Früher musste man bei Kindern in der Pubertät nur Durchhaltevermögen haben. Heute kann die Revolte gegen das elterliche Establishment ganz andere Konsequenzen mit sich bringen, der digitale Vorsprung unserer Kids machts möglich. In meinem Fall führte das zu einem großen Haufen Sch...
Dabei begann alles mit einer großen Begeisterung für die digitale Welt meiner Kleinen. Im Sommer entdeckte sie per Instagram eine neue, kreative Ader in sich. Vor allem Mädchen posten dort wirklich geniale Kunstwerke. Der Ablauf ist oft gleich: zuerst werden auf ein leeres Blatt oder eine Leinwand allerlei Stifte, Farben oder Ausgangsmaterialien geworfen, dann gibt es mit der Hand ein Schnipsen oder Schießen wie mit einer Pistole und per Schnittfunktion wird aus dem Haufen mit Leinwand und Utensilien urplötzlich das fertige Kunstwerk. Dazwischen liegt in der realen Welt natürlich viel Zeit. Ich war mir mit meiner besseren Hälfte sofort einig: endlich mal ein Handytrend, der sich mit einer pädagogisch wertvollen Maßnahme verbinden lässt. So plünderte ich mit meiner Kleinen alle Kreativläden der Stadt und stattete sie mit einer Leinwandsammlung, allen möglichen Stiften und Farben sowie skurrilen Sachen zum Draufkleben und Schmücken der künftigen Kunstsammlung aus. Das Wohnzimmer wurde zum Atelier umfunktioniert und unsere Kleine verabschiedete sich in ein Paralleluniversum, eine zweite Frida Kahlo war geboren. Wir hatten schon Angst, dass bald die Augenbrauen zusammenwachsen. So entstand ein farbenfrohes Werk nach dem nächsten, mal als leichtes Aquarell mit lila Himmel und rosa Wolken, mal als filigranes Musterwirrwarr, mal als Collage aus Farben, zerschnittenen CDs und Pailletten. Auf ihren Instagramvideos wurde der anfängliche Haufen immer bunter und das Resultat nach kurzem Schnitt immer komplexer. Dazwischen lag meist ein ganzer Tag, in dem sie sich mit einer ungekannten Geduld und Ausdauer in ihren kleinen Kunstwerken erschöpfte. Nun fragen Sie sich bestimmt, was dieses friedliche Bild mit frühpubertärem Aufbegehren zu tun hat ...
Das begann mit meiner Idee, diese Kreativität mit einer sonderpädagogischen Maßnahme zu fördern. Im Büro arbeitete ich gerade an der Entwicklung eines Logos für eine romantische Konditorei. Statt das wie sonst als Druck zu präsentieren, überzeugte ich mein Töchterchen zu einer Kooperation. Sie drehte ein Video, in dem wir beide Skizzen machten und schließlich allerlei Farben auf eine Leinwand warfen, dann klatschten unsere beiden Hände so zusammen, dass sie den gesamten Bildbereich ausfüllten, und als sie auseinandergingen, prangte auf der Leinwand das Logo inmitten einer schönen Collage. Ich malte mir meine Präsentation mit diesem tollen Ansatz und dem Bonus „kreativer Vater mit kreativem Töchterchen“ aus – der Kunde würde sicher eine Krokodilträne in die Serviette schnupfen. Als zweites Hobby entdeckte unsere Kleine in diesem Sommer – passend zu den farbenfrohen Werken – eine Sammelleidenschaft für Outfits. Vor dem ersten Schultag wurde aus dem Textilaufkommen einer mittleren Kleinstadt nach dreistündigem Posing das perfekte Outfit zusammengestellt. Meine bessere Hälfte wusch alles durch, während ich spät abends in meinen Rechner abgetaucht war und meine Präsentation für besagte Konditorei ausfeilte. Irgendwo von außerhalb meiner Arbeitswelt drangen die Worte „Schatz, packe dann bitte noch die Sachen aus der Waschmaschine in den Trockner“ zu mir durch, was ich mit einem gedankenverlorenen „Ja, Natürlich“ quittierte. Natürlich vergaß ich es und am folgenden Morgen lag das perfekte Outfit klamm und muffelnd in der Waschmaschine. Aus Papas Liebchen wurde augenblicklich ein Monsterchen mit zusammengewachsener Augenbraue. Ich flüchtete zur Arbeit, die Wogen würden sich schon glätten. Nachmittags kam dann die Familie der Konditorei zur Präsentation in meine Agentur, die ganze Familie mit großem Tamtam. Ich erzählte viel über die Gedanken, die wir uns gemacht haben, über Liebe zum Backen und familiäre Werte – und über meine Familie. Eine heile, harmonische Welt. Es triefte verbal. Dann klickte ich auf den Link und das Video startete. Harmonie! Die Hände gingen auseinander, ich wollte schon die Servietten reichen – und dann prangte plötzlich ein riesiger Kackhaufen-Emojicon auf der Leinwand samt Zusatz „Back & Kack“. Drunter stand: Familie ist, wenn ALLE mitmachen. Meine Kleine war Herrin über den Link und ihre Rache war bitter. Da lob ich mir doch den früher üblichen Krawall, digitale Pubertät ist ein echt hartes Brot.
Euer lausitzDADDY