Seit Ende 2023 ist Tobias Schick neuer Oberbürgermeister von Cottbus. Im Gespräch verrät er, was Cottbus zur Boomtown macht, wie er ausreichend Kitas, Schulen und Bauland schaffen will und warum auch das Umland von dem Boom der Lausitz-Metropole profitiert.
Cottbus wirbt als Boomtown um mehr Begeisterung nach innen und um Zuzug von außen – was macht Cottbus für Sie ganz persönlich zur Boomtown?
Die Menschen, die es hier „boomen“ lassen. Die Leute, die unsere Arbeit offenen Herzens, aber kritischen Auges verfolgen – im besten Falle mitziehen und das Tun über das Meckern stellen. Cottbus/Chóśebuz ist die Stadt der Chancen und des Wandels, in dem wir niemanden zurücklassen wollen. Und es sind die Cottbuserinnen und Cottbuser, die mit großem Herzen in Not geratene Menschen aufnehmen, betreuen, begleiten und eben nicht allein lassen.
Cottbus soll mit einer Millionenförderung zur Digitalen Stadt werden, wie machen Sie die kommunalen Strukturen insbesondere für Familien smart?
Der Gang in das Rathaus zur Erledigung verschiedener Behördengänge wird durch die künftigen Online-Angebote in vielen Fällen obsolet werden. So sind Familien nicht mehr an Öffnungszeiten gebunden und können, wann immer es passt, die Leistungen der Verwaltung in Anspruch nehmen. Wir arbeiten u.a. auch an einem System, das es Eltern vereinfacht, ihre Wunschkita zu finden und sich dort anzumelden. Der öffentliche Nahverkehr wird attraktiviert, indem digital Fahrgastinformationen, aber auch der Fahrausweis bezogen werden können. Zudem wird durch digitale Systeme der ÖPNV Vorrang vor dem Auto erhalten und damit schneller unterwegs sein. Im 3D-Stadtmodell können sich Familien künftig über die Stadtentwicklungsprojekte im Allgemeinen bis hin zu möglichen Bauplätzen für ein Eigenheim informieren und erhalten daraus eine Vielzahl wertvoller Informationen; auch das Bauantragswesen wird durch die Digitalisierung vereinfacht und bietet transparent die Informationen über den Bearbeitungsstand.
Bei allem positiven Wandel ist für Familien die Situation in Kita und Schule besonders wichtig. Hier macht das Land Brandenburg keine gute Figur – Sie haben versprochen, in Cottbus „gemeinsam das Machbare zu machen“. Was bedeutet das?
Wir brauchen ausreichend Plätze und Platz an den Schulen, Entlastung für die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die Kita-Erzieherinnen. Wir haben darauf gedrungen, Willkommensklassen zu bilden, die den Einstieg und die Integration zielgerichtet befördern, ohne das Regelsystem zu bremsen. Davon profitieren letztlich alle. Wir hatten das „Kabinett vor Ort“ mit der Landesregierung, wo wir über solche Themen geredet und gewissermaßen den Boden bereitet haben.
Was waren Ihre ersten Tätigkeiten als Oberbürgermeister?
Es sind ja schon drei Monate, und scheinbar fliegt die Zeit. Das Erste war das Zuhören sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern als auch in der Verwaltung, das gegenseitige Kennenlernen, wo das noch notwendig war, um dann erste Analysen und Absprachen treffen, damit wir schnell entscheiden und handeln. Ich habe Bock, das alles hier umzusetzen und etwas zu bewegen.
Zu Ihren im Wahlkampf kommunizierten Ziele zählte: „Familien stärken“. Was genau wollen Sie umsetzen, um Familien zu stärken?
Familien sollen sich in Cottbus/Chóśebuz wohlfühlen, bezahlbaren Wohn- und Entfaltungsraum finden, eigene Ideen umsetzen können. Das heißt in erster Linie gut bezahlte Jobs, wie sie im Strukturwandel entstehen, zu haben und damit Perspektiven für eine Stadt der kurzen Wege und mit wachsender Lebensqualität. Dafür brauchen wir Kita- und vor allem Schulplätze. Wir schaffen in Neu-Schmellwitz und in anderen Gebieten auf früheren Abrissflächen die Angebote, um dort Schulen und verschiedene Wohnprojekte bauen können.
Cottbus gilt als Leuchtturm des Lausitzer Strukturwandels. Wie wird sich die Stadt in den kommenden 20 Jahren verändern und was braucht es dafür aus Ihrer Sicht?
Unsere Heimatstadt wird, auf guten Traditionen gründend, ihr Gesicht verändern. Denken wir an den Ostsee im früheren Tagebau, denken wir an das bereits entstehende hochmoderne Bahnwerk am Standort mehr als 150-jähriger Eisenbahngeschichte, denken wir daran, dass aus unserem ehrwürdigen Carl-Thiem-Klinikum ein digitales Leitkrankenhaus wird samt universitärer Medizinerausbildung und -forschung. Denken wir an den geplanten Lausitz Science Park auf den Flächen des früheren Flugplatzes. Cottbus/Chóśebuz wird sich nachhaltig und klimagerecht verändern. Mit dem Hafenviertel und der Seeachse/Seevorstadt entsteht eine völlig neue Verbindung zur Altstadt, mit dem Ostsee eine neue Kulturlandschaft, die an Pücklers geniales Park-Werk anknüpft. Es braucht dazu aber vor allem Motivation und Begeisterung der Menschen, diese Veränderungen positiv zu transportieren und als Chance zu begreifen. Mit dem Wegfall von Skepsis in den Köpfen entsteht eine Willkommensmentalität für Zuzügler und Neu-Cottbuser, die dauerhafte Grundlage dieser Entwicklung sein muss.
