„Nicht alle Verbote machen Sinn“

Datum: Dienstag, 04. November 2014 09:34


quaIm Film scheinen die Eltern den Kindern nicht großartig weiter zu helfen. Sie haben Ihre Eltern schon im Kindes- und Jugendalter verloren – wie hat Ihre Familie Sie geprägt?
Meine Mutter ist sehr früh gestorben. Aber ohne das Rüstzeug, das mir vor allem mein Vater mit auf den Weg gegeben hat, hätte ich ab 15 sicher nicht diese Entwicklung nehmen können. Ich bin ganz klar geprägt durch meine Erziehung.

Färbt heute umgekehrt Ihre Tochter auch auf Sie ab?
Total, als Vater einer Tochter musste ich verstärkt lernen, dass es andere Befindlichkeiten und Schmerzgrenzen gibt. Dieses männlich-weibliche Element ist für mich erhellend, ich habe maßgeblich dazu gelernt.

Sie beschreiben Ihre Tochter als schönes Mädchen, würden Sie sie vor Typen wie Ihnen beschützen oder sie dieser Erfahrung überlassen?
Einen Typ wie ich es war, der kriegt bei mir einen Tee mit so viel Zucker, wie er will und türkischen Honig. Ich würde sehen, dass er ein gutes Herz hat, auch wenn er momentan noch eine Menge Scheiße baut. Ich würde versuchen, auch ihn gut zu begleiten.

In vielen Interviews bezweifeln Sie für sich, dass Exklusivität, persönliches Glück und Freiheit in einer dauerhaften Beziehung vereinbar sind. Ist Familie für Sie dennoch ein Ideal, nach dem Sie suchen?
Die Beziehung zu einem Partner, die man ernst nimmt, ist die größte Art und Weise, wie man miteinander wachsen kann. Dieses grundlegende Vertrauen, wo keiner beim ersten bösen Wort geht. Für mich ist es der größte Albtraum, auf meiner Couch allein alt zu werden und im Hintergrund tickt die Kuckucksuhr. Das will ich auf keinen Fall. Insofern fordert mich dieses Thema immer wieder. Beziehungen zu Frauen werfen für mich immer aufs Neue Fragen auf, auf die ich keine einfache Antwort finde. Monogamie auf lange Sicht und absolute Exklusivität, ohne dass die Tür auch nur angelehnt ist, halte ich in meiner Welt nicht für realistisch. Inwieweit man trotzdem eine verlässliche Beziehung leben kann, das ist die spannende Frage. In unserer individualisierten Gesellschaft können wir aus vielen traditionellen Verhaltensmustern ausbrechen, auch aus übergestülpten Beziehungsmodellen. Allerdings resultiert daraus gerade in den Ballungsräumen eine übersteigerte Individualität, in der man sich leicht verlieren kann und Partner jederzeit austauschbar werden. Mir ist trotz allem Zweifel an einer Monogamie über lange Zeit eine Verlässlichkeit und Verbindlichkeit in einer Beziehung sehr wichtig. Ich bin immer noch am Suchen, Leben und Lernen, was das Mann-Frau-Thema da für mich noch bereit hält.

Eine Konstante in Ihrem Leben ist auf jeden Fall Ihr soziales Engagement, insbesondere für Flüchtlinge. Freut Sie, dass dieses Thema aktuell in Deutschland mehr denn je diskutiert wird?
Das finde ich gut und ich habe das Gefühl, dass es in der Zivilgesellschaft oft anders als in der Politik besprochen wird. In der Politik haben wir es immer noch mit diesen Stammtischparolen wie „das Boot ist voll“ zu tun. Da wird Angst geschürt. Ich war gerade mit Amnesty International auf Lampedusa und war beeindruckt, wie selbstlos Menschen dort den Flüchtlingen helfen. Sie kompensieren das Versagen der Politik. Ich finde es von Deutschland skandalös, in Zeiten, da die Welt in vielen Ecken brennt, einen Bruchteil  des Budgets für die Schaltung von funktionierenden Rettungssystemen zu investieren, aber ein Vielfaches für Systeme der Abschottung. Weltweit sind 85% der Flüchtlinge in Nachbarländern zu Gast, der Großteil will in die Heimat zurück, im Libanon sind inzwischen 1,4 Millionen Syrer untergekommen. In ganz Europa reden wir von 140.000 syrischen Flüchtlingen. Da finde ich beschämend, wie wenig wir tun.

Gerade der Osten gilt als fremdenfeindlich, auch die Lausitz hat Ihre Wunden. Wie sehen Sie uns?
Bei der Lausitz denke ich an ganz andere Probleme, an Braunkohletagebaue und aufgerissene Landschaften. In Zeiten, in denen wir den Klimawandel proklamieren, werden ganze Dörfer enteignet und abgerissen. Das ist für mich das Problem in der Lausitz. In Sachen Fremdenfeindlichkeit gibt es sicher auch ein Problem, sobald man das urbane Berlin verlässt. Das ist schade. Es hat aber auch mit einer großen Arbeitslosigkeit und damit zu tun, dass viele Jungs da draußen sich verloren fühlen. Rechtsgerichtete Politik hat schon immer dadurch bestochen, dass sie einfache Antworten auf komplizierte Zusammenhänge gibt. Ich wünschte, da wäre mehr Gegengewicht und mehr kulturelles Angebot, mehr Arbeit und mehr Liebe im Spiel, die die Leute auffängt.

Sie sagten einmal, Sie würden gern in einem progressiven Land leben. Was müsste sich dazu in Deutschland ändern?
Ich bin besorgt, wie wir dahin bummeln, während die Welt brennt. In Bezug auf die Flüchtlinge müsste sich unsere Haltung ändern. Wie wir Gäste behandeln und miteinander und mit Andersartigkeit umgehen, sagt viel über uns aus. Wir sollten uns angewöhnen, mehr über den Schutz von als über den Schutz vor Flüchtlingen zu sprechen. Ich finde, wenn wir eine Energiewende ausrufen, dürften wir nicht vor Industriekonzernen einknicken, sondern müssten Anreize geben, den Weg wirklich progressiv zu beschreiten. Wir sind oft konservativ und hängen an alten Werten und Traditionen fest. Das ist manchmal gut, aber nicht immer. Ich wünsche mir für uns Deutsche mehr Mut, das gilt aber auch für andere. Und eine größere Konsequenz im Handeln. Wir brauchen auch eine gerechtere Sozialpolitik, die Menschen stärker entlastet, die wenig haben. Menschen mit Migrationshintergrund sollten weniger Reglements ausgesetzt werden. Es geht im Grund aber um eine weltoffene und liebevolle Haltung der gesamten Zivilgesellschaft. Ich kann nicht nachvollziehen, dass viele Menschen da nicht über das Althergebrachte Hinauswachsen wollen. Da wünsche ich mir mehr Progressivität.

In diesem Sinne eine Verbindung zum Film: Wenn Sie für eine Revolution Ihre eigene Quatsch-Bande gründen dürften, wer wäre mit dabei und was würden Sie einreißen?
In meiner Quatsch-Bande wären meine Familie und meine Freunde, die ich zum Großteil seit Jahren und Jahrzehnten habe, dabei. Als erstes würde ich das zuletzt gebaute Container-Flüchtlingsheim abreißen, das ich gesehen habe. Ich würde es in humane Einzelwohnungen umwandeln und die Container als Vakuum, in denen man keine Wurzeln schlagen kann, verschrotten.

Vielen Dank für das Interview.