Für die heutige Vätergeneration ist es alles andere als leicht, wenn aus kleinen Prinzessinnen junge Ladys werden. Früher war der Mann im Haus der schweigsame Fels in der Brandung und musste sich ein Leben lang sowohl in der Küche als auch mental kaum bewegen, konnte sich in dieser Konstanz aber auch des ewig währenden Respekts seiner Tochter sicher sein. Heute werden Spielväter spätestens mit der Pubertät der Töchter wie deren kleine Pferde und Elfen aus Hartgummi ausrangiert und darben fortan ein Leben außerhalb pubertierender Mädchenwelten, fernab des neuen Kosmos aus TikTok und Instagram. Und wenn dann doch einmal Erinnerungen aufflackern, führt das Aufeinandertreffen von Pubertät und seltenen Vaterfreuden schnell zum körperlichen Komplettverlust – wie meine Leidensgeschichte beweist. Sie ist gleichzeitig die Reise vom stattlichen Schimmel zur ausgemusterten Mähre binnen Sekunden.
Sie wissen nicht, was eine Mähre ist? Bis vor wenigen Tagen ging mir das ebenso. Die Entdeckung meiner neuen Identität begann mit der wiederentdeckten Lust meiner Tochter am Reiten. Seit einigen Wochen fährt sie regelmäßig zu einer Ranch und es gibt kein anderes Thema mehr – endlich eine Welt, bei der ich „aus alten Zeiten“ mitreden kann. Wir hatten wieder ein gemeinsames Thema. Zuvor war der einst knuffige Waschbär-Daddy längst zum peinliche Taxifahrer mit zunehmendem Haarwuchs an den falschen Stellen degradiert. Wussten Sie, dass sich bei Babys schon im Mutterleib ein zarter Flaum aus Wollhaaren am ganzen Körper bildet? Der heißt Lanugo, klingt niedlich und schützt die Haut eines Fötus vor dem Aufweichen durchs Fruchtwasser. Meine Tochter nannte mich immer großes Lanugo-Monster – und ich fand das süß, bis ich den haarigen Hintersinn beim Googeln entdeckt habe. So fuhr der Taxi-Laguno seine kleine Lady jedenfalls zur Schule und dank der Reitstunden sprudelte es im Auto nur so von Trab, Zaumzeug, allerlei Pferden mit kuriosen Namen und Erinnerungen an frühe Pferdeabenteuer im Kleinkindalter. Der Spielpapa in mir schüttelte sich innerlich den Staub von der Seele und erinnerte sich sehnsuchtsvoll an ein kleines Fotoalbum mit all den gemeinsamen Pferdeabenteuern samt Töchterchen, als sie noch ein hühott-rufender Dreikäsehoch war. Abends wühlte ich es aus einer Regalecke – und wir schwelgten gemeinsam in Erinnerungen. Was freute sich meine Lady über zahllose Bilder im Garten und der Wohnung, auf denen ich sie als stattlicher Mustang durch die imaginäre Prärie trug. Im Überschwang der Gefühle stürmte ich aus dem Zimmer, warf mir eine weiße Decke über, bastelte mir aus einem Tuch eine wehende Mähne und galoppierte als stolzer Schimmel ins Wohnzimmer. Meine kleine Lady schwang ebenso ein imaginäres Lasso, fing den Schimmel ein und sprang auf, wie einst vor zehn Jahren. Der Schimmel erstarrte auf der Stelle. Das kräftige Schnauben wich einem kläglichen Krächzen. Ein Jahrzehnt ist eine verdammt lange Zeit und die Büschel Altershaare haben auch nichts mit Laguno zu tun. Mein Rücken schmerzte, ich lahmte zum Sofa und blähte die Nüstern. Meine Kleine blätterte enttäuscht im Fotoalbum weiter. Es folgten Bilder, wie sie mich einst als kleine Tierärztin versorgte. „Das wäre doch näher an der Realität, du alte Mähre“. Natürlich hab ich das gegoogelt: Das Laguno-Monster ist jetzt ein alter, abgemagerter und zu nichts mehr zu gebrauchender Gaul. Zum Glück erinnerte ich mich rechtzeitig, dass ich seinerzeit auch als durchgedrehter Hengst im Kinderzimmer umhertobte, schließlich mit Schaum vorm Maul zusammenbrach und in der Rossschlachterei meiner Prinzessin zu Wurst verarbeitet wurde. Zwei Beweisfotos konnte ich noch rechtzeitig aus dem Album entfernen. So genieße ich nun meinen Lebensabend auf dem Gnadenhof, voller Hoffnung, dass dieses Geheimnis nie entdeckt wird.
Euer lausitzDADDY