Computerspielen macht doof, verschwendet Geld und Lebenszeit und sorgt zudem für die Verarmung sozialer Kontakte, davon war ich bis zum letzten Monat zutiefst überzeugt. Ich konnte mit Computerspielen nie etwas anfangen. Als unsere Kinder noch klein waren, habe ich alle digitalen Feindbilder von meinen kleinen Einsteins ferngehalten. Statt Nintendo und Roboterplüschtieren gab es Holzbausteine und LEGO. Das Höchste der Gefühle war mal eine Lok auf der Holzeisenbahnstrecke, die beim Überqueren einer bestimmten Schiene automatisch ein lautes „Tuut tuut“ von sich gab. Zwischen Büchern und analogen Spielwaren wurden unsere Kinder zu äußerst sozialen Wesen, was schon an der Plüscharmee deutlich wurde, die sich bis übers zehnte Lebensjahr hinaus an ihren Betträndern versammelte. Während andere Kids an der Seite von Super Mario super verblödeten, wurden unsere Kleinen zu Einserschülern, die auf dem Schulhof nie allein standen. Und dann kam bei unserem Junior die Pubertät.
Im Zeitalter der Digitalisierung werden Computerspiele für Jugendliche zur Moped-Gang der Neuzeit. Während wir uns früher an der Stadtmauer trafen oder mit den Mopeds unterwegs waren, taucht der Spross des heutigen Bildungsbürgertums offensichtlich in ganz andere Welten ein. Bei meinem Junior heißt diese Welt „Fortnite“, eine bunte Bilderflut in nimmerendenden Spielerlebnissen. Was bei uns das frisierte Moped samt aufgebohrtem, knatterndem Auspuff war, ist heute der Hochleistungsrechner mit zwei Reaktorkernen und Grafikkarte samt Zeitreisefunktion, die Bildfrequenzen in einer Geschwindigkeit abspult, dass man manchmal aus Versehen in der Zukunft landet. Unser Junior landet jedenfalls immer öfter auf seinem digitalen Spieleplaneten. Im letzten Monat entschied ich mich, etwas dagegen zu unternehmen. Sie ahnen schon, der Superpädagoge ging einmal mehr mit mir durch. Ich las drei Bücher und einige Aufsätze von Hirnforscher Manfred Spitzer, allen voran das über „Digitale Demenz“. Danach war ich überzeugt, dass mein Junior kurz vorm geistigen Bankrott steht, zwischen Pixeln vereinsamt und sein Gehirn in wenigen Jahren auf Erbsengröße dezimiert ist. Superdaddy musste gegen Fortnite ins Feld ziehen und sein Kind retten. Ich bereitete eine Präsentation vor und lud die Familie zum harten Faktenabend: „Über den unvermeidbaren Untergang junger Menschen vor digitalen Bildschirmen voll böser Macht“. Die wahre Achse des Bösen reicht von der Tastatur bis zum Rechner, vom Player bis zur Konsole. Das Gehirn wird unterentwickelt, soziale Kontakte brechen ein, die Sprache verarmt, der Bezug zur Realität geht verloren – die abschreckenden Bilder auf Zigarettenpackungen waren gegen meinen Vortrag wie liebevolle Einträge von Kleinkindern ins Poesiealbum bester Freunde. Scans dementer Hirne, schielende oder dehydrierte Jugendliche, konsolendeformierte Gliedmaßen flimmerten durch meine Präsentation. Mein Junior wurde ganz ruhig und ich feierte innerlich meinen Triumph. In zwei Tagen wolle ich wissen, wie er sein Leben künftig gestalten wolle, formulierte ich mit tiefergelegter Stimme. Fast wie der Pate. Zwei Tage später lud mein Junior zur Präsentation. Er führte durch neun internationale Studien mit enormen Hirnaktivitäten bei Fortgeschrittenen im Fortnite-Universum. Dann stellte er uns seine Spielfreunde aus Deutschland, Europa, Amerika und Asien vor, deren Familien und Lebensgeschichten. Einen Teil dieses Abschnitts wiederholte er noch einmal auf Chinesisch, „damit Superdaddy vielleicht noch ein paar Synapsen aktivieren kann“. Und am Vortag hat er 200 Dollar in einem Online-Turnier gewonnen, in nur drei Stunden Spielzeit. Wieviel der werte Vater mit 16 verdient habe? Da war wohl mal stolz die Rede von 2,50 Mark pro Stunde auf dem Bau. Aha. In meinem Hirn klackerte es wie in einer Kiste Holzbausteine, während mein Junior auf die Zielgerade einbog. „Wer auf der Stelle tritt, kann nur Sauerkraut fabrizieren. Peter Ustinov“, zitierte er bei seinem Finale. Betreten schaute ich auf den Herd, wo ich zum Abendbrot Kartoffeln, Bratwurst und Sauerkraut zubereitet hatte. Die Familie applaudierte, während ich das Sauerkraut rührte. Und sauer macht nicht immer lustig.
Euer lausitzDADDY