„Kinder hören nicht, Kinder sehen.“

Datum: Mittwoch, 03. Juni 2015 15:17

Am 11. Juni kommt mit „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ der zweite Teil der Romantrilogie von Andreas Steinhöfel über die zwei ungewöhnlichen Kinderdetektive auf die Leinwand. Zum Kinostart des ersten Teils sprachen wir im vergangenen Jahr mit Karoline Herfurth, die auch diesmal die Mutter des Haupthelden Rico spielt. Beim zweiten Teil neu an Bord ist Moritz Bleibtreu. Er verkörpert Boris, einen eher unfreiwilligen Kleingangster, der unter der Fuchtel seiner knallharten Mutter zum doch recht amüsanten Bösewicht wird. Wir sprachen mit ihm über den neuen Familienfilm und über seine wohl wichtigste Rolle als Familienvater im realen Leben, die er seit der Geburt seines Sohnes David vor sechseinhalb Jahren ausfüllt:

Sie sind nicht oft in Kinderfilmen zu sehen, was hat Sie ausgerechnet für „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ begeistert? Ich mochte schon den ersten Kinofilm sehr, ebenso die Buchvorlage. Andreas Steinhöfel findet eine sehr schöne Sprache, diese Geschichten zu erzählen. Es gelingt ihm, Kindern auf eine sehr erwachsene Art und Weise und auf Augenhöhe zu begegnen. Seit ich Vater geworden bin, habe ich einige Kinderfilme gemacht. Insoweit spielt sicher auch die persönliche Perspektive eine Rolle. Das ist endlich mal wieder ein Film, den auch mein eigener Sohn sehen kann.

Wie Rico im Film sind Sie selbst im realen Leben mit einer alleinerziehenden Mutter und in eher ungewöhnlichen Verhältnissen groß geworden, schafft diese Parallele eine besondere Nähe zu diesem Film? Nein. Ich baue sowieso keinen großartigen persönlichen Bezug zwischen mir und den Geschichten auf. Mich reizt ganz klar die Geschichte, die sich vieler Figuren annimmt, die ihre ganz eigenen Probleme haben und oft Außenseiter sind, ohne auf sozialen Stereotypen herumzuhacken. Die Charaktere werden einfach aufgebaut und nicht großartig begründet. Rico und Oskar haben ja beide keinen Vater. Der eine, weil seiner ihn verleugnet – und der andere hat erst gar keinen. Das wird aber nicht sozialkritisch überhöht, es geht eben nicht um alleinerziehende Mütter und deren Probleme, sondern dient einfach als Unterbau für eine gute Geschichte. Das mag ich an der Erzählart des Films. Ich bin kein Freund von Filmen, die versuchen, mit dem ausgestreckten Zeigefinger eine Moral oder politische Ansicht zu vermitteln.

Ist es für Sie etwas Besonderes, mit Kindern und für Kinder zu arbeiten? Das ist sehr besonders und macht mir viel Spaß. Kinder agieren aus einer ganz anderen Motivation heraus. Für sie ist das kein Beruf, sondern Alltag. Sie spielen einfach. Sie gehen mit einer ganz anderen Einstellung an die Sache. Es geht bei Kindern nicht um Ausdruck oder darum, der Welt etwas mitzuteilen. Sie stellen sich hin und sagen einen Satz – und danach setzen sie sich wieder hin und spielen irgendetwas. Es sind eben Kinder. Das empfinde ich als sehr erfrischend

Sie spielen den samt Stottern, Schielen und Ödipuskomplex eher amüsant wirkenden Kleingangster Boris, wieviel von Optik und Charakter der Rolle konnten Sie beeinflussen? Schon der erste Teil der Trilogie spielt mit einer Überhöhung der Figuren. Da wird nicht hart an der Realität gearbeitet. Im Buch war schon klar, dass der Boris stottert. Da habe ich den Vorschlag unterbreitet, es mit dem Schielen noch etwas weiter zu treiben. Der Ödipuskomplex war schon durch die Buchvorlage klar. Der Boris ist ja eigentlich gar nicht böse, er steht nur unter dem Pantoffel der omnipotenten, matriacharlischen Urgewalt seiner Mutter. Boris ist eigentlich ein lieber Kerl, aber total unterdrückt.

