Räusper. Trommelwirbel. Taramtamtam. Zum 100. Mal spitzte ich daheim die Feder für den lausitzDADDY und fühlte förmlich, wie mich ein Jahrzehnt geballte Superpädagogik im Zeitraffer durchspülte. Seit Monaten schob ich eine unausweichliche Entscheidung vor mir her. Denn man soll aufhören, wenn es am schönsten ist – und voller Demut wollte ich den Superpädadogen zu seinem Jubiläum in den Ruhestand schicken. Ein großer, erhabener Moment. Mit trockener Kehle fühlte ich Respekt vor dem Werk. Sicher würde es der ganzen Familie nicht anders gehen, alle würden einen dicken Kloß im Hals spüren. Um Frau und Kids an diesem Gipfel des Vaterseins und unserer Familienhistorie teilhaben zu lassen, wurde feierlich ein Familienrat einberufen. Wie zuletzt vor einem halben Jahrzehnt, als die Kids noch klein, gespannt und hellhörig waren. Ich machte mich gefasst auf eine emotionale Reise durch Familiengeschichten, auf eine große Erwartungshaltung und dicke Kullertränen bei Frau und Kindern. Auf ein „Ach Papa, bitte hör nicht auf!“. Natürlich würde ich mich genieren, eine Stunde herzen und drücken lassen. Meine Kinder würden zum Trost Kuchen reichen, Lieder singen – schließlich würde draußen ein Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke brechen und genau auf mein Antlitz fallen. Ich würde plötzlich spüren, dass ich doch nicht aufhören darf. Alle freuen sich, wir tanzen eine Poloniase durchs Wohnzimmer. Die Bundesfamilienministerin ruft kurz danach an, die UNESCO schickt ein Dankesschreiben. Nein, der lausitzDADDY darf nicht das Zeitliche segnen, die letzte Bastion einer väterlichen Innenschau wird von so vielen Familien da draußen gebraucht. Ich war völlig in Gedanken versunken ...
Sie ahnen es schon, die Realität hatte leider denkbar wenig mit dem inneren Drehbuch meiner Literaturverfilmung zu tun. Mein Junior meinte trocken: Im besten Moment aufhören? Wäre das nicht vor zehn Jahren gewesen? Meine Kleine freute sich, endlich nicht mehr öffentlicher Teil dieser „superpeinlichen Pädagogikversuche“ zu sein. Und meine bessere Hälfte resümierte trocken: gut, das spart Kuchen zur angeblichen Inspiration, wir wollten sowieso gesünder leben. Draußen begann es zu regnen, aus dem Radio sickerte die Ballade „Writer in the Dark“ von Lorde durch den Raum. Ich glaube, Lorde hat vorausgeahnt, wie es einem Schreiber in seiner dunkelsten Stunde geht.
Ich beschloss schweren Herzens, die wohl ehrlichste jemals erschienene Innenschau eines treusorgenden Vaters mit einem semantischen, in Worte gegossenen Blues zu beenden und symbolisch zu Grabe zu tragen. Schließlich druckte ich alle 100 Kolumnen aus, schlug sie zum Schutz vor Verwesung in Wachstücher ein und bereitete eine würdige letzte Ruhestätte vor. Mitten im Februar befreite ich ein Stück unseres Gartens von der Schneedecke und stellte eine Feuerschale auf, damit der Boden darunter und im Umfeld vom Frost befreit wird. Ich hatte eine kleine Trauerweide besorgt, unter der einst vielleicht meine Urenkel im Schatten sitzen und andächtig in den alten Weisheiten ihres Urgroßvaters blättern werden. Meine Geschichten als Nährboden für einen Familienbaum – das spendete der Schreiberseele dann doch Hoffnung und gab einem Jahrzehnt Aufopferung einen tiefgreifenden Sinn. Mit gebrochener Stimme verkündete ich meinen Kids den Wunsch, sie in dieser schweren Stunde an meiner Seite wissen zu wollen. Ich legte extra einen Anzug an, band mir sogar eine Krawatte um und hielt eine feierliche Rede. Als ich das Bäumchen mit der letzten Schippe Erde befestigte, sah es einen Moment fast so aus, als würde die Sonne die Wolkendecke durchbrechen. Ich spürte doch noch die ganz große Emotion kommen, wenigstens im allerletzten Augenblick. Genau in diesem Moment kam unser kleiner Vierbeiner herbeigehechelt, hob das Bein am Bäumchen und beendete die Zeremonie mit einem erstaunlich satten Strahl. Jetzt weiß ich endlich, woher der Spruch stammt, da sei jemand auf den Hund gekommen. Das wars. Räusper, Seufz und ohne Tamtam.
Bye, bye ... euer lausitzDADDY