Foto: Marco Justus Schöler
Gina Schöler ist Ministerin für Glück. Das ist zwar bisher kein offizielles Ministeramt. Im Interview mit der „lausebande“ verrät die Ministerin und Mutter ihre Glücksrezepte für Familien und erklärt, warum wir Eltern uns beim Thema Glücklichsein ruhig mal von unseren Kindern inspirieren lassen sollten.
Sie leiten das „Ministerium für Glück“, eine unabhängige Initiative für mehr Wohlbefinden und einen Wertewandel in der Gesellschaft. Wie kam es dazu?
Die Idee des Ministeriums gibt es seit 2012. Ich habe damals in Mannheim meinen Master in Kommunikationsdesign gemacht. In einem Seminarprojekt entstand die Idee, welche von mir und meinem Kommilitonen Daniel Clarens als Masterthesis ausgearbeitet wurde. Ich war damals voller Tatendrang, hatte noch unglaublich viele Ideen und Visionen und wollte das Ministerium für Glück und Wohlbefinden weiterführen, diese Initiative wachsen lassen und mit Leben füllen. Also erfand ich 2013 meinen eigenen Beruf als „Glücksministerin“ und bin seitdem selbständig in glücklicher Mission unterwegs. So habe ich die Möglichkeit, jeden Tag genau das zu machen, was mich erfüllt und anderen hilft. Je nach Aktion und Auftrag arbeite ich mit verschiedenen Leuten zusammen, mal mit Psychologen, mal mit Design Thinkern oder Kulturwissenschaftlern – dieser Beruf ist wirklich abwechslungsreich und spannend! Und das macht unfassbar glücklich.
Sie haben Ihren Beruf selbst erfunden. Was wollten Sie ursprünglich werden?
Genau vor zehn Jahren erfand ich meinen eigenen Beruf als Glücksministerin und bin seitdem selbständig in glücklicher Mission unterwegs. Als Kind beziehungsweise Jugendliche hatte ich tausend Ideen, was ich mal machen könnte. Erst wollte ich Tierärztin werden und wollte Lebewesen helfen und sie retten. Außerdem war ich immer an Kreativität interessiert und fand es faszinierend, wie man Inhalte visuell übermitteln kann. Dass ich schließlich Kommunikationsdesign studiert habe, habe ich meiner damaligen Deutschlehrerin zu verdanken, die mich ermutigt hat, meinen ganz individuellen Stärken und Talenten zu folgen und meiner Kreativität nachzugehen. Dass daraus meine Masterthesis „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ entstand, womit ich mich dann selbständig gemacht habe, hat damals natürlich niemand ahnen können. Aber es kommt eben immer anders als man denkt bzw. man muss manchmal etwas mutig und vielleicht auch verrückt sein, Chancen zu ergreifen und auch mal etwas Neues auszuprobieren – es könnte ja gut gehen! Und siehe da, heute kombiniere ich auf ganz eigene Weise genau die Tätigkeiten, die mich immer begeistert haben: Auf kreative Weise anderen helfen. Genau das ist mein Job als Glücksministerin, denn als solche mache ich Werbung für Werte und vermittle die Erkenntnisse aus der Positiven Psychologie und der Glücksforschung.
Ihr Team besteht nur aus Frauen. Fällt Frauen das Glücklichsein leichter?
Es gibt verschiedene Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, welches Geschlecht das glücklichere ist – und oftmals „gewinnen” hierbei tatsächlich die Männer. Solche Statistiken und Forschungen sind natürlich wichtig und erklären einiges, sollen aber gleichzeitig keine Ausreden sein: Nur, weil Frauen Frauen sind, heißt das nicht, dass sie automatisch unglücklicher sind. Auch, wenn gerade Familien und vor allem Frauen während der Pandemie in Sachen Glück und seelischer Gesundheit besonders gelitten haben, gilt es auch zu beachten, dass es auch immer noch einen enormen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt, was die Offenheit angeht, mit der die Thematik z.B. der seelischen Gesundheit angesprochen und bearbeitet wird. So sind die Diagnosen von Depressionen bei Frauen doppelt so hoch wie bei Männern – bei Männern sind dafür die Zahlen der Suchterkrankungen und Suizide um einiges höher. Da gilt es genauer hinzuschauen, denn man kann vermuten, dass es oftmals einfach noch an den Stigmata und Rollenbildern hängt, warum hier die Geschlechter anders damit umgehen. Ich plädiere hierbei für Eigeninitiative: Wir alle, egal ob männlich, weiblich oder divers, dürfen unser Glück selbst in die Hand nehmen und es mit Leben füllen – das bedeutet auch, aktiv um Hilfe zu bitten, wenn wir das Gefühl haben, uns im Kreis zu drehen und nicht weiter oder aus dem dunklen Loch herauszukommen. Glück ist somit keine Glückssache und auch kein Zufall. Wobei: Dass mein Team aus (Power)Frauen besteht, ist tatsächlich zufällig und ist rein organisch gewachsen und ich bin sehr dankbar und glücklich, um all ihre Initiativbewerbungen und den tollen Einsatz, den sie mit vollem Herzblut erbringen.
