Foto: Mathias Bothor
Interview mit Karoline Herfurth
Am 10. Juli kommt mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ein wertvoller Film für die ganze Familie ins Kino. Er erzählt die Geschichte einer besonderen Freundschaft, und macht das genauso einfühlsam wie die gleichnamige Buchvorlage von Andreas Steinhöfel, dessen Rico-Reihe sich über 300.000 Mal verkaufte. Im Film trifft der „tiefbegabte“ Rico auf den hochbegabten Oskar und auf einer gemeinsamen Verbrecherjagd wird aus den zwei Außenseitern ein ungewöhnliches Team. Wie das Buch ist auch der Film für Eltern beste Unterhaltung, für Kids sowieso.
Dazu trägt auch die hervorragende Besetzung bei. Allen voran Karoline Herfurth, die erstmals auf eine sehr beherzte und glaubwürdige Weise die Rolle einer Mutter spielt. Mit ihrer unkonventionellen kleinen Familie samt Sohn Rico, dem die Sachen im Kopf oft durcheinander geraten, mit ihrer Begeisterung fürs Bingo-Spiel und Fischstäbchen mit Blutmatsche schafft sie einen liebevollen Gegenentwurf zum klassischen Familienbild. Nach der eindrucksvollen Rolle als elfengleiches Mirabellenmädchen in „Das Parfüm“ und zuletzt über 7 Millionen Besuchern in „Fack ju Göhte“, wo sie noch als verklemmte Junglehrerin unterwegs war, nun also ihr erster Familienfilm. Grund genug für ein Gespräch mit der vielseitigen Berlinerin über den neuen Kinofilm, Familie, Toleranz und ein Traumhaus auf dem Land:
Beim Lesen entwickelt man ja innere Bilder der Figuren, Ricos Mutter hätte ich nie und nimmer mit dem elfenhaften Mirabellenmädchen aus „Das Parfüm“ oder der etwas verklemmten Junglehrerin aus „Fack ju Göhte“ zusammengebracht. Waren Sie überrascht, als man Sie für die Rolle der Tanja Doretti anfragte?
Ich hatte von dem Projekt schon vorher gehört und kenne die Regisseurin sehr gut. Aber ich war schon überrascht, dass alle von der Idee so begeistert waren, weil ich doch sehr jung bin. Mit Ricos Mama Tanja Doretti und ihrem unkonventionellen Lebensentwurf als junge, alleinerziehende Mutter konnte ich mich schnell anfreunden. Ich finde es aber nach wie vor ziemlich cool, dass mir Regie und Produktion die Mutterrolle zugetraut haben.
Sie sind vor Kurzem 30 geworden, wird Ihnen mit so einer Rolle auch bewusst, dass Sie älter werden?
Ja total, aber im Positiven wie im Negativen. Mit 30 Jahren hat man plötzlich vergangene Jahrzehnte in der Hand, über die man schon viel reden kann. Ich kenne meine beste Freundin seit 24 Jahren, das ist schon krass. Aber ich bin auch ganz froh, älter zu werden. Das bringt großartige Sachen mit sich. Man ist im Leben selbstbewusster, durch die Berufs- und Lebenserfahrung, kann Situationen besser einschätzen und besser mit sich selbst umgehen. Man kann sein Leben so einrichten, wie man sich das vorstellt – und hat einfach mehr Mut dazu.
Sie spielen zum ersten Mal eine Mutter – haben Sie da Neues und Unerwartetes in sich entdeckt?
Tanja Doretti ist zum Glück nicht so eine Gluckenmutter. Dennoch ist sie eine sehr liebevolle Mutter, die versucht, ihrem Rico alles zu geben. Diesen Beschützerinstinkt gegenüber einem kleinen Jungen kenne ich sehr gut. Ich habe selbst sehr viele kleine Brüder und bin mit diesem Gefühl groß geworden. Ich hatte etwas Angst, dass man mich im Film nicht als Ricos Mutter, sondern als seine große Schwester sieht. Ich bin froh, dass es nicht der Fall ist.
Bei „Fack ju Göhte“ sind Sie im Team zu einer richtigen kleinen Familie zusammengewachsen, war das hier ähnlich?
Eigentlich stellt sich bei fast jedem Film ein Familiengefühl ein, wenn man lange und intensiv an einem Ort arbeitet und gemeinsam rumhängt. Wenn man eine Weile dabei ist, trifft man sowieso immer wieder Leute, die man kennt. Unser Team bestand zum Großteil aus Freunden. Von daher war das sowieso ein Heimspiel.
Mit Ronald Zehrfeld spielt ein Mann mit, den Sie zumindest im Film ganz toll finden, ist der wirklich so eine „scharfe Schnitte“?
Lacht. Das ist eine sehr schöne Frage. Ich finde schon, dass er ein attraktiver Mann ist.
Nach Ihrer Rolle in „Das Parfüm“ haben Sie als elfengleiche Schöne für einen Frauenduft geworben, können Sie sich vorstellen, nach dem aktuellen Film für einen Werbeclip in Hausfrauenmanier für „Fischstäbchen mit Blutmatsche“ herzuhalten?
