Interview mit Prof. Dr. med. Klaus Linde, seit 2010 wissenschaftlicher Koordinator am Institut für Allgemeinmedizin der TU München. Er hat jahrelang zum Thema Alternativmedizin und Naturheilkunde geforscht und international dazu publiziert.
Das Thema Alternativmedizin ist sehr komplex. Wo sollten sich Interessierte am besten informieren, wenn sie alternative Methoden zur Schulmedizin ausprobieren möchten?
Als Erwachsener würde ich mit meinen Beschwerden zuerst zum Hausarzt gehen und mich zu alternativen Möglichkeiten der Behandlung beraten lassen. Mit Kindern sollte der erste Ansprechpartner immer der Kinderarzt sein. Es muss sichergestellt sein, dass keine wichtige, wirksame Behandlung unterlassen wird. Darüber hinaus kann man sich im Bekanntenkreis umhören, was es dort für Erfahrungen gibt. Wichtig ist vor allem, dass dem Patienten keine unrealistischen Versprechungen gemacht werden und auch die Kosten einer Behandlung, die ja häufig selbst getragen werden müssen, im Rahmen bleiben.
Obwohl die Wirksamkeit vieler alternativer Heilmethoden wissenschaftlich umstritten ist, sind sie sehr beliebt – wie erklären Sie sich das?
Dafür gibt es sicher mehrere Erklärungsansätze. Das eine sind die positiven Erfahrungen der Patienten, vielen hat die Alternativmedizin schon geholfen oder aber sie kennen jemanden, dem sie geholfen hat. Zum zweiten werden alternative Verfahren eher bei leichten oder chronischen Beschwerden genutzt, nicht bei akuten, ernsten Erkrankungen. Bei einer Erkältung beispielsweise kann auch der Schulmediziner nicht viel Konkretes bieten, während die Alternativmedizin viele Möglichkeiten oder zumindest scheinbar Möglichkeiten bietet. Zudem kann ich bestimmte Verfahren wie Bachblüten oder Arnica-Kügelchen unkompliziert zu Hause selbst anwenden. Ein drittes Argument: Die Patienten fühlen sich mit manchen Beschwerden bei der Alternativmedizin eher ernst genommen und besser aufgehoben. Etwas vereinfacht gesagt: Bei der Schulmedizin geht es um die Krankheit, bei der Alternativmedizin um das Kranksein. Da werden die individuellen Beschwerden stärker berücksichtigt, da ist eine Erkältung nicht einfach nur eine Erkältung, sondern geht mit individuellen Symptomen einher und braucht daher nicht einfach nur ein Nasenspray, sondern beispielsweise ein bestimmtes Homöopathikum.
Was ist mit dem Argument, dass sich Alternativmediziner und Heilpraktiker mehr Zeit für den Patienten nehmen?
Das halte ich für eine Vereinfachung, Zeit spielt sicher eine wichtige Rolle, aber das allein würde die hohe Verbreitung der Alternativmedizin nicht erklären. Einfach nur lange freundlich miteinander zu reden, wird Beschwerden häufig nicht lindern können. Die Zeit muss zielführend miteinander verbracht sein; zumindest müssen Patient und Behandler dieses Gefühl haben. Alternative Verfahren können – zumindest behaupten sie das - viele Beschwerden spezifisch einordnen und behandeln, die mit konventionellen Therapien nicht befriedigend angegangen werden können.
Alternativmedizin wird von Kritikern teils als unseriös und grober Unfug bezeichnet. Wie schätzen Sie als Forscher die öffentliche Diskussion ein?
Einerseits gibt es die wissenschaftliche Diskussion zwischen Skeptikern und Anhängern . Da verweisen beide Seiten teils auf die gleichen Studien, die sie aber völlig unterschiedlich interpretieren. Grundsätzlich muss man sagen, dass viele gut gemachte Studien in den letzten Jahren keine oder nur kleine Effekte im Vergleich zu Placebobehandlungen gezeigt haben. Ich interpretiere das so, dass viele alternative Therapien nicht oder nur teilweise so funktionieren wie von den Anwendern angenommen. Bei der Akupunktur hat die richtige Punktwahl wohl nur einen kleinen Einfluss, bei der Homöopathie ist zumindest nicht belegt, dass die Mittel selbst wirklich wirken. Vor allem bei der Akupunktur zeigen gleichzeitig große Studien, dass sie in der Versorgung auch im Vergleich zu konventionellen Therapien gut funktioniert. Das führt in der Wissenschaft zu Streit: die einen sagen, Akupunktur ist nur Placebo, andere, Akupunktur sei ein besonders wirksames Placebo. Wieder andere sagen, Akupunktur ist sehr wohl spezifisch wirksam, die Wirkmechanismen sind nur deutlich komplizierter als von den Praktikern angenommen. . Trotz der wissenschaftlichen Diskussion hat in der Praxis längst eine Vernetzung von Schulmedizin und Alternativmedizin begonnen. Viele Patienten empfinden alternative Verfahren zumindest subjektiv als wirksam. Viele niedergelassene Ärzte wenden in ihrer täglichen Arbeit Methoden und Verfahren der Alternativmedizin an. Einzelne Verfahren, die belegt sind, können eine natürliche Brücke sein zwischen beiden Bereichen .
Im europaweiten Vergleich scheint die Alternativmedizin in Deutschland weiter verbreitet zu sein als in anderen Ländern. Wie erklären Sie sich die relativ hohe Beliebtheit in Deutschland?
Das hat zum einen historische Gründe: Viele naturheilkundliche Methoden haben hier eine lange Tradition. Das hat aber auch infrastrukturelle und gesetzliche Gründe. So gibt es den Beruf des Heilpraktikers in dieser Form nur in Deutschland. Und auch dass Mediziner bei der Bundesärztekammer eine Zusatzbezeichnung, z.B. Akupunktur und Homöopathie, erwerben können, spielt da mit rein.
Kritiker bemängeln, dass viele Krankenkassen Methoden der Alternativmedizin komplett oder anteilig erstatten. Schließlich sei die Wirksamkeit medizinisch nicht erwiesen. Warum haben die Krankenkassen solche Maßnahmen dennoch in ihren Leistungskatalog aufgenommen?
Am Ende stehen die Krankenkassen auch im Wettbewerb und wollen Mitglieder werben. Die Alternativmedizin wird von vielen Patienten offenbar gewünscht und als wirksam wahrgenommen. Wenn die Kosten überschaubar sind und unterm Strich die Vorteile überwiegen, ist das aus meiner Sicht nicht unbedingt falsch. Allerdings sollte das dann auch in Studien kritisch überprüft werden.
„Eine natürliche Brücke“
Datum: Montag, 04. Mai 2015 14:22
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Neela - Kolumna
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