Interview mit Familienministerin Manuela Schwesig
Seit Dezember 2013 ist Manuela Schwesig Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die gebürtige Brandenburgerin hat heute ihre Heimat mit Mann und Kind in Schwerin/Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist das jüngste und auf jeden Fall das schönste Mitglied in Merkels Kabinett – und hat sich mit dem Durchsetzen der Frauenquote und weiteren Vorhaben gut in der meist angestaubten Männerriege behaupten können. Aktuell versucht sie, gerade jungen Eltern mit dem Modell der sogenannten 32-Stundenwoche mehr Zeit für die gemeinsame Kindererziehung zu ermöglichen. Wir sprachen mit der sympathischen Bundespolitikerin:
Haben Sie eine kurze Antwort auf die Fragen: Wie steht es um Deutschlands Familien und wie familienfreundlich ist Deutschland?
In Deutschland können wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch verbessern. Dafür setze ich mich ein. Ich möchte die Familien hier unterstützen. Die Politik muss dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen. Aber auch die Wirtschaft und die Unternehmen haben hier eine Verantwortung. Wenn die Arbeitswelt familienfreundlicher wäre, würden sich mehr junge Männer und Frauen für Kinder entscheiden. Familie wird für sich genommen nicht als Belastung empfunden und Arbeit auch nicht. Aber die Balance hinzubekommen, das ist schwer. Moderne Familienpolitik ist deshalb die Stärkung der Partnerschaftlichkeit. Umfragen zeigen, dass sich das 60 Prozent der Paare mit Kindern unter drei Jahren wünschen, aber nur 14 Prozent können das auch umsetzen. Wir müssen deshalb Vollzeit für Familien neu definieren. In der Rush Hour des Lebens kommt alles zusammen: Kinder kriegen, die Pflege der Eltern organisieren, als Fachkräfte zur Verfügung stehen. Das geht nicht mit Vollzeit für Männer und Frauen, wie wir sie bisher definieren. Männer wünschen sich, ihre Arbeit zu reduzieren, fürchten aber negative Folgen für ihre Karriere. Frauen würden gerne mehr Stunden arbeiten, können aber aus ihren Teilzeitjobs nicht aufsteigen. Es muss möglich sein, dass beide Partner statt 40 Stunden nur 32 arbeiten – und zwar, ohne gleich massive Nachteile zu bekommen.
Für Ihren Vorstoß zur sogenannten 32-Stundenwoche für junge Familien gab es viel Gegenwind, wie realistisch ist dieses Vorhaben?
In vielen Unternehmen herrscht eine starke Präsenzkultur. Nur wer ständig präsent ist, gilt als Leistungsträger. Wer mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte, wird als Weichei gesehen. Gerade bei Männern ist das oft so. Aber zwischenzeitlich scheinen immer mehr Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Denn den meisten Eltern sind familienfreundliche Angebote genauso wichtig wie die Höhe des Gehalts. Darauf reagieren die Unternehmen nun langsam. Doch trotz dieser insgesamt positiven Entwicklung gibt es noch viel Luft nach oben. Innerhalb des vergangenen Jahres ist die Idee der Familienarbeitszeit auf unglaubliche Akzeptanz gestoßen. Die IG Metall und andere Gewerkschaften haben die Idee der Familienarbeitszeit aufgegriffen. Auch einige Wirtschaftsvertreter, beispielsweise Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, sprechen sich dafür aus. Mit dem ElterngeldPlus und der Familienpflegezeit machen wir die ersten wichtigen Schritte. Und ich halte an meiner Idee der Familienarbeitszeit fest.
Sie wollen der „gehetzten Generation“ zwischen 30 und 50 Jahren das Leben zwischen Erziehung der Kinder, Beruf und Pflege der Eltern erleichtern. Sie stecken selbst in dieser Generation, fühlen Sie sich auch oft gehetzt?
Ich erlebe den ganz normalen Wahnsinn, den viele Familien aus ihrem Alltag kennen. Man möchte seinen Job gut machen und Zeit für seine Familie haben. Die Balance zu halten ist nicht immer leicht. Aber es gelingt uns ganz gut, weil mein Mann und ich uns die Erziehungs- und die Hausarbeit partnerschaftlich teilen. Mein Mann hat seine Arbeitszeit reduziert auf 35 Stunden und arbeitet einen Tag von zu Hause. Jeden Sonntag setzen wir uns zusammen und organisieren die Woche: Wer holt Julian von der Schule ab, wer bringt ihn zum Sportverein. Wichtig ist für mich, dass auch unsere Eltern ganz selbstverständlich unser Lebensmodell unterstützen. Im Westen müssen sich viele Frauen immer noch rechtfertigen. Das macht alles noch schwerer.
Wer kümmert sich um Ihren Sohn, wenn Sie Politik machen?
Meistens fahre ich mittwochs nach der Kabinettssitzung nach Hause, und hole Julian vom Hort ab, und den restlichen Tag verbringen wir gemeinsam. Dann spielen wir, machen gemeinsam Hausaufgaben, abends lesen wir zusammen. Wenn ich in Schwerin übernachte, frühstücke ich morgens mit meiner Familie und bringe meinen Sohn dann morgens zur Schule, bevor ich nach Berlin fahre. Ich pendle ziemlich viel – mein Auto ist sozusagen mein rollendes Büro. Zudem versuche ich – wenn keine Termine in Berlin oder im Rest der Republik anstehen – ab und an einen Homeoffice-Tag einzulegen.