Können Sie drei gute Gründe nennen, warum Familien nach Cottbus ziehen bzw. hier bleiben sollten?
Bauen, um zu entwickeln, bauen, um zu bleiben, bauen, um vorwärtszukommen.
Mit den angekündigten Leuchtturm-Projekten braucht die Stadt weiteren Zuzug. Wie wollen Sie Fachkräfte für Cottbus und die Region begeistern?
Dadurch, dass wir hier etwas tun und nicht nur reden. Dass etwas sichtbar wird im Wandel, dass wir mutig und zuversichtlich die Dinge anpacken und für gute Stimmung sorgen. Da sind wir Cottbuserinnen und Cottbuser die besten Botschafter für unsere Stadt. Cottbus/Chóśebuz wird Standort moderner Industriearbeitsplätze, es ziehen Forschungsinstitute hierher, wir haben eine schlagkräftige Technische Universität, wir haben einen innovationsfreudigen Mittelstand und eine fleißige Handwerkerschaft, engagierte Händler und Gastronomen, ein unvergleichliches Netz an Ehrenamtlern und Vereinen, sind Sportstadt in großer Breite, verfügen über kulturell-künstlerische Qualitäten, um die uns andere beneiden und leben dennoch in einer grünen, überschaubaren und liebenswerten baldigen See-Stadt. Dass dies oft nicht unserem Image nach außen entspricht, ist uns bewusst, und deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, mit der Boomtown für Cottbus zu werben.
Wird die Infrastruktur der Stadt mit dem prognostizierten Einwohnerzuwachs ebenfalls im nötigen Tempo wachsen können?
Das ist eine der wesentlichen Aufgaben, die wir als Stadtverwaltung unmittelbar mit dem nötigen Planungsvorlauf und gesicherter Ko-Finanzierung von Vorhaben zu leisten haben. Dennoch brauchen wir hier vor allem weitere gezielte Unterstützung durch Bund und Land über die Vorhaben im Strukturwandel hinaus. Zum Beispiel für den Bau von Bildungseinrichtungen, den Bau von Radwegen und Straßen, für die Integration von Flüchtlingen. Im Strukturwandel wurde das erkannt und erst kürzlich ein Förderscheck über 25 Millionen Euro für den Ausbau unseres Stromnetzes überreicht. Das sind die Vorhaben, die nicht gleich für den einzelnen Bürger sichtbar sind, die aber wesentliche Grundlagen der Entwicklung bilden.
Mit dem erwarteten Zuzug braucht es auch neue Wohnungen und Bauland. Gibt es dafür bereits konkrete Ideen und Vorhaben?
Hier möchte ich noch einmal das Baulandkataster und das künftige 3D-Stadtmodell erwähnen, aber auch unter anderem auf den Stadtteil Neu-Schmellwitz als Beispiel verweisen. Da sind wir dabei, frühere Abrissflächen für den Wohnungs- und den Schulbau zu reaktivieren. Da gibt es neue Entfaltungsflächen für Ideen und auch individuelles Bauen, und das in künftiger Ostsee-Nähe. Auch in Sachsendorf gibt es solche Flächen für Wohnen und Gewerbe. Wir haben eine Vielzahl von Bebauungsplänen und den Flächennutzungsplan zentrales Steuerungsinstrument für die gesamte Stadt in Bearbeitung, viele davon zum Wohnungsbau u.a. nahe Dissenchen oder Merzdorf mit privaten oder genossenschaftlichen Projektentwicklern.
Von dem Zuzug könnte auch das Umland profitieren, wenn Menschen in Cottbus arbeiten, aber im Umfeld wohnen. Gibt es Abstimmungen dazu mit den Umland-Gemeinden?
Ja, wir haben bereits sehr viele Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen im Landkreis Spree-Neiße geführt. Das geht es um die Schulentwicklungsplanung und um gemeinsam angebotene Dienstleitungen, z.B. beim Ausbau des Straßenbahnnetzes nach Kolkwitz oder um die Übernahme des Busverkehrs im Linienbündel Ost des Spree-Neiße-Kreises durch Cottbusverkehr. Auch durch die Universitätsmedizin wird Cottbus/Chóśebuz künftig an Attraktivität gewinnen; zugezogene Menschen werden sich natürlich sowohl in der Stadt als auch im Umland nach Wohnraum umsehen. Jeder wohnt dort, wo er wohnen will. Daher bringen die zentralen Strukturentwicklungsvorhaben der Stadt auch den Umlandkommunen Potenzial, um davon zu partizipieren. Letztlich gestalten wir den Strukturwandel nur gemeinsam, auch wenn es immer gewisse lokale Wünsche und auch mal Eitelkeiten geben wird.
Manchmal hat man den Eindruck, dass die Menschen in der Lausitz den erneuten Wandel noch etwas skeptisch sehen. Haben Sie den Eindruck, dass die Chancen der Boomtown Cottbus mittlerweile in den Köpfen der Lausitzer angekommen sind?
Das sind sie und das werden sie weiter, sobald der Wandel greifbar wird wie jetzt schon mit dem Bahnwerk. Die Skepsis ist bekannt, und sie ist nach den Erfahrungen der 1990er Jahre auch nicht ganz unbegründet. Jetzt aber haben wir die Chance, das besser zu machen und vor allem den Wandel, der damals ein Bruch war, selbst mit zu gestalten. Das ist doch eine tolle Perspektive, auch wenn das nicht heißt, dass uns das in den Schoß fällt.