Die „lausebande“ ist ein Familienmagazin. Haben Sie ein Glücksrezept speziell für Familien?
In der Glücksforschung wurden viele Parameter herausgefunden, die unser Wohlbefinden beeinflussen. Dazu gehören neben genetischen Veranlagungen auch strukturelle Gegebenheiten. Ein großer, wichtiger Baustein dabei ist unser soziales Netzwerk und die Unterstützung, Liebe und Fürsorge, die wir von unseren Freund:innen und der Familie bekommen. Mein Glücksrezept speziell für Familien ist daher recht einfach: Verbringt (Qualitäts-)Zeit miteinander! Das muss nicht gleich ein ganzer Urlaub sein – kleine Familieninseln und kreative Rituale im Alltag reichen schon aus und da ist der Fantasie keine Grenze gesetzt: Ein Picknick im Wohnzimmer, das Sammeln der Lieblingswitze, ein Spaziergang im Wald oder auch ein Telefonat mit oder das Schreiben von Postkarten an (Groß-)Eltern, die vielleicht in einer anderen Stadt wohnen. Bringt all die Bedürfnisse, die in einer Familie vorkommen, zur Sprache und werdet im Anschluss kreativ, wie jeder auf seine Kosten kommen kann – natürlich mit einer extra Portion Wertschätzung, Humor und Geborgenheit.
Was können Eltern tun, damit ihre Kinder glücklich sind?
Als Mama eines dreieinhalbjährigen Knopfes weiß ich: Mein Kleiner ist glücklich, wenn ich ganz bei ihm bin – oder wenn ich ganz bei mir bin?! Tatsächlich merke ich einen eklatanten Unterschied in unserem Zusammenleben, wenn ich gestresst bin und an der „Oberfläche” gut funktioniere oder wenn ich in mir ruhe und gelassen auf das reagieren kann, was im Außen so passiert – und das ist mitunter viel mit zwei vollzeit-arbeitenden Elternteilen, Haus, Hund und Familie… Dieses „Bei mir sein” funktioniert bei mir persönlich am besten, wenn ich mir ganz bewusst Zeit für mich nehme und meine Bedürfnisse nicht (immer) hinten anstelle. Bedeutet: Mich beruflich verwirklichen, mit Freund:innen wegfahren, Raum für Selfcare schaffen. Das verursacht natürlich immer mal wieder das Gefühl von „Mom Guilt”, also ich habe natürlich auch ein schlechtes Gewissen, kann es dann aber doch sehr gut genießen, weil wir das schon immer so handhaben, dass wir uns alle gegenseitig Freiräume schaffen und der Kleine es nur so kennt, dass jeder auch etwas für sich tun darf. Und ich weiß ganz genau: Ich komme mit vollen Batterien wieder, um wieder voll und ganz als Mama da zu sein. Und ansonsten gilt Monotasking: Perfektion adé, Ansprüche runterschrauben, weniger vornehmen und ganz im Moment sein! Am besten genutzt sind also Familieninseln, wie ich sie weiter oben genannt habe, wenn wir ganz im Augenblick sind und uns nicht ablenken lassen, beispielsweise durch Nachrichten auf dem Smartphone. Also Handy aus und Herz auf! Kinder haben ganz feine Sensoren und sie merken, wenn wir mit der Aufmerksamkeit oder den Gedanken irgendwo anders sind. Lasst uns die Zeit mit unseren Kindern voll und ganz genießen – sie ist so unglaublich wertvoll. Neulich habe ich einen Spruch gelesen, der mich sehr zum Nachdenken anregte: „Unser Alltag ist ihre Kindheit.” Daher ist es nochmal wichtiger, darauf zu achten, diesen abwechslungsreich und achtsam zu gestalten und wahrzunehmen.
Was können wir Erwachsene von Kindern lernen mit Blick auf das „Glücklichsein“?