Das ist ja lustig. Kommt darauf an, wie die produziert werden. Für mich ist immer wichtig, unter welchen Umständen ein Produkt hergestellt wird. Und es kommt auch auf das Konzept an, dass es eben nicht die typische Hausfrau ist. Ich bin kein Fan von konservativen Familienmodellen. Das würde ich in einer Werbung dann natürlich auch nicht reproduzieren wollen.
In ersten Kritiken wird Ihre Rolle der beherzten, alleinerziehenden Mutter ähnlich wie die des Mirabellenmädchens in „Das Parfüm“ als herausragend gelobt, was hat Sie bei diesem Film am meisten berührt?
Ich liebe die Buchvorlagen von Andreas Steinhöfel sehr. Ich bin selbst in einer sehr unkonventionellen Familie groß geworden. Deshalb mag ich es, wenn auf eine ganz selbstverständliche Art und Weise die Normen, die unsere Gesellschaft an Familie anlegt, auch wiederlegt werden. Auch eine völlig „unnormale“ Familie kann ganz toll sein. Ich finde auch die Geschichte wahnsinnig stark, wie der unterbegabte Rico sich mit dem überbegabten Oskar befreundet. Sie sind beide auf ihre eigene Art einsam und Außenseiter, finden sich und werden zu einem tollen Team. Das fängt der Film sehr fein ein, ohne großes Tamtam und ohne Belehrbarkeit.
Der Film wurde von der Filmbewertungsstelle als „besonders wertvoll“ eingestuft, was können Kinder und Familien noch daraus mitnehmen?
Heutzutage Familie zu stemmen, ist eine unglaublich große Aufgabe. Sie ist gesellschaftlich nicht ideal gestützt, um es vorsichtig auszudrücken. Ich finde Vorbilder für einen alternativen Entwurf des Familienlebens sehr wertvoll, in dem sich Menschen die Freiheit nehmen, ihre Familie so einzurichten, wie sie es in ihrer Lebensrealität gut schaffen. Solche Vorbilder erweitern die Regeln. Man sieht, dass auch das funktioniert und kann den Erwartungsdruck von außen infrage stellen. So wie bei den Dorettis. Die Mutter stellt nicht ihr Kind infrage, weil es nicht so begabt ist, sondern die Welt, weil sie so bescheuerte Maßstäbe einrichtet. Dieses alternative Vorbild durch einen Film oder ein Buch zu schaffen, finde ich sehr wichtig.
Sie sind selbst in einer Patchworkfamilie mit sieben Geschwistern aufgewachsen, ist Ihnen da Toleranz in die Wiege gelegt worden?
Toleranz ist einer der wichtigsten und schwersten Werte, die es überhaupt gibt. Mir fällt selbst immer wieder auf, in welchen Punkten ich nicht tolerant bin, obwohl ich mich für unheimlich tolerant halte. In meiner Erziehung hat Toleranz, der Umgang mit anderen Menschen und mit Andersartigkeit eine wichtige Rolle gespielt. Für mich gab es dieses klare „falsch“ und „richtig“ nicht. Ich wurde in der Selbstverständlichkeit groß gezogen, dass jeder Mensch in einer anderen Lebenswirklichkeit steckt, die man nicht beurteilen kann, wenn man sie nicht erlebt hat. Deshalb hatte ich auch nicht den Maßstab „... der ist aber komisch“, das gab es bei uns nicht. Auch an der Waldorfschule habe ich die Auflösung dieser Werte erlebt. Ich war später dann sehr überrascht, wie stark Intoleranz in unserer Gesellschaft verankert ist.
Eine Großfamilie und Waldorfschule – das ist für viele schon ein bisschen „anders“, wie begegnen Sie solchen Vorurteilen?
Wir sind in Berlin groß geworden und Berlin ist eine recht tolerante Stadt. Ich habe das nicht so erlebt und empfunden und bin auch mit einem starken Selbstbewusstsein erzogen worden. Wenn mich jemand infrage stellt, hat das nicht mit mir zu tun, sondern mit dem Menschen, der mich infrage stellt. Wenn jemand meine Familie komisch findet, dann ist eben dieser Mensch komisch und nicht meine Familie. Das haben mir meine Eltern mitgegeben. Wenn Menschen neidisch waren, hat meine Mama mir schon immer gesagt: „Die Menschen, die neidisch sind, haben ein Problem – und nicht du“. Deshalb hatte ich auch nie Angst, anders zu sein.
Gesellschaftliche Normen scheinen Ihnen aber wichtig zu sein, immerhin studieren Sie seit 2009 nebenher Politik und Soziologie – ist Bildung für Sie Luxus, Zeitvertreib oder sind Sie der Meinung, dass es auch in Deutschland an der Zeit ist, dass Schauspieler Präsidenten werden?
Lacht. Nein, das glaube ich nicht. Für mich ist das reines Interesse und der Wille, Sachen zu lernen. Diese Fächer interessieren mich wahnsinnig. Da ich die Möglichkeit zum Studieren habe und teilweise auch die Zeit, wollte ich das ausprobieren. Leider wird das immer schwieriger, was die Zeit anbelangt.
