Von wegen Rehe sind niedlich. Zumindest mich hat ein kleiner Rehbock zum Schrecken der Nachbarschaft gemacht. Früh morgens, von Nebel umhüllt und mein bestes Teil schwenkend. Dabei begann alles so harmlos.
Wir sind in diesem Frühjahr endlich umgezogen, in einen grünen Vorort. Unser Häuschen liegt direkt an einer großen Wiese, dahinter Wald – eine einmalige Aussicht, die wir mit keinem Zaun verbauen wollten. Die Gegend ist scheinbar seit dem Aussterben der Dinosaurier von Rehen besiedelt, jedenfalls sehen wir morgens beim Frühstück und abends beim Abendbrot den Rehen in manchmal nur ein paar Metern Entfernung beim Grasen auf der Wiese zu. Meine Kleine ist immer hin und weg. Besonders, als im Sommer noch ein Rehkitz dazukam. Bambi musste unbedingt beschützt werden. Wir mussten extra ein professionelles Fernglas holen, damit unsere Mini-Rangerin Ausschau nach vermeintlichen Jägern halten konnte. Parallel wuchs ihre Kuscheltiersammlung um eine große Rehfamilie an und das Kinderzimmer wurde von kleinen Gummi-Waldtieren erobert. Bei uns kam ein imaginäres Rehkitz nach dem anderen zur Welt und meine Kleine rannte nur noch auf vier Beinen, umhüllt von einem braunen Laken samt aufgeklebten weißen Flecken, durchs Haus. Der Traum vom Leben im Grünen ist auf diesem Fleckchen wirklich wahr geworden. Bis Bruno kam. Natürlich hat die gesamte Rehfamilie Namen bekommen. Mama Reh heißt genauso wie meine bessere Hälfte, das Kitz heißt Bambi – und der kleine Rehbock heißt: klar, Bruno! Und Bruno hält sich für den Größten, den Giganten der Wiese, wahrscheinlich ist er in seinen Augen ein stolzer Platzhirsch mit ausuferndem Geweih, der den Männchen ringsum zeigen muss, wer Herr über das Revier ist. Als neu Zugezogener sollte ich mich offensichtlich auch diesem laufenden Meter unterwerfen. Im Spätsommer begann Bruno jedenfalls, alle zwei Tage direkt auf unser Grundstück zu stolzieren und es an zwei Stellen mit einem satten Strahl zu markieren. Anfangs fanden wir das noch lustig – vor allem wenn unser Hündchen, kaum einen Kopf größer als eine Schildkröte, nach dem Rauslassen sofort die gleichen Stellen anlief und sie wieder zu seinem Revier machte. Nach ein paar Wochen nahm es dann aber überhand. Wenn die Nachbarn mit ihren Hunden vorbeischauten, beteiligten diese sich ebenso am Revierkampf. Ich glaube, wir hatten die Lausitzer Hotspots für tierische Düsensekrete auf unserem Grundstück. Ich wollte garnicht wissen, wer da tagsüber noch alles vorbeischaute, wenn wir nicht zu Hause waren.
Als der Rehbock sich eines morgens wieder unbeobachtet wähnte und auf unser Grundstück zutrabte, erwachte der Platzhirsch in mir. Ich hatte mir ja schon vorbereitend so ein albernes Weihnachts-Rentiergeweih mit einem Haarreif und Glocken daran zurecht gelegt. Das streifte ich über und betrat laut röhrend die Terrasse. Bruno glotzte ungläubig, verharrte kurz, flüchtete nach meinem nächsten kraftvollen Auftritt aber ins Feld. Ich trommelte wie ein Orang Utan auf meiner Brust – die Familie stand an der Fensterfront und bewunderte mich sicher. Ich, der ich angetreten war, unser Revier zurück zu erobern. Im Überschwang der Männlichkeit schritt ich dann auch gleich zur Tat. Am Hotspot der Vierbeiner ließ ich als erster Zweibeiner, als Herr dieser Wiese, meine Hosen herunter und markierte mein Land. Ich streckt die nicht benötigte Hand in die Höhe und rief: „Ein freies Land für einen freien Mann“. In einem Ami-Film wäre in diesem Moment sicher zufällig eine fußballfeldgroße Flagge durchs Bild geweht. Die Familie war begeistert. Bis die Nachbarin mit ihrem Hund zum Morgenspaziergang um die Ecke bog. Sie sah mich, mit gestreckter Faust und Plüschgeweih, mein bestes Teil schwenkend. Ein Anblick für die Drogenfahndung! Naja, zumindest unsere Nachbarin habe ich nun aus unserem Revier vertrieben. Meine Kleine war jedenfalls stolz wie Bolle auf Papa Hirsch, den nachweislich besten „Einender“ der Wiese.
Euer lausitzDADDY