Eine ganze Menge! Kinder sind echte Abenteurer, die jeden Tag aufs Neue chronisch neugierig sind. Sie saugen auf, wollen wissen, fragen nach, nehmen kein Blatt vor den Mund – man weiß, woran man ist, denn sie leben im Hier und Jetzt und halten mit ihren Emotionen nicht hinterm Zaun, sondern (durch)leben sie alle. Ohne Gedankenkarussell und Sorgen, sondern voller Intuition und Schaffenskraft leben sie ganz den Moment. Auch das Durchhaltevermögen und der Wille des (Über-sich-hinaus)Wachsens ist inspirierend: Auch, wenn mal etwas schief geht oder sie hinfallen, lassen sie sich nicht davon abhalten, es gleich wieder zu versuchen und daraus zu lernen. Sie stehen voller Euphorie auf und weiter geht's auf dem Spielplatz des Lebens. Von dieser Motivation und Begeisterungsfähigkeit können wir uns durchaus inspirieren lassen! Auch Freundschaften schließen Kinder im Nu, weil sie offen auf andere zugehen, ohne sich große Gedanken darüber zu machen, wie sie auf andere wirken bzw. was diese denken. Wir können von ihnen also lernen, offen, mutig und neugierig zu sein – und noch so vieles mehr!
Wir taumeln seit drei Jahren von einer Krise in die nächste. Haben Sie ein Patentrezept gegen die Krisen, denen sich viele ausgeliefert fühlen?
Ein Patenrezept für das Glück – egal ob für “gute” als auch für “schlechte” Zeiten – habe ich nicht, denn dafür ist das Thema einfach zu individuell. Was allerdings helfen kann, um mit schwierigen Phasen umzugehen, ist eine Balance zwischen Akzeptanz und Aktionismus zu schaffen: Bei Situationen, die sich nicht ändern lassen, tun wir gut darin, diese erst einmal anzunehmen – mit allem Drum und Dran. Erst wenn wir loslassen und uns nach dem Fluss des Lebens richten, statt gegen ihn anzuschwimmen, können wir uns entspannen, Kraft sammeln und Raum für Neues schaffen bzw. den Blick dafür schärfen. Im nächsten Schritt geht es dann um das Aktivwerden: Selbstwirksamkeit ist hier das Zauberwort! Hier gilt es zu schauen, was man mit seinen Stärken und Talenten im eigenen Wirkungskreis anstoßen und zum Positiven hin verändern kann. Das hilft uns dabei, wieder mehr Kontrolle und eine Orientierung zu bekommen. Dabei kommt es gar nicht darauf an, wie groß, wichtig oder wirkungsreich das ist, was wir tun: Es muss nicht immer gleich die Weltrettung sein – relevant ist, dass wir aktiv der Schockstarre, die uns in schweren Zeiten gerne einmal überrumpelt, entgegenwirken.
Haben die Menschen in Krisenzeiten ein größeres Bedürfnis nach Glück?
In Krisenzeiten denken wir bewusster darüber nach, was uns wirklich wichtig ist und uns glücklich macht. Darin liegt auch die Chance: Im Innehalten, Reflektieren und Suchen sowie Finden neuer Möglichkeiten. Mal den Pausenknopf drücken, dankbar sein für das, was wir haben – gerade wenn die Welt Kopf steht – und uns fragen, wie wir gut für uns selbst und somit auch für andere sorgen können. Außerdem merken wir, dass vieles nicht selbstverständlich ist, vor allem, wenn im Außen viel los ist und drunter und drüber geht. Daher suchen wir nach Orientierung und Halt – und eben Glück – im Leben. Ich denke, es ist ganz menschlich, wenn wir uns in schwierigen Zeiten nach Glück sehnen und es aktiv suchen, da es uns dabei hilft, die eigene Batterie aufzuladen, um besser durch turbulente Phasen zu kommen.
Ist die Nachfrage nach Ihren Angeboten in letzter Zeit gestiegen oder haben die Menschen derzeit genug andere Sorgen?
Wenn alles um uns herum Kopf steht, mag es für die einen wie ein “Luxusproblem” erscheinen, sich um Glück und Wohlbefinden zu kümmern, andere wiederum erwischen sich dabei, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie sich mal einen Moment Leichtigkeit und Lebensfreude gönnen oder sich gar nur danach sehnen. Dabei ist es gerade in schwierigen Phasen und herausfordernden Momenten noch wichtiger als sonst, das Augenmerk auf Gutes und Gelingendes zu legen, Selbstfürsorge zu betreiben und somit die Seele zu schützen und zu stärken! Denn nur so können wir gut aktuelle und auch künftige Krisen bewältigen, ohne im Tsunami der schlechten Nachrichten unterzugehen. Daher ist auch die Nachfrage nach unseren Angeboten höher als zuvor, sowohl im schulischen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Wir merken deutlich, dass die Menschen aktiv nach Lösungsansätzen, nach Quellen der Hoffnung und der Zuversicht sowie nach einer extra Portion Optimismus im oft tristen Alltag suchen, sich Inspirationen, konkrete Tipps oder einfach ein Austausch auf Augenhöhe wünschen, um sich wieder mehr verbunden zu fühlen.