Zum politischen Alltag: Aktuell müssen Sie in Ihrer Rolle vor Gericht die sogenannte „Herdprämie“ verteidigen, die Ihre Vorgängerin mit anderer Parteifarbe einführte und die Sie im Grund Ihres Herzens strikt ablehnen. Wie sehr kann man sich auf dieser politischen Ebene selbst treu bleiben?
Meine kritische Haltung zum Betreuungsgeld ist bekannt, und es wäre jetzt unglaubwürdig, so zu tun, als ob sich das geändert hätte. Das Verfassungsgericht entscheidet ja nicht über eine politische Bewertung dieses Betreuungsgeldes: Macht es jetzt Sinn, das Geld dafür auszugeben oder eher für etwas anderes? Sondern das Verfassungsgericht wird entscheiden: Ist dieses Gesetz tatsächlich verfassungsgemäß, hat der Bund zum Beispiel überhaupt die Möglichkeit, solche Gesetze auf den Weg zu bringen? Ich werde dieser Entscheidung nicht vorgreifen – kann ich auch gar nicht. Erstmal muss man aber auch anerkennen, dass wir schon eine ganze Menge gemacht haben. Für den Ausbau von Kitas, beim Elterngeld Plus. Und ein Familienpaket, das seinen Namen verdient – etwa durch den höheren Kinderzuschlag. Wir haben für die Alleinerziehenden, die bisher gegenüber Paaren benachteiligt waren, mit der Einigung auf eine Erhöhung des Entlastungsbetrags einen großen Fortschritt erzielt. Da ist also eine ganze Menge auf den Weg gebracht, aber dennoch gibt es noch große Baustellen. Eine ist der Ganztagsausbau von Kitas und Schulen, eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern.
Sie haben die Frauenquote durchgesetzt. Hat Sie das zum „begehrten“ Ziel für den angestaubten Chauvinismus deutscher Männer gemacht – zumindest erwecken viele Kommentare auf Ihrem facebook-Profil diesen Eindruck?
Ich halte mich damit nicht lange auf. Meine Aufgabe als Frauenministerin ist es, mich für die Belange der Frauen und für Gleichberechtigung einzusetzen.
Gibt es Erfahrungen aus Ihrer Sozialisierung als Mädchen bzw. junge Frau im Osten, von der die Bundespolitik Ihres Erachtens heute lernen sollte?
Natürlich hat mich meine Kindheit in Ostdeutschland auch geprägt. Ich bin so aufgewachsen, dass mein Vater und meine Mutter berufstätig waren und zusammen den Haushalt geschmissen haben. Ich habe mir als Kind darüber keine Gedanken gemacht. Für mich war das immer selbstverständlich. Mein Mann und ich wollen ebenfalls beide berufstätig sein. Freundinnen aus alten Bundesländern mussten hingegen Kämpfe führen, die es für mich nicht gab. Eine Freundin ist nach dem Mauerfall nach München gezogen. Nach der Geburt ihres Kindes wollte sie gerne wieder in ihren Job einsteigen. Sie war völlig fertig, weil sie keine Kinderbetreuung fand. Ich habe das zuerst nicht verstanden, München ist doch eine reiche Stadt, dachte ich. Und wo so viel Reichtum ist, muss es doch auch genug Kitas geben.
Angela Merkel wuchs wie Sie in Brandenburg auf, macht der Ost-Bonus Ihre Rolle in Merkels Kabinett einfacher?
Nein. Frau Merkel und ich haben unterschiedliche Politikstile und Auffassungen zu Themen. Aber ich glaube schon, dass viele Ostdeutsche pragmatischer sind. Ich bin stolz auf meine ostdeutschen Wurzeln. Ich finde es gut, dass ich meine Erfahrungen in Führungsverantwortung einbringen kann.
Was haben Sie sich für die kommenden zwei Jahre Ihrer Legislatur noch vorgenommen?
Unter anderem werde ich ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit auf den Weg bringen. Obwohl Frauen heute so gut ausgebildet sind wie nie zuvor, stagniert die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei 22 Prozent. Die Gründe dafür sind bekannt – doch nur, weil die Lohnlücke zu erklären ist, ist sie noch lange nicht gerecht. Wir müssen Lohnungleichheit sichtbar machen. Frauen können nur überprüfen, ob der Grundsatz „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ eingehalten wird, wenn die Lohnstrukturen transparent sind. Die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen und flexible Arbeitszeiten sind der Schlüssel, um Familien den Rücken zu stärken.
Wenn Ihnen eine gute Fee oder Angela Merkel drei Wünsche vorbehaltlos finanzieren würde, welche wären das?
Jedes Kind, egal in welcher Familie und in welchem sozialen Umfeld es aufwächst, muss die gleichen Möglichkeiten haben. Es darf nicht von der sozialen Stellung der Eltern abhängen, was aus den Kindern wird, sondern von den Talenten und Stärken der Kinder. 2. Frauen und Männer hätten die gleichen Chancen. Sie können ihr Leben nach ihren Wünschen partnerschaftlich gestalten, gemeinsam und auf Augenhöhe. 3. Gewalt, insbesondere gegen Kinder und Frauen wäre tabu. Jeder hat ein Recht auf ein gewaltfreies Leben. Es lohnt sich, für diese Ziele zu kämpfen.