine Schulkrankenschwester: Kinder, die z.B. an einer Zuckererkrankung oder anderen chronischen Krankheiten leiden, haben mit ihnen einen Ansprechpartner. Auch bei kleineren Unfällen treten sie in Aktion. Dieser Arbeitsumfang liegt sonst vielerorts bei der Schulsekretärin oder bei Lehrkräften. Hier wünsche ich mir, dass wir mehr Schulen mit Gesundheitskräften ausstatten können.
Studie der Bertelsmann-Stiftung:
Seite der Staatlichen Schulämter Brandenburgs:
www.schulaemter.brandenburg.de
Anlaufstelle für BewerberInnen: