Interview mit der ehemaligen Box-Weltmeisterin Regina Halmich.
Regina Halmich war von 1995 bis 2007 zwölf Jahre lang ungeschlagene Box-Weltmeisterin im Fliegengewicht. Sie gilt als schönste Boxerin der Welt und machte das Frauenboxen auch in zwei TV-Duellen gegen Stefan Raab populär. In ihren 25 Jahren Sportleben ebnete sie einer ehemals geschlechteruntypischen Sportart den Weg zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz. Heute gibt sie ihre Erfahrungen in Coachings, aber auch im Boxtraining weiter. Beispielhaft ist ihr Engagement in vielen sozialen Bereichen, vor allem für Frauen und Kinder. Sie unterstützt das Deutsche Kinderhilfswerk, das Projekt Patenkinder Matara, engagiert sich im Projekt „Gegen Gewalt gegen Frauen“ des Olympischen Sportbunds. Besonders liegen ihr die Rechte von Kindern und Jugendlichen am Herzen, vor allem deren Chancen, sich zu beteiligen und mitzubestimmen. Wir sprachen mit Regina Halmich über ihren Weg in einem für Mädchen nach wie vor eher ungewöhnlichen Sport:
Sie haben mit 11 Jahren erst Judo, dann Karate und Kickboxen für sich entdeckt – was haben damals Ihre Eltern dazu gesagt?
Meine Eltern waren nicht gerade begeistert, aber als sie sahen, wie ernst mir mein Sport war – und das die Schule nicht darunter gelitten hat – haben sie mich unterstützt.
Was hat Sie zum Kampfsport geführt, mussten Sie einfach mal „Dampf ablassen“?
Das Ganze begann mit einem Flugblatt, das 1989 an meiner Schule verteilt wurde. Judotraining wurde angepriesen. Irgendetwas daran hat mich elektrisiert. Ich habe mich also auf den Weg gemacht. Ich fand diesen Sport ganz interessant, aber so richtig hat’s mich nicht gepackt. Ich bekam dann aber mit, dass in meiner Heimatstadt Karlsruhe auch Karate angeboten wurde. Meine besten Freundinnen schwärmten mir auch vom Taekwondo vor. Das war wohl der entscheidende Moment. Ich bin dann einfach mal so in diese Trainingshalle geradelt. Beim Besitzer, Jürgen Lutz, habe ich mich für Karate angemeldet. Ich wusste, dass mein Vater absolut nicht wollte, dass ich einen Sport mit Boxhandschuhen ausübe. Mein Vater hat ehrenamtlich beim Malteser Hilfsdienst als Rettungssanitäter gearbeitet und wirklich schon Schlimmes gesehen. Die Trainingsgruppe für Anfänger fand ich oberlangweilig und habe so lange insistiert, bis ich in einer höheren Gruppe einsteigen durfte. Ich war sofort Feuer und Flamme! Der Sport, die Power, diese Atmosphäre! Der helle Wahnsinn! Mein Leben hatte sich von Grund auf verändert.
Haben Sie es vorher auch mal „mädchentypisch“ mit Ballett & Co probiert?
Ich muss dazu bemerken, dass in meiner Familie zwar gelaufen und geschwommen wurde, aber ansonsten haben sich die Halmichs nie sonderlich mit außerordentlichen sportlichen Leistungen hervorgetan. „Mädchentypisches“ kam für mich noch nie infrage. Also für mich war Karate der Sinn des Lebens schlechthin. Meine Eltern haben mich auch unterstützt. Sie waren wohl ganz erleichtert, dass ich Wirbelwind einen Weg gefunden hatte, um meine unglaubliche Energie loszuwerden. Im Keller dieser Trainingshalle „Bulldog“ befand sich auch eine Trainingsstätte, dort wurde geboxt; Kickboxen. Und dieser Ort übte eine magische Anziehungskraft auf mich aus. So toll ich Karate fand, da war doch noch etwas anderes. Ich sah, dass es sich bei diesem Sport nicht nur um technisch saubere Posen handelte, sondern um wirklichen Kampf. Das war der Augenblick: Ich wollte kämpfen, mich mit einem Gegner auseinandersetzen. So ließ ich Karate Karate sein und wechselte zum Kickboxen. Zuhause habe ich das erst einmal tunlichst verschwiegen. Der Schritt zum Boxen war dann nur noch ein kleiner. Aber damit war ich angekommen – bei meiner großen Liebe, dem Boxsport!
Glauben Sie, dass der Sport zum Charakter eines Kindes passen muss oder umgekehrt – dass der Sport den Charakter formt?
Wichtig ist, dass Kinder (auch) durch den Sport das Miteinander lernen – Teil einer Gruppe zu sein, mit Regeln, Fairness und Toleranz. Dass sie lernen, Siege zu feiern und sich von Niederlagen nicht entmutigen zu lassen. Kinder entdecken schon ihre Neigung, man muss sie nur lassen und unterstützen.
Wie hat der Sport Ihre persönliche Entwicklung im Kindes- und Jugendalter geprägt?
Ich habe durch den Sport enorm viel über mich gelernt. Zum Beispiel, was es bedeutet, ein Ziel erreichen zu wollen und wie wichtig es ist, „auch wieder aufzustehen“. Elementar ist, schon Kindern klar zu machen, wo Gewalt anfängt; dass Gewalt niemals ein legitimes Mittel sein darf, eigene Interessen durchzusetzen. Gerade Mädchen müssen angstfrei zu selbstbewussten und selbstbestimmten Frauen heranwachsen können.
Mit 18 wurden Sie Profi und fast adhoc Europa- und Weltmeisterin, wo haben Sie als Mädchen und junge Frau die meisten Vorbehalte dagegen gespürt, als Mädchen zu boxen?
Ehrlich? Gern hätte ich bei den Amateuren angefangen, aber damals wurde mir, so wie auch allen anderen Frauen, die Lizenz verweigert. Somit wurde ich mit 19 Jahren Profisportlerin. Ich unterschrieb meinen Vertrag bei der Universum Box-Promotion. Oh, auch das war ein schwerer Kampf. Auf meinem Weg zum Erfolg habe ich keine körperliche Gewalt erfahren. Allerdings wurde mir verbal schon Einiges um die Ohren geschlagen. Frauen im Ring! Dafür war die Männerwelt noch nicht reif. Bei den Profis wurde ich freundlich aufgenommen, wenngleich anfangs eher milde belächelt. Durch meine Leistungen, meinen Ehrgeiz und den absoluten Willen, Hervorragendes zu leisten, habe ich auch die härtesten Jungs überzeugt und ihnen Respekt abgenötigt. In der Presse wurde meist aller-übelst und frauenfeindlich mit einem großen Schuss Häme über mich berichtet. Aber das änderte sich dann im Laufe der Zeit. Auch bei den Sportjournalisten legte sich nach und nach ein Hebel um, sodass sie über meine Leistungen schrieben und sexistische Bemerkungen immer seltener wurden.
Sie haben sich später entschieden, Rechtsanwaltsgehilfin zu lernen – hat der Sport Ihr Gerechtigkeitsempfinden besonders beeinflusst?
So groß war meine Liebe zu diesem Beruf nicht. Ich musste meinen Eltern versprechen, erst einmal eine vernünftige Ausbildung zu absolvieren. Das ist auch etwas, was ich allen jungen Sportlern und Sportlerinnen mitgeben will: Bildung und Ausbildung sind ungeheuer wichtig! Das sind die Fundamente, auf die man langfristig aufbauen kann. Nicht jede Sportlerkarriere bedeutet auch ein sorgenfreies Leben!
Sie haben Frauenboxen TV-tauglich gemacht, bei Ihren Duellen gegen Stefan Raab mit über 7 Millionen und bei Ihrem Abschiedskampf sogar mit über 8 Millionen Zuschauern – haben es boxende Mädchen heute leichter?
Der Weg für Frauen ist geebnet – allerdings ist es gerade für sie sehr schwer geworden. Mit dem Rückzug von ARD und ZDF ist das Boxen ein Stück weit gestorben. Nach wie vor gibt es gute Boxerinnen, die Mädels haben es allerdings besonders schwer, Sendeplätze im TV zu erobern.
Wenn Sie auf Ihre Entwicklung zurückblicken, glauben Sie, das Mädchen und Jungen heute weniger Vorbehalten ausgesetzt sind, wenn sie einen geschlechter-untypischen Sport wählen?
Ja, absolut!
Womit machen Sie Kindern und Familien Mut, die diesen Weg gehen bzw. unterstützen?
Glaubt an euch! Gebt euer Bestes – seid aber auch realistisch. Nicht jede und nicht jeder hat das Zeug zu einem Superstar!
Sie sind zudem eine schöne Frau, sogar der Playboy hat Ihnen zwei Mal gern eine Bühne gegeben – sehen die ebenso oft männderdominierten Medien Sie eher als Top-Sportlerin oder als schöne Blondine?
Wieso eigentlich „sogar“? Ich bin eine Sportlerin durch und durch. Aber ich mag auch meine feminine Seite.
Sie engagieren sich in sehr vielen Bereichen, insbesondere für Kinder, Frauen und Tiere – fühlen Sie sich dem als „schwächer“ Wahrgenommenen verbunden?
Ich finde, dass es jedermanns Pflicht sein sollte, sich für eine soziale Organisation zu engagieren. Gerade wenn man in der Öffentlichkeit steht, sollte man auch Vorbild sein. Ich hatte so viel Glück in meinem Leben, dass ich von ganzem Herzen so empfinde und gern etwas zurückgeben möchte. Ich finde es sehr wichtig, wenn man einen gewissen positiven Bekanntheitsgrad hat, diesen zu nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und dadurch das öffentliche Interesse zu sensibilisieren. Insbesondere Gewalt gegen Frauen ist erbärmlich. Die körperliche Integrität muss geschützt werden. Es gibt absolut keine Entschuldigung für körperliche Gewalt gegen Frauen! Wenn einmal die Grenze zur Gewalt überschritten wurde, geschieht dies auch wieder. Vertrauen, Selbstbewusstsein, Zuversicht und Lebensbejahung erleiden einen schweren – leider oft auch einen nie wieder gutzumachenden Schaden.
Hand aufs Herz – wenn Sie sich vorstellen, mal Mutter eines kleinen Mädchens zu sein, würden Sie es lieber im Tutu oder in Boxhandschuhen sehen?
Es ginge nicht darum, wie ich das Mädchen sehen möchte, sondern was ihren Fähigkeiten und Wünschen entspricht. Und: Das eine schließt das andere nicht zwingend aus …
Vielen Dank für das Interview.
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