Interview mit Autor, Gärtner und Fischer Wladimir Kaminer
Wladimir Kaminer gehört trotz oder gerade wegen seiner russischen Wurzeln zu Deutschlands besten Geschichtenerzählern. Seine Geschichten sind wie ein liebevolles Gespräch guter Nachbarn am Gartenzaun. Dabei schafft er es immer wieder, uns Deutsche mit Humor genauso zu beschreiben, wie wir sind, ohne dass es an Unterhaltungswert einbüßt. Seine herrlich komischen und dennoch klugen Geschichten sind mit ihren menschlichen Details sicher eine gute Frauenlektüre. Zumal er sich nach den Bestsellern über Russendisko und Schrebergarten nun wieder einem Naturparadies zuwendet – diesmal mitten in Brandenburg, im imaginären Dörfchen Glücklitz. Die Geschichten handeln von Fischen, Gärten, Russendisko in der Dorfscheune und dem Ossi-Stolz auf die richtige Wiedergabe des russischen Zungenbrechers Dostoprimetschatchelnosti. Am 13. Dezember wird er im Cottbuser Gladhouse aus diesen Geschichten und vollkommen neuen Schreibereien vorlesen, die sich dann um die große Pubertät in seiner Familie drehen. Ein Grund mehr für unser Gespräch mit dem unterhaltsamen deutschen Russen:
Ihr neues Buch handelt, anders als der Titel vermuten lässt, fast mehr vom Fischen als vom Gärtnern – haben Sie in dieser Woche schon einen Fisch gefangen?
Diese Woche war ich noch nicht am See, habe aber wieder viel über Fische fangen nachgedacht. Ich glaube, ich bin eher ein Angel-Theoretiker und sicher der einzige in diesem brandenburgischen Dorf, der noch keinen Fisch gefangen hat.
Was machen die Mücken in Glücklitz?
Die Mücken erreichen in Brandenburg bedrohliche Ausmaße. Aber ich würde viel lieber über Glücklitzer Pilze reden. Wir waren in diesem Jahr noch nicht Pilze sammeln. Mein Nachbar, der ein zugezogener Cottbuser ist, hat mir jetzt berichtet, dass sie gerade viele Pilze gefunden haben. Am Freitag fahre ich nun nach Glücklitz in die Pilze.
Pilze gibt es wirklich reichlich in Brandenburg ..
Aber nicht jedes Jahr, im letzten Jahr gab es kaum Pilze. Haben Sie schon gewusst, dass sich das Verhalten der Pilze nach dem Fall des Sozialismus verändert hat? Früher wuchsen sie immer im Kollektiv. Wenn man einen Pilz gefunden hatten, waren die anderen auch gleich in der Nähe. Jetzt wachsen sie sehr egoistisch, das sind richtige Ego-Pilze geworden.
Sie veröffentlichen fast jedes Jahr ein neues Buch, wie verhindern Sie, dass Ihre Geschichten zur Routine werden?
Eigentlich schreibe ich immer das gleiche Buch weiter. Für mich ist das Leben ein einziges Buch. Wenn der Autor tot ist, ist auch das Buch zu Ende. So kann ich jedes Jahr eine Fortsetzung zu meinen Erfahrungen und Erlebnissen schreiben und von dem was früher war, bis ich nicht mehr da bin. Mein aktuelles Buch „Diesseits von Eden“ ist eine Fortsetzung meines Schrebergarten-Romans, den ich 2008 geschrieben habe.
Setzen Sie das aktuell schon wieder fort?
Jetzt habe ich ein anderes Beispiel für diese Fortsetzungen. Ich schreibe gerade über meine Kinder. Meine Tochter ist gestern 17 geworden. Ich habe schon zwei Bücher über das Leben meiner Kinder geschrieben. Einmal, als sie noch zum Kindergarten gingen und ein zweites Buch, als meine Kinder zum Gymnasium mit Latein als Schwerpunkt kamen. Jetzt kommt eine Fortsetzungsgeschichte über die Pubertät.
Das hat mich schon gewundert. Ihre Kinder kommen bis auf einen unfreiwilligen Badeausflug im aktuellen Buch etwas kurz, obwohl sie mitten in der Pubertät stecken. Haben Sie das gerade deshalb ausgeblendet oder pubertieren Jugendliche russischer Eltern sanfter?
Nein, das finde ich nicht. Meine Theorie, die schon viele Landsleute bestätigt haben: wir hatten in der Sowjetunion gar keine Pubertät. Die Freiräume waren gar nicht vorhanden und die Erziehungsmethoden ganz anders. Die Möglichkeiten, die die jungen Leute heute haben, gab es für uns nicht. Deshalb ist diese Pubertät für mich eine ganze neue und spannende Entwicklung und Erfahrung. Ich pubertiere auch gleich mit.
Können Sie Ihre Kinder eigentlich noch für das Land- und Gartenleben begeistern?
Nein. Früher als sie kleiner waren, sind sie gern mit in den Garten gekommen. Jetzt wollen sie nur noch, dass die Eltern irgendwohin fahren und sie ihre Ruhe haben. Das mit dem Garten kommt aber noch. Im Grunde will jeder Mensch seinen eigenen Garten haben, auch die Kinder. Ich glaube, jeder Mensch ist sein eigener Garten.
Sie kommen mit ihren Büchern übers Gärtnern und Fischen immer mehr in die Natur, werden Sie nach Zeiten der Russendisko in der Großstadt ruhiger?
Vielleicht war ich früher einfach viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt und jetzt habe ich ein Auge für das bekommen, was um mich herum passiert. Das ist die beste Zeit zu versuchen, die Welt da draußen zu verstehen. Da muss man in die Natur gehen. Ohne Natur kann man auch die Städte nicht wahrnehmen. Aber selbst die Natur ist ja schon von Menschenhand gestaltet, es gibt doch keine Naturlandschaft mehr, die nicht von Menschen beeinflusst wurde. Jede Naturlandschaft ist eine Kulturlandschaft geworden. Man kann Natur und Kultur gar nicht mehr trennen ...
Zurück zu Ihren Geschichten: die sind wirklich aus dem Leben gegriffen und viele handelnde Personen können sich wieder erkennen, haben Sie da schon einmal Ärger bekommen?
Nein, ich schreibe ja nichts Schlechtes über die Menschen, sondern nur Gutes. Eine wichtige Rolle in meinem aktuellen Buch spielt ja Matthias, mein aus Cottbus zugezogener Nachbar. Der hat früher im Cottbuser Zoo als Elefantenpfleger gearbeitet. Er hat auch selbst Geschichten geschrieben. Ich versuche gerade, ihn zu überreden, ein eigenes Buch daraus zu machen. Das sind spannende Geschichten über das, was da alles im Cottbuser Zoo los gewesen ist.