Sie haben auch schon die erste Regiearbeit abgeliefert, gibt es in Ihrem Leben noch Momente der Langeweile?
Ich langweile mich oft. Es gab mal eine Zeit, in der ich mich nicht mehr gelangweilt habe. Ich war nur noch im Stress, am Reisen und Arbeiten. Da habe ich mich richtig nach Momenten gesehnt, in denen man sich langweilen kann. Selbst im Urlaub habe ich gemerkt, dass es so weiter geht und eine ganze Weile dauert, bis man herunterkommt. Mittlerweile gibt es für mich bewusste Zeiten der Langeweile. Ich glaube, das ist eine der wichtigsten Entspannungen überhaupt.
Sie haben schon eine enorme Bandbreite an Figuren gespielt, vom unschuldigen Mädchen über die coole Vampir-Chick und die verklemmte Junglehrerin bis jetzt zur beherzten Mutter – gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt noch spielen wollen?
Worauf ich große Lust hätte, das wären Extreme. Solche artifiziellen Fantasy-Figuren wie Angelina Jolie in „Magnificent“ spielen kann. Darauf hätte ich wahnsinnige Lust. Oder ein Tanz-Musical wie Grease, Nine oder Burlesque.
Das klingt schon nach Hollywood. Bleiben Sie Berlin treu?
Ich bin mit Deutschland verwurzelt. Obwohl ich mir mittlerweile vorstellen kann, auch mal zwei, drei Jahre woanders zu wohnen. Aber ich bin hier glücklich und ausgelastet, was meine Arbeit und mein Studium anbelangt. Es zieht mich nicht in die Ferne. Was die Bandbreite der Rollen angeht, bin ich hier bislang vom Glück gesegnet. Schon mit „Fack ju Göhte“ habe ich ein neues Genre ausprobiert. Für Extreme wie Fantasy gibt es anderswo sicher mehr Möglichkeiten. Aber wenn ich jetzt nach Amerika gehe, wer interessiert sich da für mich? Die haben ja selbst viele tolle Schauspieler, die auch noch besser Englisch sprechen können. Wenn ich irgendwann anfange, mich mit den Filmfiguren zu langweilen, dann würde ich wohl eher im Theater spielen. Die Balance zwischen Theater und Schauspiel kann dann sicher rundum glücklich machen.
In einem 2011er Interview nannten Sie als Ihre drei großen Wünsche eine Riesen-Bibo mit Schiebeleiter, in Australien zu Pferd Vieh treiben und den Pferdeflüsterer Monty Roberts treffen. Haben sich die Wünsche inzwischen erfüllt oder geändert?
Die Bibliothek wünsche ich mir jetzt nicht mehr. Ich liebe Bücher und habe auch viele, aber mein Einrichtungsstil hat sich wohl geändert. Mit dem Viehtreiben in Australien, das hat sich noch nicht ergeben und das würde ich immer noch wahnsinnig gern machen. Monty Roberts habe ich auch noch nicht getroffen. Aber da gibt es jetzt auch diesen Hundeflüsterer Cesar aus Amerika, den finde ich genauso toll. Er transportiert menschliche Sachen auf Tiere, das ist spannend. Das hat auch mit Toleranz zu tun, ich muss die Regeln von meinem Gegenüber lernen. Ansonsten habe ich noch einen großen Traum von einem Wochenendhaus, das man mit der ganzen Familie und mit Freunden teilt. Ein „Opened House“ auf dem Land, eine alte Scheune, die man über Jahre ausbaut, mit mehreren kleinen Wohnungen und vielleicht einem Dreiseitenhof. Ein Ort, zu dem man fährt und wo man alle trifft, die gerade da sind. Irgendwo in Brandenburg oder Mecklenburg. Das wäre schön.
Der Film
Gelungene Adaption von Andreas Steinhöfels prämiertem Kinderbuch um die Abenteuer eines Berliner Jungen, der dem berüchtigten Entführer Mister 2000 auf der Spur ist, u.a. mit Karoline Herfurth, Ronald Zehrfeld, Axel Prahl, Anke Engelke; Laufzeit 95 Minuten, Kinostart 10 Juli 2014.
Das Buch
„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ erschien 2008 im Carlsen-Verlag und sei allen Kids ab 6 und auch Eltern ans Herz gelegt. 220 Seiten voller Spannung, Kinder und Erwachsene können herzhaft lachen und lernen liebenswerte und sehr unkonventionelle Figuren kennen.
Für Pädagogen: Ein Klassenbesuch des Films eignet sich besonders wegen der Themen Toleranz, Andersartigkeit und Freundschaft. Vor allem lernen Kinder andere Lebensentwürfe kennen. Wir haben dazu hervorragendes Material zur pädagogischen Begleitung im Unterricht entdeckt, das Sie unter www.lausebande.de im Interview (Kategorie Interviews) mit Karoline Herfurth als PDF-Datei herunterladen können.