Sie stehen in Ihrer Schauspielerei eher für Charakterrollen, Boris wirkt dagegen wie die Figur aus einer Comedy-Soap. War das für Sie eine lustige Abwechslung oder eine besondere Herausforderung?
Das ist ein ganz eigener Ansatz, das Chargieren (übertriebenes Schauspielern, Anmerkung der Redaktion). Früher gab es in der Komödie richtige Genre dafür. Da war Slapstick noch ein Ding für sich. Das war eine eigene Kunst mit eigenen Gesetzen. Leute wie Stan Laurel oder Buster Keaton haben das mit so viel Gefühl und physischer Berechnung und Analytik gespielt, dass die vermittelte Naivität eine hohe Kunst war. Diese Schauspieler waren hochintelligente Personen. Ich bin sicher von Natur aus eher ein lauter Schauspieler. Und wenn man mich von der Leine lässt, dann kommt so etwas wie der Boris dabei heraus. Mir hat es irre Spaß gemacht, ein bisschen auf die Kacke zu hauen.

Alle Kinder wollen den Bösen spielen, der ist meist interessanter. Ist das unter erwachsenen Schauspielern auch so? Das ist in Deutschland sicher ein Thema für sich. Wir haben hier die klassische Heldenstruktur total verloren. Es gibt in Deutschland keine Helden mehr, das haben wir damals nach dem Krieg an den Nagel gehängt. Mit der gebrochenen Identität war es natürlich schwer, Typen zu formen, die die Welt retten. Unsere Helden sind immer Antihelden und auch die Bösen sind meist gebrochene Typen. Ich kenne keinen deutschen Film mit klassischen Bösewichten wie Dirty Harry, die durch und durch böse sind. Die Heldenfiguren, die das amerikanische Blockbusterkino ausmachen, sehen wir uns in Deutschland zwar gern an und finden sie auch cool, wir würden sie aus dem eigenen Land heraus aber nie zulassen. Dafür sind wir einfach zu sehr Verlierer – und das ist vielleicht auch ganz gut so.

Um bei der Frage zu bleiben: Wenn Sie in Hollywood Batman oder Joker spielen dürften, wen würden Sie wählen? Natürlich den Joker. Den neuen Joker spielt übrigens Jared Leto, das ist auch ein feiner Kollege.

Zurück zu Rico und Oskar, schauen Sie den Film im Kino zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn? Das ist ja einer der Gründe, warum ich diesen Film überhaupt gemacht habe. Endlich kann ich mit meinem Kleinen mal zusammen einen Film schauen, bei dem ich mitspiele. Er möchte das ja immer gern sehen. Die meisten Filme, in denen ich mitgespielt habe, kann er auch in absehbarer Zeit noch nicht sehen. Ich freue mich und finde es toll, das jetzt teilen zu können. Zum Dreh habe ich ihn auch mal mit ans Set genommen. Ein Kinderfilm bietet auch die perfekte Möglichkeit, einem Kind zu zeigen, wie das alles funktioniert und diesen Beruf zu entmystifizieren.

Sie sind in einer Schauspielerfamilie ausgewachsen und standen von klein auf vor der Kamera. Tritt Ihr Sohn schon in Ihre Fußstapfen? Überhaupt nicht. Der Kleine hat noch so viel zu erleben und soll erst einmal herausfinden, was ihm Spaß macht. Das ich sehr früh vor der Kamera stand, war auch eher einem Zufall geschuldet. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte ich das damals nie gemacht. Ich will aber auch nicht „nie“ sagen, weil es im Leben manchmal einfach so kommt. Ich forciere das bei meinem Sohn aber in keiner Art und Weise.

