Die Coronavirus-Krise hat viele Gesichter, eins davon verankerte bei einer digitalen Teenager-Runde die wohl verstörendsten Bilder im Kopf – und ich war Schuld daran. Die Zutaten waren ein ausgefallener European Song Contest und das allseits gegenwärtige Homeschooling.
Die Geschichte begann natürlich – wie fast immer – mit dem Superpädagogen in mir, der diesmal gegen das digitale Defizit der gesammelten Lehrerschaft ins Feld zog. An der Schule meiner Kleinen war die pädagogische Mannschaft offensichtlich in der analogen Welt der Dinosaurier festgefroren. Es grenzte schon an Wunder, dass keine Schiefertafeln per Maultier durch die Gegend galoppiert wurden. Die digitalen Überflieger unter den Tafelhelden hatten E-Mails zum Verschicken von Aufgabenblättern entdeckt. Wow. Unterricht per Video oder Chat scheint hingegen verflixtes Teufelszeug zu sein – und gleich einer Strahlenschutzsekte haben sich die vermeintlichen Wissensgurus eine soziale Distanz zu Telefonen jeglicher Art selbst auferlegt. Statt „#Dabei“ lautet das Motto für unsere Kids wohl „kontaktlos lernen“. Ich glaube, das Heim eines Lehrers war Ende Mai am täglich akkurat geschnittenen Rasen und trotz Trockenheit im Blütenrausch befindlichen Gartenparadies leicht zu identifizieren. Klar, dass bei meiner kleinen Plaudertasche mit ihrem Bedürfnis nach Austausch dieser fehlende Kontakt durch ein ständiges Hintergrundrauschen in meinem Homeoffice ausgeglichen wurde. Wie soll man sich da konzentieren? Also sorgte Superdaddy für die Homeschool 2020. Beim Laptop für die Heimarbeit verschwand das Pflaster von der Kamera – ja, bei uns hat die Nasa normalerweise keine Chance – ich multiplizierte den Desktop auf unseren 86 Zoll-Fernseher, stattete meine Kleine mit Kopfhörern und Headset aus und richtete ihr alles für eine digitale Lerngruppe ein. Fortan flimmerten täglich stundenlang ihre drei besten Freundinnen durchs Wohnzimmer, unser Fiffi mimte den Schulhund und gemeinsam absolvierten sie als „5 Freunde“ des Homeschoolings ein Wissensabenteuer nach dem anderen. Wir hatten unsere Ruhe, die Lehrer sowieso, der Hund war beschäftigt und die Kids lernten trotzdem was.
Alles war in bester Ordnung, bis Mitte Mai. Dann kam das Wochenende, an dem eigentlich der European Song Contest stattfinden sollte. Dank Corona kam an jenem Samstagabend anstelle bunter Folklore der erste „Free ESC“ samt österreichischer Barttranse zu uns. Als ich das sagte, wurde ich von meiner Kleinen gleich disqualifiziert: Conchita Wurst sei eine weltoffene und tolerante Kunstfigur, ich solle mich schämen. Zero Points für den bartlosen Erzeuger, vielleicht würden meiner zunehmenden Glatze auch mal ein paar Extensions und ein Gesichtsfell guttun, um die weltoffenen Bereiche im Denkapparat aufzuwärmen. Boa, harter Tobak. Das digitale Kommunikationslabor unserer Homeschool hatte meine Kleine in Nullkommanix zur Wortmaschine gemacht. Ich war sprachlos, was habe ich mir da nur wieder eingebrockt. Dabei bin ich doch weltoffen und habe überhaupt nichts gegen Transen.
Meine Kleine war tatsächlich eingeschnappt. Da schlug einmal mehr der Superdaddy in mir zu. Ich musste ihr beweisen, dass es nicht böse gemeint war und auch in mir eine Conchita schlummert. Am folgenden Montag besorgte ich mir eine schwarze Gesichtsmaske (Black Mask, das gibts echt auch für Männer!), ein lang gewelltes Haarteil und schlüpfte im Schlafzimmer heimlich in das rosa Abendkleid meiner Frau, das über der frisch rasierten Brust ganz schön spannte. Fast wie bei Conchita. Ich stolzierte zum Wohnzimmer, sprang mit einem Ausfallschritt vor die Sofalandschaft – Taraaa! Meine Kleine war gerade auf dem Klo und hatte das Laptop mit eingeschalteter Kamera auf dem Fernsehtisch stehen lassen. Vor mir staunten drei sprachlose Gesichter auf 86 Zoll, mit einem kleinen Bild von Conchita Lausitz am Bildschirmrand. Schweigen. Dann fing sich die erste Freundin: „Lausitz twelve Points!“. Mit insgesamt 36 Punkten wurde Conchita Lausitz zur Siegerin der Herzen. Und meine Kleine wurde für ihren verrückten Daddy gelobt und hat mich wieder lieb. Manchmal muss man sich eben zur Wurst machen.
Euer lausitzDADDY