Wer war eigentlich der Leinwandheld Ihrer Kindheit? Meine Helden waren Tom & Jerry und die Muppet Show. Mary Poppins, Rauchende Colts, vielleicht noch Pan Tau. Filmegucken ging damals ja erst jenseits der zwölf Jahre los.

Zu Ihrer Vaterrolle im realen Leben: Sie sind selbst ohne Vater groß geworden. Prägt das Ihre Rolle in Ihrer Familie heute? Das kann ich schwer sagen, das ist auch eine hypothetische Frage. Natürlich ist es für mich als einstiges Kind ohne Vater sehr wichtig, dass mein Sohn seinen Vater hat. Insofern war für mich klar, dass ich immer für ihn da bin.

Unsere Vätergeneration Mitte 40 ist für die eigenen Kinder häufiger eher Spielkamerad als konsequente Orientierungshilfe, wie halten Sie das? Beides, ich versuche das so gut es geht zu vereinbaren. Es wäre doch schade, wenn das eine oder das andere auf der Strecke bleiben würde. Wenn ich von einem Spielvater ausgehen würde, wer soll dann die Ansagen machen? Ich kann ohnehin mit vielen gesellschaftlichen Normen, die es in Bezug auf Erziehung gibt, nicht viel anfangen. Da habe ich zu den meisten Sachen keine Meinung. Für mich ist vieles in der Familie eine menschliche Selbstverständlichkeit, auch wie wir uns als Eltern die Erziehung aufteilen.

Was ist Ihres Erachtens das Wichtigste, dass ein Vater seinem Sohn mitgeben sollte? Liebe. Liebe, Vertrauen, Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit.

… das sind hohe Werte, die muss man aber auch vorleben! Ja, und man muss es nur vorleben! Kinder hören gar nichts. Viele Leute denken ja, dass man Kinder dadurch erzieht, dass man ihnen irgendetwas erzählt. Das ist falsch. Es interessiert ein Kind Null, was du erzählst. Was ein Kind interessiert ist, was du tust. Kinder hören nicht, Kinder sehen. Du kannst einem Kind noch so viel erzählen, wenn du dich konträr dazu verhältst, dann hat das keinen Bezug zur Realität. Kinder merken das sofort.

Zurück zum Film: Demnächst starten schon die Dreharbeiten für den dritten Teil der Rico- und Oskar-Reihe, wird da ein Bleibtreu mit am Set sein?
Nein, der kommt ja in den Knast und wird so schnell sicher nicht wieder draußen sein.

Wenn Sie sich einen Film für sich und ihren Sohn wünschen dürften, was wäre der Inhalt, wer würde mitspielen und wer Regie führen? Ich würde unheimlich gern … ach nein, das verrate ich nicht, ich bin ja nicht bescheuert. Das mache ich irgendwann hoffentlich selbst. Für mich ist die klassische Kinderliteratur immer noch eine tolle Fundgrube. Von Harry Potter abgesehen, hat sich da bei uns gar nicht so viel getan. Beim Geschichtenvorlesen habe ich gemerkt, dass die coolen Bücher immer noch die gleichen wie in meiner Kindheit sind. Ob der Maulwurf Grabowski, die Raupe Nimmersatt, Jim Knopf und die wilde 13 – und auch in der Jugendliteratur ist Michael Ende nach wie vor das Geilste, was es gibt. Bei guten Kindergeschichten hat sich nicht viel geändert. Das ist bei den Filmen ähnlich. Die Kästner-Geschichten, das fliegende Klassenzimmer oder Krieg der Knöpfe – hier könnte man sicher noch die ein oder andere Geschichte für die Leinwand erzählen. In diese gute Tradition passen meines Erachtens auch die Filme mit Rico und Oskar.
Vielen Dank für das Interview.